Im Kino: Everybody's fine:Pappa ante portas

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Ein Weihnachtsfilm zu Ostern: Robert De Niro spricht mit seiner toten Frau, von seinen Kindern wird er abgeschoben. Ein schöner kleiner Drahtseilakt zwischen Amusement und tiefer Traurigkeit.

Susan Vahabzadeh

Erwartungen leiden ein wenig unter Verschleißerscheinung, sie nutzen sich ab mit der Zeit und werden kleiner; und letztlich ist es oft so, dass die Wirklichkeit sie nur zurechtgestutzt hat auf eine vernünftige, erfüllbare Größe. So ungefähr könnte man die Altersweisheit formulieren, die einem Robert De Niro in seinem neuen Film mit auf den Weg gibt. Mit De Niro selbst verhält es sich irgendwie ähnlich: Man zuckt vielleicht kurz zusammen, wenn man ihn als Großvater sieht, und überlegt, wann genau er in dieses Alter gekommen ist - aber dann fühlt es sich ganz selbstverständlich an. Ist schon in Ordnung so.

Die Emotionen immer fest im Griff

Mit Everybody's Fine, inszeniert und geschrieben von Kirk Jones, kommt kurz vor Ostern, ergo mit einiger Verzögerung, der letztjährige amerikanische Weihnachtsfilm bei uns ins Kino - ein eigenes Genre, spätestens seit Frank Capra 1946 James Stewart am Weihnachtsabend sein ganzes Dasein neu bewerten ließ in Ist das Leben nicht schön?, ein bittersüßes Genre, in dem Hollywood gerne lustvoll vorführt, was es einzigartig macht - die Fähigkeit, sich ganz weit vorzuwagen an die Grenze zum Kitsch, ohne dabei die Balance zu verlieren. Es ist jedenfalls eine hervorragende Idee, sich dabei auf De Niro als Hauptdarsteller zu verlassen, der die Emotionen seiner Zuschauer immer fest im Griff hat, ob er sie nun beunruhigen will oder zum Lachen bringen - oder eben zum Weinen.

Er spielt Frank Goode, Rentner, der viel mehr Freiraum hat, als er sich gewünscht hat - seine Frau ist ein paar Monate zuvor gestorben, und nun versucht er selbst die Familie zusammenzuhalten, was immer ihr Job gewesen ist. Als rechtschaffener Familienvater hat sich De Niro als Regisseur einst selbst besetzt, in A Bronx Tale; der klassische De Niro schimmert dabei in Details durch, da ist beispielsweise das angedeutete Schmunzeln, das partout kein Lächeln werden will. Hier sind die vier Kinder längst erwachsen, sie sollen ihn besuchen, zum ersten Mal seit dem Tod der Mutter, besessen bereitet er alles vor - und dann sagen sie ab, keiner kommt, und er steht allein im Garten, mit seinem neuen Grill und den Riesensteaks.

Der eine Sohn ist nicht da, der andere will ihn loswerden

Er nimmt das ruhig auf, gefasst, erklärt seinem Arzt, dass er jetzt auf Reisen geht, alle Kinder besuchen, eines nach dem anderen. Sein Arzt versucht, es ihm auszureden, zu anstrengend. Versucht, stattdessen über seine Einsamkeit mit ihm zu reden. Sprichst du mit deiner toten Frau, als wäre sie noch da? Nein, antwortet De Niro, auf DeNiro-Art, ungerührt und cool. Und dann geht er nach Haus und redet mit seiner toten Frau. So ist der ganze Film - ein schöner kleiner Drahtseilakt zwischen Amusement und tiefer Traurigkeit.

Kirk Jones hat nach seinem ersten Film viele Jahre nicht mehr gedreht - dabei war die Komödie Lang lebe Ned Devine, über ein irisches Kaff, das den Tod eines Lotteriegewinners verschleiert, 1998 ein großer Erfolg. Everybody's Fine basiert auf Giuseppe Tornatores Allen geht's gut (1990), mit Marcello Mastroianni als Witwer, der seine Kinder besucht. Frank Goodes Reise quer durch die USA wird beschwerlich: Der eine Sohn ist nicht da, der andere (Sam Rockwell) will den Vater loswerden, auch die älteste Tochter (Kate Beckinsale) schiebt ihn ab, zieht aber vorher eine eigenartige Show mit ihrem Ehemann ab, die ihr Sohn fleißig sabotiert.

Er soll unbedingt nach Las Vegas fahren zur jüngsten, Rosie, dem kleinen Sonnenschein, verkörpert von Drew Barrymore. Auch hier erwartet ihn eine Inszenierung. Eine Wohnung wie aus dem Designermöbelkatalog, kalter Schick, und Frank müsste ein Idiot sein, würde er eine Sekunde lang glauben, dass die quirlige Rosie dort wirklich wohnt. Man kann an diesem DeNiro-Gesicht immer sehr gut ablesen, wenn er sich verkneift, zu fragen, ob sie ihn eigentlich alle verschaukeln wollen.

Mehr hatte das Schicksal nicht parat

Die Kinder halten ihre Probleme von ihm fern, all ihr Scheitern. Die Mutter war der Kommunikationsminister, sie wusste alles und behielt vieles aus Rücksicht für sich. Und es ist wirklich zauberhaft, De Niro dabei zuzusehen, wie er etwas spielt, was man nur in sehr feinen Nuancen zeigen kann: dass er auch Dinge weiß, die ihm keiner erzählt hat. Berufliches Scheitern, Scheidung, eine lesbische Lebensgemeinschaft - das sind alles Dinge, die er wesentlich gelassener nimmt, als seine Kinder geglaubt haben.

Man entdeckt nach und nach, wie groß die eigentliche Tragödie ist, die die Kinder vor Frank verbergen wollen. Aber auch da ist er allen voraus. Er mag zweifeln, ob es richtig war, von den Kindern viel zu erwarten und das beste zu hoffen - damit, dass sie viele Hoffnungen nicht erfüllt haben, kommt er bestens zurecht. Es ist nicht alles gut bei der Weihnachtsfeier am Ende dieser Geschichte - aber mehr hatte das Schicksal eben einfach nicht parat.

EVERYBODY'S FINE, USA 2009 - Regie und Buch: Kirk Jones. Kamera: Henry Braham. Mit: Robert De Niro, Drew Barrymore, Kate Beckinsale, Sam Rockwell. Disney, 100 Minuten.

© SZ vom 18.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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