Im Kino: Jud Süß:Armer schwarzer Peter

Massenverführungsmittel: Oskar Roehlers "Jud Süß" erzählt die Geschichte des NS-Propagandafilms schlechthin - und rührt an die Natur des Kinos selbst.

Fritz Göttler

Das Ende sollte jämmerlich sein, ein elender Tod - die Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738. Mit dem Tod seines Gönners, des württembergischen Herzogs Carl Alexander, der ihn zu seinem Finanzverwalter gemacht hatte und ihn die Juden nach Stuttgart zurückholen ließ, hatte er jede Protektion verloren, war er im krassen illegalen Eilverfahren verurteilt worden. Nun wurde ihm die Schlinge um den Hals gelegt, im Käfig wurde er in die Höhe gezogen, erbärmlich winselnd.

Themendienst Kino: Jud Suess - Film ohne Gewissen

Die totale Hetze: Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels (l.), Tobias Moretti als Ferdinand Marian und Martina Gedeck als seine Frau in Oskar Roehlers Drama "Jud Süß - Film ohne Gewissen".

(Foto: dapd)

Ursprünglich hörte sich die Szene am Ende des Films "Jud Süß" anders an, da sandte der Verurteilte noch einen grimmigen alttestamentarischen Fluch gegen seine Richter und die Bürger der Stadt aus. Der Propagandaminister Goebbels aber gönnte ihm diesen stolzen Abgang nicht, ließ das neu synchronisieren. An den Lippenbewegungen des Darstellers ist der ursprüngliche Fluch noch abzulesen.

"Jud Süß" von Veit Harlan ist wohl der film maudit der deutschen Kinogeschichte par excellence. Der totale Hetzfilm, ein Film als Waffe, heißt es, der das Volk 1940 mental auf die Endlösung, den Mord an den europäischen Juden vorbereitet habe. Wenige Tage nach der Uraufführung hat Himmler angeordnet, der Film müsse allen Mitgliedern der SS-Wachtrupps in den KZs gezeigt werden. Bei den Szenen, in denen die Juden zurück nach Stuttgart strömen ("Wie die Heuschrecken kommen sie über unser Land") soll es empörte Aufschreie im Publikum gegeben haben - womöglich sind ähnliche Empfindungen heute latent im Spiel angesichts europäischer Romalager.

Das Massenmedium Kino wird offenbar durch diesen Film schwer beschädigt, als Massenverführungsmittel. Es wäre naiv, bei einem Film, der sich heute, siebzig Jahre später, mit der Entstehung und der Wirkung des "Jud Süß" beschäftigt, nur historische Nachhilfe als Absicht zu vermuten - zumal der Filmemacher Oskar Roehler ist, einer der erklärten Wilden unseres Kinos. "Jud Süß - Film ohne Gewissen" rührt an die Natur des Kinos selbst.

Auf der Berlinale lief Roehlers Film im Wettbewerb und hat Buhs und erbitterte Kritiken geerntet. Am Beispiel des ein wenig windigen Schauspielers und Charmeurs Ferdinand Marian - österreichischer Provenienz, gespielt von Tobias Moretti - wollte er zeigen, wie der Nationalsozialismus die Künstler verführt und korrumpiert hat. Unbeirrbar und eher plump inszeniert Goebbels - Moritz Bleibtreu spielt ihn als einen selbstverliebten Clown - seine Komödie der Eitelkeiten um sein Lieblingsprojekt "Jud Süß" - aber keiner, den er anspricht, will mitmachen, jeder windet sich, bringt Ausreden vor, die Akteure Gründgens, Jannings, Forst, auch der Regisseur Veit Harlan - im Film als Langweiler verkörpert von Justus von Dohnányi -, der lieber seine sehnsuchtssatten Bürgermelodramen machen würde, für die dann, ein halbes Jahrhundert später, junge Filmemacher wie Fassbinder oder Schlingensief sich wieder begeistern können.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum in Roehlers Film kaum Szenen des Harlan-Originals zu sehen sind.

Seine Unschuld hat er lange verloren

Bei Ferdinand Marian bleibt schließlich der schwarze Peter in diesem Spiel - er hat eine halbjüdische Frau (Martina Gedeck), damit setzt Goebbels ihn unter Druck. Das ist eine dramatische Zuspitzung der Realität, die Roehler und sein Autor Klaus Richter als legitim verteidigen. In Wirklichkeit war Marians Frau früher mit einem Juden verheiratet und hatte eine Tochter mit ihm. Der Dreh mit der Frau macht Marians Bereitschaft, den Süß zu spielen, auf simpelste Weise nachvollziehbar, Opportunismus aus Liebe, er ist ein Opfer von Goebbels, wie die meisten in der Nazi-Filmindustrie - selbst Harlan, der Regisseur, der sich nach dem Krieg in zwei Prozessen freisprechen ließ.

Ein Propagandafilm, der gar nicht nach Propaganda aussieht

Nach dem krieg verfällt Marian, dem Alkohol, der Depression, fährt 1946 gegen einen Baum und ist tot. Was Roehler offenbar gar nicht interessiert an der ganzen Geschichte ist der Transmissionsmechanismus - wie man eigentlich einen Propagandafilm schafft, der gar nicht nach Propaganda aussieht. So hat Roehlers Film, wenn er nun in die Kinos kommt, seine Unschuld selbst schon lange verloren.

Und auch Roehler büsste etwas Entscheidendes ein, als er das Projekt begann - jene freche, unverschämte Attitüde, die seine früheren Filme so unglaublich schmerzlich und zärtlich macht, "Gierig", "Die Unberührbare", "Der alte Affe Angst", "Agnes und seine Brüder". Im Vergleich dazu ist sein "Jud Süß" eine langweilige Klamotte - und die unverzichtbare Referenz, das Harlan-Original, kriegt man in Deutschland kaum zu sehen. Er ist einer der Vorbehaltsfilme - die Rechtsinhaberin, die Murnau-Stiftung, rückt ihn nur für Vorführungen raus, in denen der Film in seinen politischen und historischen Kontext placiert wird, in Kinematheken also und in Seminaren.

Roehler selbst war verdutzt, wie wenig schockierend und aggressiv, wie "normal" ihm Harlans Film eigentlich vorkam - aber statt diese Biederkeit näher zu erforschen, hat er lieber auf dem Lehrstück der Verführbarkeit und des Schmierenkomödiantentums beharrt.

Die Subversion des Films

Wie die Hetze konkret funktionierte, in welchen emotionalen und psychischen Prozessen, bleibt ungeklärt. Und welche Rolle das Kinomelodram - als Genre, in seiner bürgerlichen Ausformung - dabei spielte. Es steckt eine Subversion in dem Film, die immer erstaunlicher wird, je öfter man ihn sieht. Und die womöglich die Hinterlist seines Schöpfers, des Ministers Goebbels, weit übersteigt.

Man weiß, wie das Kino all jene Elemente favorisiert, die die festen Ordnungen erschüttern, die etablierten Systeme zersetzen wollen, vom frühen Slapstick bis zu den modernen Horrorfilmen. Und dann ist da noch der attraktive, sinnliche, aufreizende Jude Oppenheimer, neben dem all die bürgerlichen Vertreter der Stadt ganz lahmarschig aussehen, an der Spitze Eugen Klöpfer, der auch hier das gesunde Volksempfinden verkörpern muss.

Bei der Berliner Premierenfeier, wie Roehler sie imaginiert, zieht eine Frau - ihr Mann ist Ghettokommandant - Marian hinauf in den ersten Stock an ein Fenster. Und lässt sich, zum blitzenden Fliegerangriff draußen, von ihm penetrieren, mit den gleichen Worten, mit denen er das unschuldige Mädchen im Film bedrängt hat. Das ist der einzige Roehler-Moment im Film, da kommt der alte Affe Angst ins Spiel - der Jude, der Andere, unheimlich und hemmungslos, der dem "normalen" Bürgertum seine Misere, sein deformiertes Bewusstsein deutlich macht, das sich über einen Minderwertigkeitskomplex definiert - unglücklich über seine eigene Ordentlichkeit, die ihn zu Verzicht und Verdrängung zwingt.

JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN, D 2010 - Regie: Oskar Roehler. Buch: Klaus Richter. Kamera: Carl-F. Koschnik. Schnitt. Bettina Böhler. Mit: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi, Armin Rhode. Concorde, 114 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: