Im Kino: "Joschka und Herr Fischer":Heimspiel für den Sponti

Mit staatsmännischer Gestik schreitet Joschka Fischer sechzig Jahre Nachkriegsdeutschland ab und kommentiert mit selbstzufriedener Ironie die Stationen seiner Biographie: der Dokumentarfilm "Joschka und Herr Fischer".

Martina Knoben

In diesen Keller der deutschen Geschichte möchte man lieber nicht geraten. Die rohen Wände weichen weit auseinander ins Dunkle; Glasbildschirme hängen von der Decke, darauf werden Kurzfilme in Endlosschleifen projiziert: Schwarzweißaufnahmen einer katholischen Kindheit in den Fünfzigern, ein Film über KZs, der Club Voltaire in Frankfurt, Straßenkämpfe, die Vereidigung eines Ministers in Turnschuhen. Raunend wird Zeitgeschichte präsentiert, als Schatten der Vergangenheit im finsteren Gewölbe. Im Zentrum: der Außenminister und Vizekanzler a.D. Joschka Fischer.

Im Kino: "Joschka und Herr Fischer": Er wirkt ganz zufrieden mit sich: Der ergraute Ex-Außenminister und Ex-Vizekanzler vor einem Portrait des jungen Joschka Fischer

Er wirkt ganz zufrieden mit sich: Der ergraute Ex-Außenminister und Ex-Vizekanzler vor einem Portrait des jungen Joschka Fischer

(Foto: Nadja Klier/ X Verleih)

Mit staatsmännischer Gestik und selbstzufriedener Ironie schreitet er sechzig Jahre Nachkriegsdeutschland ab und kommentiert die Stationen seiner Biographie.

Die Distanz zu seinem Gegenstand aufzugeben, kann eine Tugend sein im Dokumentarfilm. Wenn sich das Kino der Underdogs annimmt, die selbst keine Stimme haben, oder Adrenalin ausgeschüttet werden soll bei der hautnahen Begegnung mit wilden Tieren oder Extremsportlern, dann ist mittendrin statt nur dabei die richtige, manchmal sogar die einzig mögliche Perspektive.

Aber bei einem Staatsmann? Distanzlosigkeit hieße hier Wahlwerbung oder Propaganda. Wenn also ein erfahrener Regisseur wie der 56-jährige Pepe Danquart, in dessen Vitrine sich immerhin ein Kurzfilm-Oscar, ein Deutscher und ein Bayerischer Filmpreis finden, wenn also ein solcher Medienprofi einem Selbstdarsteller und Machtmenschen wie Joschka Fischer 140 Minuten lang die Bühne überlässt, dann steckt mehr dahinter als eine konzeptionelle Panne.

"Als wir uns erstmals vor sechs Jahren getroffen haben, haben Joschka Fischer und ich den Sponti ineinander entdeckt", erzählt Danquart im Presseheft. Auf seiner Webseite findet sich ein vermutlich 2005 gedrehter Wahlwerbespot für die Grünen: "Ja zu Joschka" ist da zu lesen, das schafft Vertrauen.

Auf dieser Basis ließ sich Fischer auf das Filmporträt ein, das mit seinen Videoinstallationen wie ein Experiment anmutet, am Ende aber keines ist. Was aussieht wie eine Mischung aus Geschichtswerkstatt und psychoanalytischer Folterkammer, entpuppt sich als Kellerbühne der deutschen Linken, auf der sich die Spontis Fischer und Danquart in ihren Lebenswegen - die so unterschiedlich nicht sind - gegenseitig bestätigen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie die deutsche Linke sich mit sich selbst versöhnt.

"Im Taxi wurde ich zum Realo"

Nun ist Joschka Fischer eine der schillerndsten Figuren der deutschen Nachkriegspolitik, sein "Zwiegespräch mit der Geschichte", wie es Danquart nennt, grundsätzlich hochinteressant. Wie kaum ein anderer verkörpert er die Brüche und Umbrüche einer Republik, in der ein Grüner gerade Ministerpräsident von Baden-Württemberg geworden ist, die den Ausstieg aus der Atomenergie (fast) schon beschlossen hat, und in der brave Beamte zu Wutbürgern mutieren. Wer hätte vor zwanzig oder dreißig Jahren auch nur im Traum an sowas gedacht.

Fischers Lebenslauf, als Flüchtlingskind, Schulabbrecher, Sponti, Taxifahrer und schließlich Außenminister, ist symptomatisch für eine Generation, die es in den vergangenen Jahrzehnten vom rebellischen Rand der Gesellschaft - "Geht doch nach drüben!" - ins Zentrum geschafft hat, der auch der "linke" Filmemacher Danquart angehört.

Der hat als Super-8- und Videofilmer angefangen, war Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg, bis er für "Schwarzfahrer", einem Anti-Rassismus-Film mit Feelgood-Faktor, 1994 einen Kurzfilm-Oscar bekam und schließlich Kinoerfolge feierte mit seiner Sport-Trilogie.

Spannend ist "Joschka und Herr Fischer", wenn die "geistig-seelische Entkernung" in der politischen Praxis sichtbar wird, wie sie Rainald Goetz in "klage" (Suhrkamp) so kurz wie treffend beschreibt. Wenn der Sponti Umweltminister in Hessen wird, 1985, ein trostloses Büro bezieht und verloren neben seinem Telefon zu sehen ist. Er hätte keine Ahnung vom Regieren gehabt, erzählt Fischer, die 16 Monate als Umweltminister seien die schlimmsten, aber auch lehrreichsten seines Lebens gewesen. Dann erklärt er ungewohnt umständlich, dass die Frage nach der Zuständigkeit zentral sei, dass sie allen Reformen vorangehe.

Vom Handwerk des Regierens, wie es sich hier andeutet, hätte man gern mehr erfahren, das politische Tier Fischer auch gern häufiger in seinem ureigenen Revier, am Rednerpult, erlebt. So muss man den politischen Körper Fischer weitgehend selbst deuten, wie er sich hier etwas müde und mit verschränkten Händen vor dem gerade wieder etwas dickeren Bauch präsentiert.

Hilfreich ist dabei die Erinnerung an Danquarts Sport-Filme: "Heimspiel" (2000), "Höllenfahrt" (2004) und "Am Limit" (2007), über einen Ostberliner Eishockey-Club, die Tour de France und zwei Extremkletterer. Es sind Helden, von denen Danquart erzählt, die im Scheitern menschlich werden. Auch Joschka Fischer muss immer wieder Selbstzweifel bewältigen, als Minister in Hessen, beim Balkan-Bundeswehr-Einsatz - eine Frage des Professionalismus. Wobei die Tugenden der Kämpfer, Hingabe, Kampfgeist und eine - sehr männliche - Leidensbereitschaft, eben auch soldatische Tugenden sind.

Nun also die deutsche Linke, die sich in "Joschka und Herr Fischer" mit sich selbst versöhnt, sich selbst bestätigt, ein alles in allem sinnhaftes Leben geführt zu haben. Weil die starken visuellen Reize von Danquarts Sportfilmen fehlen, fällt der unreflektierte Umgang mit seinem Gegenstand besonders stark auf. Das Leben des Joschka Fischer war ein Schlingerkurs, aber wenn der nun durch Danquarts Videokeller schlendert, verleiht er jedem Abschnitt nachträglich einen Sinn. "Im Taxi wurde ich zum Realo", heißt es etwa. Dazu sind Aufnahmen des nächtlichen Frankfurt zu sehen.

Indem der Film die Fetzen dieser Biographie mit dem Kitt der zeitgeschichtlichen Bedeutung zusammenbindet, wird "Joschka und Herr Fischer" zu einer Art Gegenstück zu Andres Veiels Filmbiographien "Wer wenn nicht wir" oder "Black Box BRD". Darin sind die Gewaltbereitschaft der deutschen Linken, die auch von Danquart erwähnt wird, und ihr totalitäres Erbe eine offene Wunde. Zudem werden Biographien bei Veiel nie als zwangsläufig angesehen, sondern erscheinen als nie ganz aufzulösendes Kausalgewebe. An einer solchen Selbstdarstellung war Joschka Fischer natürlich nicht gelegen.

JOSCHKA UND HERR FISCHER, D 2011 - Regie, Buch: Pepe Danquart. Kamera: Christopher Häring, Kolja Brandt. Schnitt: Toni Froschhammer. X-Verleih, 140 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: