Im Kino: La Nana:Die verkümmerte Perle

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Die eigentlich liebevolle Haushälterin verwandelt sich in einen Hausdrachen: Sebastián Silvas "La Nana" macht den Klassenkampf in Chile zur Komödie.

Martina Knoben

Hinter eigenwillig sich zwirbelnden Ponyfransen guckt Raquel (Catalina Saavedra) missmutig in die Kamera. Ein solcher Blick ins Objektiv ist gewöhnlich ein Korridor, der direkt zum Zuschauer führt; er schafft eine Nähe, die Raquels gesamte Erscheinung, ihre Haltung und der Vorhang ihrer Haare, gleichzeitig energisch zurückweist: Kommt mir bloß nicht nahe! Mufflig mampft sie ihr Essen in sich hinein, allein am Esstisch einer klinisch weißen Küche, während aus dem Off die Stimmen der Familie zu hören sind, für die Raquel arbeitet, die gerade gesellig im Wohnzimmer speist.

Mit ihren 41 Jahren ist sie eigentlich ein Mädchen - und hat nie gelernt, richtig zu leben: "La Nana", die Haushälterin. (Foto: ap)

Ein 41-jähriges Mädchen

Der Widerspruch zwischen Raquels Sehnsucht nach Liebe und Respekt und ihrem abweisenden Verhalten wirkt komisch, gelegentlich sogar slapstickhaft, wenn die soziale und emotionale Hilflosigkeit des Hausmädchens offenkundig wird, das trotz seiner 41 Jahre genau das, nämlich ein Mädchen, geblieben ist. Dabei liegt die Ahnung einer möglichen Katastrophe über dem Film, vor allem am Anfang, als noch nicht klar ist, was gespielt wird: Tragödie oder Komödie, Melodram oder Gesellschaftsstück.

Raquel hat oft starke Kopfschmerzen und fühlt sich erschöpft - könnte ein Tumor die Ursache sein? Sie gehört beinahe zur Familie, aber eben nur fast - wird sie aufbegehren, stellvertretend vielleicht für die große benachteiligte Mehrheit der Nation?

Regisseur Sebastián Silva hat "La Nana - Die Perle" im eigenen Elternhaus gedreht, einer großbürgerlichen Villa mit Swimmingpool und geschmackvollen Bildern an den Wänden; Raquels Zimmer, beteuert er, sei wirklich das Zimmer des Hausmädchens gewesen. Die emotionale Nähe ist reizvoll in seinem Film, gefühlswarm und doch mit satirischer Distanz zeichnet er die chilenische Oberschicht, eine Binnensicht, die diese Schicht nicht zum gesellschaftlichen Gegner und zur Karikatur erklären kann, ihre Schwächen jedoch ebenso wenig leugnet wie den gesellschaftlichen Graben.

Raquels Zimmer ist ein nicht unfreundlicher, aber bescheidener Raum, im Vergleich zum Rest des Hauses ein dunkles Loch, einer Klosterzelle nicht unähnlich. Den Vergleich von Dienstbotendasein und mönchischem Leben hat Silva selbst gezogen im Presseheft. Wenn er mit beweglicher Digi-Kamera Raquel bei ihren zahlreichen Alltagsaufgaben folgt, sie begleitet beim Anziehen der Kinder und Frühstückmachen, Staubsaugen, Bettenmachen und Putzen, dann entwickelt der Film etwas Klaustrophobisches, da Raquel kaum je die Enge dieses Haushalts verlässt.

Kindlicher Terror

Auch emotional ist sie verkümmert in den 23 Jahren, die sie ihrer Familie dient. Ihre verblühte Mädchenhaftigkeit hat etwas Bitteres bekommen, sie ist der Hausdrache geworden.

"La Nana" wurde im vorigen Jahr mit dem Grand-Jury-Preis in Sundance ausgezeichnet, als erster chilenischer Film. Einen weiteren Preis bekam Hauptdarstellerin Catalina Saavedra, die vor allem anderen dem formal bescheidenen Kammerspiel seinen Witz und seine Traurigkeit verleiht.

Um die erschöpfte Raquel zu entlasten, heuert Familienoberhaupt Pilar ein zweites Hausmädchen an - Silva beschreibt so klug wie komisch, wie Raquel diese Konkurrentinnen eine nach der anderen vergrault und mit kindlichem Terror die Ungleichbehandlung weitergibt, die sie erfahren hat. Raquel ist rabiat und boshaft dabei, jagt eine Konkurrentin sogar aufs Dach.

Bis mit dem Hausmädchen Lucy (Mariana Loyola) ein Mensch in Raquels Leben tritt, der sie umarmt und mit ihr weint und sie Weihnachten sogar zu ihrer Familie einlädt. Viel Zeit für Sentimentalitäten lässt Silvas elliptisches Erzählen seinen Heldinnen aber nicht. Lucy verkörpert ein Gegenbild, sowohl zur chilenischen Oberschicht wie zur verdrucksten Dienerin - leben lernen aber muss Raquel schon selber.

LA NANA, Chile 2009 - Regie: Sebastián Silva. Buch: S. Silva, Pedro Peirano. Kamera: Sergio Armstrong. Schnitt: Danielle Fillios. Mit: Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Mariana Loyola, Andrea García-Huidobro. Arsenal, 94Minuten.

© SZ vom 17.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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