Im Kino: "Finding Neverland":Ente gut, alles gut

Helden sind nur zu retten, wenn sie sich der Lächerlichkeit preisgeben. Johnny Depp fliegt also auf Peter Pan - und Huckepack ein Federvieh.

FRITZ GÖTTLER

Das Glaubenmachen ist die Kunst der Erzähler, Theaterleute, Illusionisten, das make believe, mit dem sie ihre Leser, Zuschauer, Freunde auffordern, den Boden der Tatsachen zu verlassen, sich aufzuschwingen ins Reich der Imagination.

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Und die Wirklichkeit hinter sich zurückzulassen, verfremdet und deformiert.

James M. Barrie, den die Welt kennt als Schöpfer des Peter Pan, ist in Marc Forsters "Finding Neverland" (deutsch: "Wenn Träume fliegen lernen") ein Darling der viktorianischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende.

Verfasst geschmackvolle Salonstücke, bei denen man an Wilde denken mag. Wird von den Mitgliedern der Londoner Bourgeoisie als einer der ihren geschätzt und mit freundlicher Konversation bedacht.

Hat eine Frau, die den gesellschaftlichen Aufstieg genießt. Ist glücklich, wenn er im Park von Kensington Gardens ambulieren kann, wo die grünen Kronen der Bäume ein schützendes Dach über ihm bilden und er residieren kann auf seiner geliebten Parkbank.

Er ist gerade in einer kleinen Schaffenskrise, seine Stücke für das Duke of York's Theatre lassen den gewohnten Erfolg vermissen, und sein Theaterchef Frohman, gespielt von Dustin Hoffman, versucht ihn neu zu motivieren.

Der junge Autor reagiert darauf mit Regression.

Die Schaffenskrise ist natürlich eine Psychokrise. Die Poesie hat immer auch eine schwarze Seite, und im Herzen von Neverland, wir wissen es, haust der Kapitän Hook.

Dass Michael Jackson sein Luxusdomizil Neverland nannte, belastet den Namen dieser Tage ganz besonders. So sanft und unschuldig und dezent Johnny Depp den jungen Barrie gibt - im Hinterkopf haben wir seinen LSD-Trip in "Fear and Loathing in Las Vegas" oder den Horror von "Sleepy Hollow" und "The Ninth Gate", die beiden sinistren Edwards, die er spielte, Ed Wood und Edward mit den Scherenhänden.

Der wirkliche James M. Barrie war nicht so ansehnlich, war viel eher der Typus, bei dem einem ein leiser Verdacht auf Pädophilie aufsteigen mochte - ein Verdacht, der biografisch natürlich nicht zutrifft.

Melancholie und Tod werden sein Leben bestimmen von dem Tag an, da er im Park Sylvia Llewelyn Davies, gespielt von Kate Winslet, trifft und ihre Söhne. Aus dieser Beziehung, aus gemeinsamen Ausflügen, Indianer- und Piratenspielen, Improvisationen wird sein neues, ganz anderes Stück entstehen, der "Peter Pan", der vor hundert Jahren auf die Bühne kam.

Dies ist, bei aller Leichtigkeit, bei aller Heiterkeit, ein kleiner Film über das Sterben, über Tod und Wiedergeburt, Keuschheit und Kreativität. Man sollte kleine Jungs nie ins Bett schicken, sagt der viktorianische Aviator Barrie zu Sylvia, nie schlafen lassen ... Der Schlaf, wir wissen es, ist der kleine Bruder des Todes, und das gilt auch für den Flug ins Neverland.

Der Film spielt Themen durch, die schon in Marc Forsters Film "Monster's Ball" mit Halle Berry auftauchten - Mutterschaft, Liebe, grenzenlose Einsamkeit, Anziehung der Gegensätze.

"Ich denke", sagt Forster, "dass unsere westliche Zivilisation das Recht zum Sterben verloren hat. Ich spüre, dass der Tod ein bisschen tabuisiert wird... Wir verstehen und feiern eine Geburt, aber wir wollen den Tod nicht wirklich verstehen ... Aber wir alle werden sterben. Und es ist wichtig, davor keine Angst zu haben, weil letztendlich alle Ängste im Leben auf die Angst vor dem Tod zurückzuführen sind."

Um weiterzuleben in der Welt seiner Imagination, schließt Barrie seine Frau (Radha Mitchell) brutal aus, lässt sie allein zurück in der Gesellschaft.

Es geht um die vaterlose Gesellschaft in diesem Film - und in dem Neverland-Mythos allgemein -, um ein Leben ohne dominante Bezugsfigur, und darum, wie hart man sich anstrengen muss, damit nicht wieder der große Bruder in die Vaterrolle rutscht.

Johnny Depp spielt diesen Bruder im Geiste des amerikanischen Slapstick, mit Stoneface und Kriegsbemalung und Indianerschmuck.

Unterm Arm trägt er eine Ente - das Heroische, ist das nicht großartig, ist nur noch zu retten durch die Lächerlichkeit, die Travestie!

FINDING NEVERLAND, USA 2004 - Regie: Marc Forster. Buch: David Magee. Nach dem Stück "The Man Who Was Peter Pan" von Allan Knee. Kamera: Roberto Schaefer. Schnitt: Matt Chesse. Musik: Jan A.P. Kaczmarek. Mit: Johnny Depp, Kate Winslet, Julie Christie, Radha Mitchell, Dustin Hoffman, Kelly MacDonald, Ian Hart. Buena Vista, 108 Min.

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