Im Kino: Dr. Parnassus:Triumph des Gehängten

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Von der Lust am Exzentrischen: Heath Ledgers letzter Film, "Das Kabinett des Dr. Parnassus", ist ein Geniestreich.

Fritz Göttler

Ein verrücktes Kinostück, wie nicht anders zu erwarten bei Terry Gilliam, seinem Regisseur, verrückt vor allem in seiner Entstehungsgeschichte, die das reine Chaos war und manchmal eine Passion. Die Konstruktion des Films erinnert irgendwie an das Modell des cadavre exquis, an das Verfahren, das die Surrealisten in den Zwanzigern entwickelten und lustvoll zelebrierten - Texte und Bilder, an deren Herstellung mehrere Leute beteiligt waren, jeder fertigte ein Teil des Ganzen, aber ohne den Rest, die Arbeit der anderen zu kennen. Bevor der Nächste an der Reihe war, wurde das Blatt gefaltet und der bisherige Corpus den Blicken entzogen. Eine spielerische, willkürliche Synthese also, an deren Ende etwas merkwürdig Organisches herauskam.

Ewige Jugend und wolkige Versprechungen - die windigen Menschen schließen einen Deal mit dem Teufel. (Foto: Foto: Concorde)

Die große Faltung bei diesem Film kam im Januar 2008. Ein großer Teil der Szenen waren abgedreht, darunter die Außenaufnahmen in London, als Heath Ledger, der junge Star, tot in seinem New Yorker Appartement gefunden wurde, am 22.Januar. Um das Projekt zu retten, rief Terry Gilliam Heaths Schauspielerfreunde zu Hilfe, Colin Farrell und Jude Law und Johnny Depp - der war schon in Gilliams "Fear and Loathing in Las Vegas" und sollte ursprünglich den Will Grimm spielen, neben Heath als Jacob, in Gilliams Film um die "Brothers Grimm".

Drei etablierte Stars, bekannt durch ihre Lust am Exzentrischen, an der großen Manier, drei Freunde, die sich bereits dort tummelten, wo Ledger allen Prognosen nach durch seine Rolle als Joker im Batman-Film "The Dark Knight" nun auch gelangen würde - das imaginäre Reich des internationalen Startums. Die drei übernahmen Ledgers Part in jenen noch fehlenden Szenen, die nach dem couragierten Durchqueren des Zauberspiegels spielen, in einer Welt, die eigenen Gesetzen gehorcht. Was in der Praxis ein Notbehelf war, wirkt im Film wie eine originelle Pointe, die Brüche und Wechsel zwischen den vier verschiedenen Akteuren ergeben am Ende einen einzigen exquisiten Multikörper, ein Körperkaleidoskop, und man trinkt neuen Wein aus den alten Schläuchen.

Es ist ein altes Märchen, das uns hier erzählt wird, vom Teufelspakt, den ein Mann ums ewige Leben abschließt, mit einem Teufel, der sich unscheinbar und ein wenig gelangweilt gibt wie ein Handlungsreisender - Tom Waits als Mr. Nick, in schwarzem Anzug und Hut. Christopher Plummer ist sein Partner bei dem Geschäft, der mit seiner Jahrmarktsshow, dem Imaginarium des Doktor Parnassus - so der Originaltitel des Films - durch die Städte zockelt, bald tausend Jahre lang.

So alt wie Plummer hier schaute schon der Faust bei Murnau aus, keine Spur von der Dynamik scheint geblieben, die ein solcher phantastischer Longtime-Deal eigentlich entfachen müsste. Der Preis freilich war sehr hoch, der da ausgehandelt wurde, Valentina, die Tochter des Schaustellers (Lily Cole) soll, sobald sie sechzehn wird, der Teufel holen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Gilliam den Doktor Parnassus durchaus als einen Doppelgänger seiner selbst geschaffen hat.

Jahresrückblick 2008: Heath Ledger
:Zu kurz zum Leben

Der australische Schauspieler Heath Ledger starb im Januar 2008. Eine vielversprechende Karriere - Höhepunkt die Oscar-Nominierung für "Brokeback Mountain" - endete viel zu früh. In Bildern

Ein paar Tage noch, dann wird es so weit sein - und nur einer kann sie nun noch retten, der junge Tony, also Heath Ledger, ein etwas schmuddeliges Stehaufmännchen in weißem Anzug und mit zotteligem Haar, das die Truppe des Doktor Parnassus vom Seil schneidet, an dem er an einer Brücke über die Themse hängt. Das Vorbild für diesen Tony, so heißt es, sei Blair gewesen, der sonnige Selbstvermarkter, mit seiner Fähigkeit zur Autosuggestion - die aberwitzigsten Sachen vorzubringen und womöglich selber zu glauben.

Tony schlägt den Relaunch des Unternehmens vor, weg von der romantisch-muffigen Zirkusatmosphäre, rein in extravagantes Styling und Art-Déco-Fashion, raus aus den düsteren Winkeln des alten London, rein in die glitzernde Warenwelt des Leadenhall Market, wo die weiße phallische Commedia-dell'Arte-Maske, die er anzüglich vors Gesicht gespannt hat, der letzte Schrei ist.

Und wo die wohlsituierten Frauen willig sich verleiten lassen, durch den Zauberspiegel zu schreiten, wo ewige Jugend, Göttlichkeit und leider auch Mr. Nick warten. Heath Ledger, der Verführer, der Mann mit den tausend Gesichtern, hier spielt er noch einmal die Rolle weiter, die er als Joker genial kreiert hatte. Der Außenseiter, der verlorene Sohn in einer streng hierarchisierten Welt, in der die Väter - von Agamemnon bis zum König Lear - bedenkenlos über die Töchter verfügen, mit ihrem Leben spielen.

Die alte Kinogeschichte, - die Generation der Alten, die sich an der Macht und in ihren Geschäften halten will, und der Krieg, den die Jungen dagegen führen. Den Doktor Parnassus hat Gilliam durchaus als einen Doppelgänger seiner selbst geschaffen, als Showman, der in seinem phantastischen Business keinen rechten Erfolg mehr hat - aber insgeheim steht er auf der Seite der Jungen. Ledger und er waren die besten Kumpels auf dem Set, und Ledger wollte so viel wie möglich lernen vom Handwerk des Filmemachens, von der Ausleuchtung und der Wahl des Kameraobjektivs bis zur Choreographie einer Szene - das Verlangen, selbst ein Filmemacher zu werden, teilt er mit den jungen Wilden im Hollywood der Fünfziger und Sechziger, James Dean und Paul Newman und Marlon Brando.

Was als ein Film über das zirzensische Erzählen begann und über die Rolle des Erzählers, verwandelte sich durch die Arbeit mit dem Star - und nach dessen Tod erst recht - in eine bewegende Meditation zum Tod des Autors. Anders als James Cameron mit "Avatar" zielt Gilliam mit seinen computergenerierten Hinter-dem-Spiegel-Phantasien nicht auf die Erschaffung einer neuen, natürlichen Welt.

Das Design in diesem Imaginarium ist den graphischen Arbeiten von Leuten wie Grant Wood oder José Maria Sert verpflichtet, die Dynamik den verrückten Zeichenfilmen der Dreißiger und Vierziger, von Tex Avery oder Chuck Jones. Tonys Unbekümmertheit, Sensibilität, Zerbrechlichkeit, von Heath Ledger großartig verkörpert, verschwindet nach dem Durchgang durch den Zauberspiegel - wenn die Maskenhaftigkeit der Freunde Depp, Farrell, Law übernimmt. Die jenseitigen Tonys sind dem Ledger-Tony ganz fremd, sind Abziehbilder, Abhorreszierbilder. Wo Naivität war, auch dies eine alte Geschichte des Kinos, kommt nun Narzissmus.

THE IMAGINARIUM OF DOCTOR PARNASSUS, F/CAN/GB 2009 - Regie: Terry Gilliam. Buch: Terry Gilliam, Charles McKeown. Kamera: Nicola Pecorini. Artdirection: Dan Hermansen, Denis Schnegg. Mit: Heath Ledger, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell, Christopher Plummer, Tom Waits, Lily Cole, Andrew Garfield, Verne Troyer, Charles McKeown. Concorde, 122 Minuten.

© SZ vom 05.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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