Im Kino: Depardieu in "Bellamy":Würde eines Elefanten

In "Bellamy" lebt Regisseur Claude Chabrol seine Lust an Unordnung aus: zauberhafte Mörder, doppelbödige Geschichten, ein Kommissar mit düsterer Seite.

Susan Vahabzadeh

Es muss schon eine ganz große Leidenschaft sein, die Claude Chabrol mit dem Genre seiner Wahl verbindet. Er ist der Großmeister des Kriminalfilms seit einem halben Jahrhundert, und er hat, einige lustvoll gedrehte Fernsehproduktionen mitgezählt, mehr als siebzig Filme gemacht. Aber es ist nicht die krimi-immanente Sehnsucht nach Ordnung, die ihn umtreibt, sondern die Lust daran, diese gehörig durcheinanderzubringen. Die Lust an trügerischer Idylle, scheinbarer Normalität, zauberhaften Mördern, geschickt kaschierter Dysfunktion.

Im Kino: Depardieu in "Bellamy": Marie Bunel als Francoise Bellamy fügt sich dem Willen ihres Mannes, Gérard Depardieu als Paul Bellamy, der Veränderungen hasst.

Marie Bunel als Francoise Bellamy fügt sich dem Willen ihres Mannes, Gérard Depardieu als Paul Bellamy, der Veränderungen hasst.

(Foto: Foto: ddp)

Gérard Depardieu , der Marlon Brando um die Taille herum immer ähnlicher wird, in seinem Spiel aber immer zurückgenommener zu agieren scheint, und Claude Chabrol sind zwei französische Institutionen; beide Workaholics, doch zusammengearbeitet hatten sie vor "Bellamy" noch nie. Dabei finden die Nonchalance, mit der Chabrol inszeniert, und Depardieus leidgeprüfte Coolness ganz wunderbar zusammen; Depardieu stapft mit der majestätischen Würde eines Elefanten durch diesen Film.

Georges Simenons Romane gehören zu Chabrols Favoriten - zwei davon hat er selbst schon adaptiert - und in seinem "Kommissar Bellamy", dessen Drehbuch er mit seiner Dauer-Koautorin Odile Barski geschrieben hat, schlägt diese Nähe zu Simenon deutlich durch: die Faszination, den Krimi aus den Figuren zu entwickeln, statt, genregemäß, einen Plot mit dem nötigen Personal auszustaffieren. Bellamy ist als Protagonist so hinreißend, dass das Branchenblatt Screen eine ganze Bellamy-Filmreihe am Horizont aufscheinen sieht; der Plot aber ist so doppelbödig und verzwickt, dass man der Sache an sich nicht ganz auf den Grund kommen kann. Aber um die geht es eben auch eigentlich nicht.

Es geht in diesem Film um das leise Grauen vor den eigenen Abgründen. Hauptdarsteller und Figur fließen - das ist bei Chabrol nicht oft so - tatsächlich ineinander. Bellamy ist ein Genießertyp, einer, bei dem man nicht den Eindruck hat, dass ihm das Leben leichtfällt - aber dass er das Beste daraus macht, sich Kompensationen sucht für das Schwere, zermürbende Erinnerungen zur Seite zu schieben weiß . . . Ein Porträt von Gérard Depardieu sollte dieser Film von Anfang an in seinem tiefsten Innern werden, keine biographische Erzählung, sondern eine Studie der Charaktereigenschaften, die Chabrol Depardieu zuschreibt. Depardieu als Mann mit Vergangenheit, als guter Kerl mit einer düsteren Seite - "ein guter Polizist ist immer auch ein guter Samariter", sagt Bellamy zu Beginn des Films.

Chabrol hat ein sinnliches Verhältnis zum Krimi, wie zu einem guten Essen - das sich ja auch nicht dadurch auszeichnet, dass es pappsüß ist oder so scharf, das kein anderer Geschmack durchkommt. Das Bedürfnis, sich mit einem anderen Genre noch einmal neu zu erfinden, hat Chabrol nie gehabt - die Polars waren ihm die ideale Oberfläche, um zu erzählen, was ihn interessiert. Polizisten und Mörder sind eben Menschen, bei denen Beruf und Privatleben nur schwer zu trennen sind.

Eigentlich ist Bellamy, eine über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Größe bei der Pariser Polizei, im Urlaub; er verbringt den Sommer mit seiner Frau Françoise (Marie Bunel) in deren Elternhaus in Nîmes. Ein fremder Mann (Jacques Gamblin) taucht vor dem Haus auf und verstrickt den hilfsbereiten Kommissar in seinen Fall - er nennt sich Gentil, aber eigentlich, so erzählt er Bellamy, ist er der in der ganzen Region gesuchte Versicherungsbetrüger Emile Leullet, der einen Unfall vorgetäuscht hat, um mit dem Geld und seiner Geliebten ein neues Leben anzufangen. Die Leiche im Wrack von Leullets Auto wurde anhand der Zahnarzt-Unterlagen als die eines Obdachlosen identifiziert. Aber er habe den Mann nicht umgebracht, sagt Gentil/Leullet.

Bellamy ermittelt nun, besucht die diversen Frauen im Leben von Leullet, teilt den einen oder anderen arrogant-komischen Seitenhieb aus auf den als inkompetent verschrienen Kommissar Leblanc, der eigentlich zuständig wäre. Und dazwischen muss er sich zu Hause mit seinem bitteren Bruder (Clovis Cornillac) herumschlagen, dessen alkoholisierten Eskapaden, dessen Lebensuntüchtigkeit. Wer aber von den beiden war das schwierige Kind, wer der kleine Engel? Alles, was da mal gewesen sein mag, hat Bellamy überstrahlt, er ist sogar für sein Opfer, seinen Bruder, ein Held.

Ein bisschen verhält es sich so ja auch mit Depardieu, an dessen Bad-Boy-Image man sich heute nur noch dunkel erinnern kann. "Bellamy" steckt voller Trugbilder und Fallen, angefangen beim malerischen Nîmes; hinter den schönsten Fassaden, dort, wo man sie nicht erwartet, lauern immer die schrecklichsten Geheimnisse. Auf manche Fragen will man die Antwort nicht wissen; wie Bellamy, als er für einen kurzen Augenblick herauszufinden versucht, warum sein Bruder aus dem ehelichen Schlafzimmer kommt - lieber nicht.

Der ganze Plot ist ein schönes Spiel mit der Wahrhaftigkeit - das Authentische darin ist Fiktion, das Unglaubwürdige hat Chabrol der Wirklichkeit entliehen; nicht mal der Anwalt am Ende, der als Plädoyer ein Chanson von Georges Brassens schmettert, ist komplett erfunden. Was aber bedeuten die Bilder, wie sicher kann man sich sein, Indizien richtig zu lesen? Wir sehen, was Bellamy sieht; ob tatsächlich das geschehen ist, was er sich zusammenreimt, weiß er am Ende nicht einmal selbst.

Warum nicht immer alles in übersichtlicher Ordnung enden kann? Vielleicht, weil wir es sowieso nicht glauben würden. Die Fiktion, auch die, in der wir Halt suchen, muss der Welt ähnlich sein, damit sie uns nützt.

BELLAMY, F 2009 - Regie: Claude Chabrol. Buch: Claude Chabrol, Odile Barski. Kamera: Eduardo Serra. Mit: Gérard Depardieu, Marie Bunel, Jacques Gamblin, Clovis Cornillac, Marie Matheron, Vahina Giocante. Concorde, 110 Min..

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