Im Kino: Kinatay:Urin am Bein

Korruption, Verbrechen, Sex und Gewalt: Regisseur Brillante Mendoza hat den Trick raus, Festivaljurys zu beeindrucken. Doch seine Filme nerven. Ein Einspruch.

Rainer Gansera

Seine Filme nerven, sind Torturen des Banalen, quälende Trips durch einen Fake-Realismus der Willkür. Aber sie haben den Trick heraus, Festivaljurys und Kritiker zu beeindrucken. Brillante Mendoza: der Name klingt südamerikanisch, gehört aber zu einem philippinischen Filmemacher, der derzeit als "Liebling cineastischer Kreise" gehandelt wird. Nach vielen Jahren in der Werbeindustrie entschloss sich der 45-jährige Mendoza, Autorenfilmer zu werden - und fertigte in fünf Jahren neun Filme, die sich mit Vorliebe ins Gewühl der Armutsviertel von Manila stürzen. Themen bieten sich dort von selbst an, um einem problembesorgten westlichen Festivalpublikum vorgeführt zu werden: Depraviertheit, Korruption, Verbrechen, Sex und Gewalt. Für "Kinatay" erhielt Mendoza 2009 in Cannes den Regiepreis, im selben Jahr präsentierte er in Venedig "Lola". Beide Filme kommen jetzt ins Kino.

Kinatay

Mendoza interessiert sich überhaupt nicht für seine Figuren, wie hier im Film "Kinatay". Er nimmt sie zum Anlass, um eine Kulisse der Armut plakativ und spekulativ auszustellen.

"Kinatay" erzählt von einem ganz besonderen Tag im Leben eines jungen Mannes namens Peping: er heiratet die Frau, die ein Kind von ihm erwartet, aber die Hochzeitsnacht wird zum Höllentrip ins Herz der Finsternis. Peping besucht die Polizeischule. Dort heißt es, als Polizist habe man keine Zukunft, wenn man sich nur auf sein Gehalt verlasse.

Also betätigt er sich gelegentlich als Geldeintreiber für ein Drogen-Syndikat. So muss er nun eine endlose Nacht lang dabei sein, wie eine drogenabhängige Prostituierte, die mit ihren Zahlungen im Rückstand ist, gefoltert, vergewaltigt, ermordet und zerstückelt wird. In "Lola" ist der Mord bereits geschehen, ein Raubmord, bei dem es um ein Handy ging. Die Großmutter des Gemordeten bemüht sich in endlosen Versuchen, bei Nachbarn, Kreditinstituten und Ämtern das Geld für die viel zu teure Beerdigung zusammenzukratzen. Die Großmutter des Täters tut desgleichen, um die Opfer-Familie zu einer Rücknahme der Anklage zu bewegen.

Im Chaos des Gleichgültigen

Das Quälende dieser Filme entsteht nicht aus dem Sujet, sondern aus dem Stil. Ein Stil, der die Faktizität des philippinischen Lebens zum Chaos des Gleichgültigen häuft. Ein Stil, der die Fassade des Dokumentarischen aufrichtet, um sich in der Inszenierung von banalen, vulgären und demonstrativen Anekdoten der Alltäglichkeit zu ergehen. Der Alltag, das ist das Chaos in menschenüberfüllten Räumen. Gedrängelt wird überall: auf Marktplätzen, im Bus, in Gefängniszellen und Büros von Kreditinstituten. Die Story schält sich immer wie zufällig aus dem Gewühl eines ebenso chaotischen wie banalen Großstadttrubels.

Beide Hauptdarstellerinnen in "Lola" sind bekannte philippinische Schauspielerinnen. Mendoza schickt sie mit Vorliebe in Alltagssituationen der Peinlichkeiten und Frustrationen, gerade so, als wäre ihr Spiel ein zufälliges Stolpern vor die Kamera. Wenn die Opfer-Großmutter zum ersten Mal dem Täter begegnet, auf dem Gang vor dem Büro des Staatsanwalts, dann entsteht kein Drama, kein Ausbruch von Wut und Trauer, keine Entfaltung der Charaktere. Stattdessen lässt Mendoza die Großmutter zur Toilette gehen, schildert das minutenlang, wie sie die Gänge entlangspaziert und noch mal nachdrücklich sagt: "Ich muss pinkeln gehen!", wie sie sich verirrt, dreimal nachfragt, um dann an der Toilette vor dem Schild "Sorry Closed" mit einem Gesichtsausdruck voller Scham und Verzweiflung zu stehen. Und Mendoza lässt es sich nicht nehmen, mit einem Schwenk das Rinnsal an den Beinen der Großmutter zu zeigen.

So drückt sich der Regisseur um beides: um das Verpflichtende einer Dokumentation, die eine vorgängige Wirklichkeit akzeptieren würde, und um den Entwurf eines Spielszenarios, das die Figuren als vielschichtige Charaktere schildern könnte. Er verweigert seinen Figuren Innenleben und Kontur und suggeriert, dass sie alle nur irgendwie aus der Not heraus handeln, dass also Gefühle, politische und moralische Haltungen ein Luxus seien, der für sie unerreichbar bleibt. Manche Jurys und Kritiker nehmen ihm gerade das als ein imposantes Statement zur sozialen Lage ab. Tatsächlich aber interessiert sich Mendoza überhaupt nicht für seine Figuren. Er nimmt sie zum Anlass, um eine Kulisse der Armut plakativ und spekulativ auszustellen. Im Kern ist er ein misanthroper Zyniker.

KINATAY und LOLA, F/Philippinen 2009. Beide Filme bei Rapid Eye Movies.

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