Im Kino: Das weiße Band:Im Dorf der Verdammten

Küss die Hand, Herr Vater: Cannes-Gewinner Michael Haneke zeigt in seinem Film "Das weiße Band", wie unter Demütigung Fundamentalismus und Terror entstehen.

Fritz Göttler

Böse Spiele, misanthropisches Geraune, sadistische Impulse und Intrigen, damit muss man rechnen, wenn man sich in einen Film von Michael Haneke setzt, und es tröstet auch nicht unbedingt, dass dies alles meistens sehr gelassen, fast elegant in Szene gesetzt ist. In seinem neuen Film "Das weiße Band" - im Frühjahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet - nimmt die schlimmste Quälszene einen Faden auf, den er in seinem vorigen, "Funny Games U. S." gesponnen hatte. Da wird die Hebamme des Dorfes, die ein Techtelmechtel mit dem Dorfarzt hat, von diesem drastisch verhöhnt, gedemütigt, abserviert: Sie sei ja so hässlich und ungepflegt, habe schlechten Atem - und zu dem wenigen, wofür sie nicht ganz unbegabt ist, gehört, dass sie ihm einen abzureiben versteht. Susanne Lothar spielt dieses arme Opfer männlicher Superpotenz, sie hat einst die terrorisierte Bürgersfrau gespielt in Hanekes erster Funny-Games-Version, 1997.

Die kalkulierende Kälte des Mannes und die hilflose Fassungslosigkeit der Frau, das ist dennoch ungewöhnlich in diesem Film, in dem die Täter oft im Dunkel bleiben, selten gezeigt werden bei ihren gemeinen Funny Games. Die Location ist, wie immer bei Haneke, quasi idyllisch, ein norddeutsches Dorf, in dem alte Gutsherrenpracht sich mit der neuen bürgerlichen Rationalität des 20. Jahrhunderts paart. Ordnung herrscht, ehern und protestantisch. Die Kinder reden das Familienoberhaupt mit Herr Vater an und küssen ihm vorm Zubettgehen die Hand. Damit sie sich nicht selbstbefriedigen, werden ihnen die Arme nachts am Bett festgebunden. Und wenn sie offenbar das Prinzip der Reinheit, der Unbeflecktheit zu vergessen drohen, bekommen sie ein weißes Band um den Arm, um sich besser daran erinnern zu können. Bei all diesen Ritualen erzieherischer Unterdrückung wird das Einverständnis des Betroffenen vorausgesetzt, Burghart Klaußner agiert, als Pfarrer der Gemeinde, da beispielhaft. Er scheint selbst Rutenschläge mit Zärtlichkeit auszuteilen.

Haneke liebt geschlossene Systeme, in denen die Objekte und die Menschen zirkulieren nach festen Regeln und mit voraussehbaren Reaktionen. Er hat auch diesmal Genrekino im Sinn, will sich aber dann doch damit nicht begnügen. Merkwürdige Streiche mit gefährlichen Folgen stören den Alltagsfrieden, keiner weiß, wer dahintersteckt. Ein dünner Draht, zwischen zwei Bäume gespannt, der ein Pferd im Galopp stolpern lässt und dem Reiter, dem Arzt, einen schlimmen Bruch beschert. Ein Arbeitsunfall mit tödlichem Ausgang. Ein nächtlicher Scheunenbrand. Kleinkinder, die drangsaliert, gar gequält werden. Der Schrecken ist nicht wirklich überraschend, er ist Reaktion auf die Stimmung der Gesellschaft, "eine Umgebung", sagt die Baronin, die Einzige, die davon frei zu sein scheint, "die dominiert ist von Böswilligkeit, Neid, Stumpfsinn und Brutalität". Der Verstörung innerhalb der kleinen Welt entspricht die wachsende Verunsicherung draußen - der Film spielt zwischen dem Winter 1913 und dem Sommer 1914. Kurz vor Ende des Films kommt der Verwalter eines Abends zum Baron, es tut ihm leid, dass er stören muss, aber die Nachricht duldet keinen Aufschub: Sie haben den österreichischen Thronfolger erschossen in Sarajewo.

Schwarze Romantik

Michael Haneke hat liebevoll die Atmosphäre der Zeit restauriert, in subtilem Schwarzweiß, ihre Bauten, Versatzstücke, Gesichter, inspiriert von August Sander und all den anderen Fotografen vom Anfang des Jahrhunderts. Aber dann atmen seine wunderbar komponierten Bilder immer auch die Trockenheit all der psychologischen und soziologischen Studien, die Haneke und seine Mitarbeiter gewälzt haben, all die verruchten Bände der Schwarzen Pädagogik, die Studien zur Gewalt in der Erziehung und wie sie den Charakter ins Autoritäre, ins Totalitäre verbiegt. So dass man selbst nach dem Film sich gedrängt fühlt, zum Bücherschrank zu eilen, zu Adorno und Theweleit, Alice Miller und Katharina Rutschky zu greifen.

Es ist ein deutscher Film, gewiss, aber Haneke will ihn nicht allein auf ein deutsches Phänomen, ein deutsches Problem bezogen wissen. Keine Studie zum Ursprung des Nationalsozialismus, es geht generell um Fundamentalismus und Terrorismus. "Der Film versucht nur die Grundlagen zu beschreiben, die Leute für Ideologien empfänglich machen. Wo ein Klima von Unbehagen, Unterdrückung, Hoffnungslosigkeit und Demütigung herrscht, wird Ideologie ihre Ernte halten." Keine deutsche Geschichte, aber dann heißt das Dorf, in dem das alles spielt, merkwürdigerweise Eichwald.

Natürlich glaubt auch Haneke nicht an die Unschuld der Kinder. Aber sein Film will nicht wirklich von der Kraft ihrer Widersetzlichkeit, ihres Widerstands reden - sie scheinen in der Tat verantwortlich zu sein für die schlimmen Streiche in diesem Dorf der Verdammten. Sie teilen mit ihrem Regisseur einen unglaublichen, immer auch perversen Sinn für effektvolle Inszenierung. Wunderschön sind die Gesichter dieser Jungen und Mädchen, mit ihren großen Augen und dem streng an den Kopf gesteckten Haar. Sie sind der Sand im Getriebe, sie verkörpern die Anarchie, vor der Haneke zurückzuschrecken scheint. Je größer ihr Schuldpotential wird, desto reiner sind ihre Gesichter. Sie sind die Kinder der Schwarzen Romantik, die im 19. Jahrhundert den Umsturz der Werte, von Gut und Böse, angezettelt hatte.

Am Ende landet Haneke doch wieder beim Kino als moralischer Anstalt, er reduziert seine historische Perspektive aufs moralische System. Sein Erzähler, der Lehrer des Dorfes, der uns stolpernd, unsicher, bedenklich durch den Film führte, gibt seinen Job auf und kehrt zum Schneiderhandwerk zurück. Was über das Filmende hinauswirkt, sind kleine schillernde Miniaturen, von seziererischer Schönheit. Ein Kanari, dem eine Schere in den Schnabel gerammt wurde - mit ausgebreiteten Flügeln liegt er, ein natürliches Kruzifix, auf dem Schreibtisch des Pfarrers.

DAS WEISSE BAND - EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE, D/Öst./ F/I 2009 - Regie, Buch: Michael Haneke. Dramaturgie: Jean-Claude Carrière. Kamera: Christian Berger. Mit: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Burghart Klaußner, Josef Bierbichler, Susanne Lothar, Detlev Buck. X Verleih, 144 Min. Das Drehbuch zum Film mit Michael Hanekes Arbeitsskizzen ist im Berlin Verlag erschienen.

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