Die wundersam großen, dunklen Augen von Audrey Tautou, hier strahlen sie nicht in naivem Glücksverlangen wie in "Die fabelhafte Welt der Amélie", hier blicken sie streng und kühl, umgeben von einer Aura aus Melancholie. Sie erscheinen etwa so, wie Roland Barthes die Augen der Garbo beschrieb, "schwarz wie seltsames Fruchtfleisch, zwei ein wenig zitternde Verletzungen". Die Augen einer jungen Frau, die 1883 als Hausierertochter Gabrielle Chanel in der französischen Provinz geboren wird, in einem klösterlichen Waisenhaus aufwächst, mit der Schwester durch Varietés tingelt, Sängerin werden will und als Näherin jobbt, zur Luxus-Mätresse avanciert und schließlich als legendäre Mode-Legende grandios Karriere macht.
Das französische Kino kapriziert sich derzeit darauf, extravagante Frauengestalten auf sein Biopic-Karussell zu setzen. Nach Edith Piaf ("La vie en rose") und Françoise Sagan ("Bonjour Sagan") ist nun - im double feature sogar - Coco Chanel dran. Ihrer Liaison mit dem russischen Komponisten Igor Strawinsky widmet sich Jan Kounen in "Coco und Igor", der als Abschlussfilm auf dem Festival in Cannes lief, Cocos Lehrjahre - die Zeit, bevor ihr Name zum Synonym für Haute Couture wurde - schildert Anne Fontaine in "Coco avant Chanel".
Sie steckt die Modeschöpferin, die die Frauen vom Korsett befreite, ins Korsett eines arg konventionellen Kostümfilms: betulich illustrative, in einem Ausstattungs-Rokoko schwelgende Bilder, flache Figurenzeichnung ohne charakterliche Reliefs, ein Potpourri der Anekdoten und Bonmots. Wie Gabrielle im zwielichtigen, spelunkischen Cabaret "Rotonde" von Moulins ihr "Qui qu'a vu Coco sur le Trocadéro" trällert und sich dabei ihren Spitznamen Coco verschafft. Wie sie ihrer Schwester gesteht: "Das einzig Interessante an der Liebe ist Sex. Zu dumm, dass man Männer dafür braucht."
Als biographisches Drama bleibt "Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft" belanglos, aber Anne Fontaine gelingt dann doch etwas Spannendes: sie zeigt die Geburt eines neuen Modestils aus dem Protest gegen soziale Demütigung. Wenn sich Coco als Mätresse des Pferdezüchters Étienne Balsan auf dessen Schloss einquartiert, sperrt ihr "Beschützer" sie zuerst ins Hinterzimmer und hält sie von der feinen Gesellschaft fern. Das erregt Zorn und Stolz der kleinen Coco, und sie beginnt - immer eine Zigarette im Mundwinkel -, ihr Outfit als staunenswerte Extravaganz selber zu schneidern. Sie setzt sich provokant gegen den aufdringlichen, überladenen Rüschchen-und-Flitterkram-Stil der Damenwelt ab, erfindet ihren ganz persönlichen, das Androgyne betonenden Stil aus Strenge und Eleganz.
Coco schöpft ihre Inspiration aus der Erinnerung an die "Waisenkindertracht" - schwarzer Rock, weiße Bluse - und zaubert aus dem Pyjama des Liebhabers ein wunderbar minimalistisches Kostüm. So tritt sie aus dem Schatten der nur geduldeten Kurtisane ins Licht der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Wenn sie dann in einem schlicht zugeschnittenen, aber doch atemberaubend schönen schwarzen Kleid bei einer illustren Soirée erscheint, schrumpft das Treiben der gehobenen Gesellschaft plötzlich zu einem lächerlichen Karneval der Eitelkeiten.
Da wird selbst dem Modeunkundigen klar, welche Revolution dieser Coco-Stil bedeutete. Die Kamera schmiegt sich komplizenhaft dem Blick der Heldin an, und Audrey Tautous Augen werden zum Fixpunkt der Geschehnisse. Metamorphose eines Blicks, der die soziale Zurückweisung mit stolzer Selbstbehauptung beantwortet, und die Mode als eine Möglichkeit entdeckt, sich als Frau elegant und würdevoll selbst zu erfinden.
COCO AVANT CHANEL, F 2009 - Regie: Anne Fontaine. Buch: Anne Fontaine, Camille Fontaine, Jacques Fieschi. Nach dem Roman "L'Irrégulière" von Edmonde Charles-Roux. Kamera: Christophe Beaucarne. Musik: Alexandre Deplat. Mit: Audrey Tautou, Benoît Poelvoorde, Alessandro Nivola, Marie Gillain, Emmanuelle Devos, Cyril Veille, Régis Royer. Warner, 110 Minuten.