Im Kino: "Die Perlmutterfarbe":Stärker, dümmer, Führer

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Wie die Angst aus Schwächlingen mit affenartiger Geschwindigkeit gemeine Quälgeister macht: Marcus H. Rosenmüller hat den Roman "Die Perlmutterfarbe" verfilmt.

Susan Vahabzadeh

Die Welt sieht schöner aus als sie ist, wenn sie verschneit ist. Das bayerische Dorf beispielsweise, in dem Alexander (Markus Krojer), der Held in Marcus Rosenmüllers neuestem Film "Die Perlmutterfarbe" zwischen den Kriegen aufwächst, macht einen gemütlichen und zauberhaften Eindruck auf den ersten Blick, unter all dem Schnee, der die Jungen zu spielerischen Schlachten einlädt.

Alexander (Markus Krojer) macht einen Fehler, der alle mitreißt. (Foto: Foto: Filmverleih)

Die romantische Schneedecke, unter der das heruntergekommene Dorf verschwindet, hat in Rosenmüllers Bildern parabelhafte Qualität. Der schöne Schein des malerischen Kaffs trügt, die Gruppendynamik in Alexanders Klasse ist vom Faschismus geprägt, und die Schlachten, die sich die Kinder liefern, verlieren alles Spielerische unter diesem Einfluss.

Alexander hat versehentlich ein kostbares Buch, das er gar nicht haben sollte, mit der Perlmutterfarbe seines Freundes Maulwurf (Dominik Nowak) versaut - die beiden sind um der Gunst eines Mädchens wegen, Lotte (Zoë Mannhardt), im Wettstreit um die größten Malkünste. Und weil Alexander, gerade mit der traurigen Wahrheit konfrontiert, dass sein Vater nicht auf See verschollen, sondern einfach bloß abgehauen ist, zu feige ist, sein Missgeschick einzugestehen und die Niederlage hinzunehmen, macht er einen Fehler, der alle anderen mit reinreißt: Er liefert sich dem Neuen in der Klasse aus, der sich zum Führer aufschwingen will - der lange Gruber, Sohn des Insolvenzverwalters, ein bisschen größer, stärker und dümmer als die anderen Jungs.

Um den ganz schnellen Wandel der Charaktere geht es hier - darum, wie die Angst aus Schwächlingen mit affenartiger Geschwindigkeit gemeine Quälgeister macht, wie sich Minderwertigkeitskomplexe mit Machtmissbrauch kompensieren lassen, wie schwer es einem plötzlich vorkommt, sich in einer Gruppe gegen die anderen zu stellen, und wie erleichternd es sein kann, wenn man es dann doch getan hat.

Der Film ist nach dem Roman der Wiener Schriftstellerin Anna Maria Jokl entstanden, den sie, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, im Exil in Prag geschrieben hatte. "Ein Kinderroman für fast alle Leute" hieß das Buch bei seiner Erstveröffentlichung 1948 im Untertitel, und diesen Anwendungshinweis hat Marcus Rosenmüller bei der Arbeit durchaus beherzigt: Sein Film behält einen kindlichen Blick und bleibt sehr unkompliziert.

Das ist alles ganz schön, vor allem dann, wenn es rühren will - in einer zauberhaften Szene macht sich der erfinderische Maulwurf bei Lotte durch Kitzeln unter den Fußsohlen beliebt, und einmal starrt Josef Hader, der sozusagen als Wunschkandidat für den Stiefvaterposten durch die Geschichte geistert, Alexanders Mutter so herzzerreißend sehnsuchtsvoll an, dass es schon wieder komisch ist.

Und doch: Vom Sitz reißt einen der Film, als Ganzes, nicht. Dazu ist die Geschichte doch nicht komplex genug erzählt, sind vor allem die Gags zu offensichtlich der Abteilung für Schenkelklopfer entliehen. Wenn er schon Josef Hader engagiert, sollte dann nicht auch alles wie Hader sein?

Rosenmüllers Dörfler sind auf die Dauer einfach zu betulich, zumal er sie ja in Scharen über die Leinwand hetzt: "Die Perlmutterfarbe" ist der sechste Rosenmüller-Film in zwei Jahren. Er hat, als Massenproduktion, den Heimatfilm neu erfunden; es wäre nur irgendwie noch schöner, würde er sich dabei auf die bayerische Schwäche für Anarchie und hinterfotzigen Humor besinnen - das hat ja durchaus Tradition in Bayern.

DIE PERLMUTTERFARBE, D 2008 - Regie: Marcus H. Rosenmüller. Buch: M.Rosenmüller, Christian Lerch. Nach dem Roman von Anna Maria Jokl. Kamera: Torsten Breuer. Mit: Markus Krojer, Dominik Nowak, Zoë Mannhardt, Benedikt Hösl, Josef Hader, Brigitte Hobmeier, Sigi Zimmerschied. Constantin, 103 Min.

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© SZ vom 8.1.2009/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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