Im Kino: 2012:Der ultimative Konsument

Von der Lust an der Zerstörung: Roland Emmerichs "2012" versöhnt die Vernichtungsenergien und Produktivkräfte des Kapitalismus auf wundersame Weise.

Tobias Kniebe

Merkwürdig ist diese Empfindung natürlich schon. Da sieht man zum Beispiel eine Monsterwelle, sicher hundert Meter hoch, die gerade bricht und in ihrer Gischt den Flugzeugträger John F. Kennedy mitreißt: Millionen Tonnen Wasser und Stahl, die für einen Moment wie freischwebend in der Luft hängen; darunter, zwergenhaft verloren, das Weiße Haus. Dann mal los, denkt man.

Im Kino: 2012: Wolkenkratzer, Erdbeben, Flugzeug: Let's rock!

Wolkenkratzer, Erdbeben, Flugzeug: Let's rock!

(Foto: Foto: filmstarts.de)

Oder diese beiden Wolkenkratzer mitten im Erdbeben von Los Angeles, die haltlos ineinanderstürzen und dabei noch ein Flugzeug in ihrer Mitte zu zermalmen drohen: Let's rock!

Menschen sterben dabei, ganz klar. Manchmal sieht man sie sogar. Als zusätzliche kleine Elemente zwischen all dem Feuer, Wasser, Staub und Schutt. Man erkennt sie daran, dass sie zappeln wie Ameisen - aber man fühlt nichts dabei. Oder halt, natürlich doch. Angesichts dieser Urgewalten, Megatonnen, Schubkraft- und Kollisionsenergien, die das Ende der Welt unter sich ausmachen, empfindet man: Lust.

Trailer (Quelle: Sony Pictures Releasing GmbH)

Weitere Videos finden Sie hier

Ein nicht ganz unbekanntes Gefühl. Auf der Lust an der Zerstörung hat der Regisseur Roland Emmerich schon bisher seine Karriere aufgebaut - aber so virulent wie diesmal war die Sache noch nie. Fast jeder kennt ja längst die Bildmarken des Films, die wie eingetragene Warenzeichen funktionieren, aus Trailern, Plakaten, Anzeigen. Und selbst eingefleischte Pazifisten aus dem Freundeskreis, die sonst jedes Flüchtlingsschicksal zartfühlend begleiten, gestehen plötzlich ungefragt und nicht einmal verschämt, wie viel Bock sie gerade jetzt auf eine solche Zerstörungsorgie haben. Der sogenannte Muss-ich-sehen-Faktor, den Hollywoods Analysten statistisch erfassen, zeigt für "2012" einen selten erreichten Höchstwert.

Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil jeder gleichzeitig weiß oder ahnt, dass er den fertigen Film bereits kennt. Viele der Schlüsselszenen dreht Emmerich jetzt zum zweiten, dritten, vierten Mal - das wird schnell evident. Eine besondere Verwandtschaft besteht zu "The Day After Tomorrow", seinem vorletzten Film, der auch schon davon handelte, wie ein dramatischer Wandel in der Natur die Menschheit an den Rand der Vernichtung treibt. Fast scheint es so, als sei da inzwischen eine Standardstruktur der Katastrophe etabliert, die nur noch mit neuen Drehbuch-Stichworten gefüllt werden muss.

Das Allerschlimmste droht

Da ist zum Beispiel, ganz am Anfang, der apokalyptische Messwert. Etwas piept und blinkt. Irgendwelche Wissenschaftler, Meteorologen, Geologen, werden in der beschaulichen Idylle ihrer Forschungsstationen gestört, starren ungläubig auf Computerbildschirme, sehen Werte, die nicht sein können und nicht sein dürfen, weil sie ihre ganzen Theorien über den Haufen werfen.

Im aktuellen Fall passiert etwas mit der Sonne. Die schaltet plötzlich einen Gang höher und schleudert neue, bisher unbekannte Teilchen ins Weltall, die den ohnehin schon glühenden Erdkern weiter erhitzen. Auftritt des engagierten Wissenschaftlers (hier: Chiwetel Ejiofor). Der nimmt die Sache ernst, stellt neue Berechnungen an und kommt unweigerlich zu der Erkenntnis: Das Allerschlimmste droht.

Hier nun folgt das Kapitel "Ignoranz der Mächtigen". Wie üblich spielt es in Washington. Arroganter Präsidentenberater (Oliver Platt) will engagierten Wissenschaftler wegschicken und macht Witze über die "nationale Geologiekrise". Diese Phase ist diesmal allerdings denkbar kurz. Fünf Minuten später tagt bereits eine Art supergeheimer G-20-Gipfel, auf dem die Staatschefs der Welt erkennen: Es passiert wirklich. Niemand kann es stoppen. Und deshalb sagen wir unseren Völkern besser nichts. Die Chinesen werden beauftragt, hoch droben im Himalaya ein paar Hightech-Archen zu bauen, wo ausgewählte Tiere und Menschen an Bord gehen dürfen, sobald die Erdkruste in Bewegung gerät, mit Beben und Supervulkanen und Kontinentalverschiebungen, und Monster-Tsunamis über die Achttausender spülen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Emmerich das perfekte Modell des Kapitalisten ist.

Welle der Vernichtung

Dass das projektierte Datum des Weltuntergangs auf das Jahr 2012 fällt und damit auf das berühmte Enddatum des Maya-Kalenders, um das sich schon lange die wildesten Spekulationen ranken, kommt zwar kurz vor, spielt aber eigentlich keine Rolle mehr - das war nur der Marketing-Aufhänger, der seine Schuldigkeit inzwischen getan hat. Für weitere Esoterik ist auch gar kein Raum mehr, dann nun wird abgeräumt.

Wie oft kann man Los Angeles dem Erdboden gleichmachen, das Weiße Haus pulverisieren, den Petersdom flach-, Las Vegas in Schutt und Asche legen? Offenbar unendlich oft. Einen Logenplatz für die Apokalypse schlagen wir nicht so schnell aus. Es muss nur alles noch ein wenig gewaltiger, detailreicher, aberwitziger aussehen als beim letzten Mal, und das kann Emmerich ohne weiteres garantieren - die Technik der Spezialeffekte und Computeranimationen verbessert sich schließlich täglich.

Die Szene, in der ein Flugzeug gerade noch von der Startbahn abhebt, während hinter ihm eine Welle der Vernichtung heranrollt, hat er schon in "Independence Day" erfolgreich benutzt - hier bringt er sie wieder, Version 2.0 sozusagen, und nicht nur einmal, sonder mehrfach. Der naheliegendste Vergleich ist dabei natürlich der Pornofilm, wo man sich auch kaum mit der Darstellung eines einzigen Geschlechtsakts zufriedengeben würde.

Wie immer sind die Personen, die wir nach und nach kennenlernen und um deren unwahrscheinliche Rettung wir uns sorgen sollen, im Grunde egal. Der geschiedene Autor (John Cusack), der mal einen Roman über den Untergang der Menschheit geschrieben hat, seine Frau noch immer liebt und zu wenig Zeit für seine Kinder hatte? Die hübsche Präsidententochter, die irgendwas damit zu tun hat, dass die Mona Lisa auf die Arche verladen wird?

Der russische Oligarch, der für drei Milliarden Euro drei geheime Arche-Tickets gekauft hat, für sich und seine beiden verzogenen Söhne? Es kommt nicht so darauf an. Sympathischer ist da schon der Verschwörungs-Schrat aus den Bergen (Woody Harrelson), der mit einem kleinen Piratensender seit Jahren den Weltuntergang prophezeit und in dem Moment, als der ganze Yellowstone-Nationalpark sich in einen Vulkan verwandelt, tatsächlich am Kraterrand steht und so lange live auf Sendung bleibt, bis es ihn wegpustet. Er ist unsagbar glücklich in diesem Moment, und damit ist er uns Zuschauern am nächsten: Genau an diesem Kraterrand wollen wir auch stehen.

Abwrackprämie der Welt

Wie aber lässt sich das bizarre Gefühl der Erhabenheit erklären, das einen angesichts dieser Vernichtung ergreift? Wir reden hier schließlich über den Untergang ganzer Völker. Es muss damit zu tun haben, dass die Menschheit als solche eben nicht damit zufrieden ist, alles Erreichte nun sorgfältig für die Ewigkeit zu bewahren. Dagegen steht der Zyklus des Werdens und Vergehens, der allem Leben eigen ist, dagegen steht aber auch die atavistische Logik des Kinderzimmers: Was man sorgfältig aufgebaut hat, will man irgendwann auch ratzfatz wieder kaputtmachen.

Die Naturkatastrophe ist, wenn schon nicht Sühne für unsere Missetaten, dann am Ende einfach der ultimative Konsument. In einer Zeit, in der sogar die Amerikaner plötzlich sparen und nichts mehr ausgeben wollen, nimmt sie uns ab, was wir an gefährlichem Überschuss produziert haben: leerstehende Bürotürme, zwangsvollstreckte Einfamilienhäuser, überzählige Autos. Die virtuellen Buchwerte des Weltfinanzsystems haben wir noch selbst erfolgreich vernichtet, den materiellen Restbestand erledigt nun Roland Emmerich. Beides fühlt sich schrecklich an, aber zugleich auch seltsam befreiend. Die Abwrackprämie der Welt bezahlen wir gern in Form der Kinokarte, und man kann getrost davon ausgehen, dass am Ende dieser Transaktion wieder ein paar Individuen sehr viel reicher geworden sind.

Die Lust daran ist nun natürlich das diametrale Gegenteil jener protestantischen schwäbischen Sparkassenmentalität, aus der Roland Emmerich kommt. Vernunft, Augenmaß und Bürgersinn finden niemals zu solchen Geschichten, sie verstehen nicht einmal ihren Witz. Deshalb musste der Mann nach Amerika fliehen, ins Reich der letzten Konsum-Aristokratie, deren Untergang er nun getreulich begleitet.

Der interessante Widerspruch ist allerdings, dass er seine Wurzeln dabei nicht verloren hat: Heute produziert er Bildvisionen der finalen, kaum mehr zu übertreffenden Maßlosigkeit. Den Produktionsprozess dieser Bilder aber hat er auf höchst kleinteilige, supereffiziente, schwäbisch-protestantische Weise organisiert, mit dem Ziel der stetigen Kostenreduktion. Sein implizites Versprechen an die Studios ist immer dasselbe: Alles dreimal so breit und hoch und orgiastisch wie beim letzten Mal - aber diesmal zum halben Preis.

Das Modell eines perfekten Filmkünstlers war Roland Emmerich noch nie, und er wird es auch nicht mehr werden. Mit "2012" aber macht er endgültig klar, was er ist: das Modell eines perfekten Kapitalisten.

2012, USA 2009 - Regie: Roland Emmerich. Buch: Emmerich, Harald Kloser. Kamera: Dean Semler. Mit John Cusack, Amanda Peet, Chiwetel Ejiofor, Oliver Platt, Woody Harrelson. Sony, 158 Min.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: