Im Kino: "Der Räuber":Die Einsamkeit des Langstreckenläufers

Bankraub als Extremsport: Benjamin Heisenbergs Räuber ist ein Getriebener, man muss ihn wie ein gehetztes Tier erzählen.

T. Kniebe

Der Ausgangspunkt scheint vertraut. Sofort ist da ein Gefühl von Askese, Reduktion, Selbstkasteiung - also das, was Dominik Graf gern das "Protestantische" des neuesten deutschen Films nennt. Man sieht einen Mann - ausgezehrt die Wangen, bleich das Gesicht, kein Gramm Fett am Leib - beim Dauerlauf in einem Gefängnishof. Eine kleine, graue, klaustrophobische Welt. Immer im Kreis herum. Sozialpolitisch natürlich relevant.

So beginnt Der Räuber von Benjamin Heisenberg. Gottseidank kommt es dann bald zur Entlassung, dann spielt alles im gar nicht protestantischen Österreich, und der Horizont weitet sich auch beträchtlich.

Doch diese Verbindung zur erzählerischen Askese, zur Konsequenz, auch zur konsequenten Verweigerung von bestimmten Erzählmustern, die man von Filmemachern wie Christian Petzold oder Angela Schanelec kennt, ist natürlich nicht zufällig. Eine "Schule" mag man das gar nicht mehr nennen - es geht jedoch um einen gemeinsamen archimedischen Punkt, einen Punkt der Dissidenz vom deutschen Eventfilmgedöns, der geographisch überall liegen kann, sogar in München. Wie im Fall des Regisseurs Benjamin Heisenberg, der zusammen mit Christoph Hochhäusler Milchwald geschrieben hat und der mit seinem Regiedebüt "Der Schläfer" bereits nach Cannes eingeladen war.

Heisenberg erzählt von einem österreichischen Marathonläufer, der auch Bankräuber war. Oder umgekehrt. Wahrscheinlich könnte der Protagonist selbst nicht sagen, welche dieser beiden Extremsportarten ihn näher an jene Schmerzgrenzen führt, die er immer von Neuem spüren will und muss. Auf jeden Fall ist es nicht so, dass zum Beispiel der spektakuläre Gewinn des Wiener City-Marathons, der dem Räuber immerhin 15 000 Euro Preisgeld einbringt, die Banküberfälle finanziell überflüssig machen würde.

Ganz im Gegenteil: Jede neue Bestmarke in Sachen Laufzeit oder Bargeldbeute führt nur zur Anpassung des Trainingsplans: Reichte vorher eine Volksbank am Anfang der Woche und eine Sparkasse am Ende, müssen es später gleich zwei oder drei Banken direkt hintereinander sein. Ein Getriebener, klar.

Schrotflinte und Ronald-Reagan-Maske

Die Metapher vom Marathonlaufen und Bankausrauben wirkt wie für den Film geschaffen, sie stammt aber doch aus dem wirklichen Leben. Ein Mann namens Johann Kastenberger, der in der Ruhmeshalle der genial gestörten Österreicher unter dem Namen Pumpgun-Ronnie einen Ehrenplatz einnimmt, hat das Ende der achtziger Jahre in Wien und Umgebung wirklich so durchgezogen. Als Ausnahmeathlet gewann er mehrere große Volksläufe und ist bis heute Rekordhalter des sogenannten Kainacher Bergmarathons.

Als Serien-Bankräuber mit abgesägter Schrotflinte und Ronald-Reagan-Maske, dem schließlich auch mindestens einen Mord nachgewiesen werden konnte, narrte er die Polizei über mehrere Jahre, wurde im November 1988 verhaftet, entkam aber noch während des Verhörs aus dem Fenster, löste die größte Fahndung der österreichischen Geschichte aus und wurde schließlich in der Nähe von St. Pölten angeschossen, woraufhin er sich mit der eigenen Pistole das Leben nahm.

Selbstverständlich darf man so einen Mann nicht psychologisieren. Man muss ihn wie ein gehetztes Tier erzählen. Äußerst karg in seinen Lebensäußerungen - jenseits der reinen Kinetik und Schönheit der Bewegungen. Genauso macht es Benjamin Heisenberg, der in dem Schauspieler Andreas Lust dabei einen kongenialen, hart trainierenden Partner mit kalt funkelnden Augen gefunden hat.

Wenn ein solcher Mann eine Liebesgeschichte erlebt, muss auch die mit den sparsamsten Gefühlen und Verlautbarungen auskommen. Zum Beispiel dann, wenn die Frau (Franziska Weisz) eines Nachts das Geld, die Maske, die Waffe entdeckt - und fragt, wie sie denn nun in diesen Lebensentwurf hineinpasst.

Lautlos flackerndes Blaulicht

"Ich hab einfach nicht mit dir gerechnet", sagt er. Sie geht ein wenig nach draußen, aufgewühlt. Als sie wiederkommt, sagt sie: "Man kann sich entscheiden, daran glaube ich. Und wenn man das nicht tut, dann heißt das was." Ende der Aussprache. Er entscheidet sich. Und sie dann auch - ihn zu verraten. Sie lieben sich immer noch.

Das Spannendste an diesem Film ist dann aber, wie er über das Asketische, das Gequälte, das Sozialpolitische (verkörpert durch einen unerträglich pädagogischen Bewährungshelfer) hinauswächst. Schließlich auch über das Metaphorische - den Marathon Mann, den Langen Lauf zu sich selbst, auch die Einsamkeit des Langstreckenläufers, das gibt es ja alles schon, das sind längst einigermaßen leere Schlagworte.

Die kalte Schönheit der Bilder von Reinhold Vorschneider aber, wenn endlose Taschenlampen-Ketten der im Morgengrauen im Wienerwald aufflackern, zur Treibjagd auf das gehetzte Großwild; oder wenn eine ganze Armada von Polizeiwagen schließlich den Gejagten auf der Autobahn überholt, weil sie dessen Spur einmal mehr verloren hat, lautlos flackerndes Blaulicht, dazu der monotone Schlag des Scheibenwischers, das Eintauchen ins große, nebelgraue Nichts - diese Schönheit hat dann gar nichts mehr mit Askese zu tun oder dem bloßen Abfilmen unserer Volksbanken-Sparkassen-Raiffeisen-Wirklichkeit.

In diesem Momenten hat Benjamin Heisenberg dann in seinem Räuber eine Größe gefunden, die man dem deutschsprachigen Film immer wünschen würde. Und die er nur ganz selten erreicht.

DER RÄUBER, A/D 2009 - Regie: Benjamin Heisenberg. Buch: Martin Prinz, Heisenberg. Kamera: Reinhold Vorschneider. Musik: Lorenz Dangel. Mit Andreas Lust, Franziska Weisz. Zorro, 98 Min.

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