Im Kino: "Chéri":Lady Chéri Lady

Ein Mann zwischen zwei Frauen: Stephen Frears schwelgt im Film "Chéri" in opulenten Bilder, schönen Kostümen und den lockeren Sitten der Belle Époque.

Susan Vahabzadeh

Wie Kathy Bates die Kurtisane Charlotte Peloux spielt in "Chéri", dem neuen Film von Stephen Frears, das erinnert schon sehr an das Bild, das man von der späten, immer noch skandalösen Colette hat, der Literatin mit Variété-Vergangenheit. Ein humorvoll sinnlicher Freigeist ist Bates' Charlotte, Colettes Maxime folgend, Laster seien alles Böse, das man ohne Vergnügen tut. Madame Peloux hat einen Sohn (Rupert Friend), Chéri gerufen, nicht alt genug für eine ernste Bindung, also wird er erst mal, quasi zu Ausbildungszwecken, einer Freundin anvertraut, die ähnlich viel für lockere Sitten übrig hat wie sie selbst - der Kurtisane Léa de Lonval (Michelle Pfeiffer).

Im Kino: "Chéri": Melancholische Geschichte, trauriges Ende: Léa (Michelle Pfeiffer) und Chéri (Rupert Friend) trennt ein unüberwindbarer Graben.

Melancholische Geschichte, trauriges Ende: Léa (Michelle Pfeiffer) und Chéri (Rupert Friend) trennt ein unüberwindbarer Graben.

(Foto: Foto: dpa)

Der Mann als Objekt, als Spielball zweier Frauen - an solchen Ideen hatte Colette, obwohl sie dann doch gern von hingebungsvoller Liebe erzählte, große Freude. Sie hatte ihre sehr eigene Vorstellung davon, was Emanzipation bedeutet: Eine wahrhaft kluge Frau verzichtet auf die gleichen Rechte wie ein Mann. Das ist dahingesagt im scherzhaften Glauben an die weibliche Macht über die Lust, ein Denkspiel eher als ein Gesellschaftsentwurf. Colette war sich der Zerbrechlichkeit dieser frivolen Überlegenheit immer bewusst; genau davon handelt "Chéri".

So großartig, so schön, so würdevoll

Léa de Lonval, eine zu Reichtum und Ruhm gekommene Professionelle auf dem Weg in den Ruhestand, ist wild entschlossen, nicht konventionell zu werden oder langweilig, sie will genießen. Aber sie ist 49 Jahre, und damit doppelt so alt wie der Liebhaber, den sie sich da einhandelt, zum Vergnügen - das Spiel verselbständigt sich, es wird zu Liebe, und es will nicht enden, bis es nur noch böse enden kann. Chéri heiratet ein junges Mädchen, und Léa muss sich entscheiden, ob sie ihr eigenes Glück auf Kosten anderer durchsetzen will - und ob es überhaupt noch ein Glück wäre, wenn sie das täte. Colette hat, viel später, der melancholischen Geschichte ein noch traurigeres Ende verpasst, mit dem Buch "La fin de Chéri", dem Film als kurzer Epilog angehängt. Die Zeit und ihre Ungerechtigkeit haben gesiegt, Léa und Chéri trennt ein unüberwindbarer Graben.

Michelle Pfeiffer ist so großartig und schön und würdevoll, dass sie jeden hollywoodianischen Jugendwahn-Befürworter mühelos zum Schweigen bringen müsste - reifere Damen geben die besseren Geschichten ab und oft auch die besseren Bilder. Und Frears schwelgt in Kostümen und in Kleidern, dass einem die Augen übergehen. Er beherrscht eben gegenwärtigen Realismus, in "My Beautiful Laundrette" oder "The Queen", so gut wie vergangene Opulenz - wie kann es einer nur schaffen, seine Bilder so vollzupacken, ohne dass sie unglaubwürdig wirken?

Freiheitssucht am Vorabend des Untergangs

Es steckt in dieser Freude, ein Gestern wiederauferstehen zu lassen, wie sie Frears und Drehbuchautor Christopher Hampton da entwickeln, immer auch die Sehnsucht, Augenblicke festhalten zu können - nicht nur die Belle Époque, nicht nur die Blütezeit von Léa de Lonval, auch die eigene Sternstunde, Frears' Adaption von Hamptons Stück "Gefährliche Liebschaften" nach Choderlos de Laclos' "Les liaisons dangéreuses".

Man sollte in "Chéri" nur nichts suchen von den diabolischen Wahrheiten und den herzzerreißenden Verletzlichkeiten, die in "Gefährliche Liebschaften" offenbar wurden. Es ist in diesem "Chéri"-Drehbuch vieles von der Rezeptur enthalten, mit der Hampton, als die "Liebschaften" 1985 von der Royal Shakespeare Company uraufgeführt wurde - Alan Rickman als Valmont! - Furore machte: Er hat das Gefühl dafür, einen neuen Tonfall in die Dialoge zu bringen und ihnen doch ganz nah zu bleiben, einen sehr britischen Sinn für Humor, Gespür für die Details, aus denen Figuren entstehen. Frears lässt, wie damals in der Verfilmung der "Liebschaften", dem Zeitgeist freien Lauf, huldigt der spielerischen Freiheitssucht am Vorabend des Untergangs, Belle Époque diesmal statt der letzten wilden Nächte des Ancien Régime.

Aber es entsteht dabei nicht dieselbe Reibung - Léa ist eine typische Colette-Heldin: Sie lässt die anderen nicht für ihr Glück leiden. Aber das ist natürlich viel süßer, sanfter, lieblicher - und deswegen auch ein wenig reizloser als Valmont und die Marquise de Merteuil, die fürchterlichen Ränkeschmiede der "Liebschaften", die in ihrer leidenschaftlichen Zerstörungswut, nur aus Übermut letztlich sich selbst zugrunde richten. Léa blickt in den Spiegel wie die Marquise de Merteuil, aber es schaut kein Monster zurück, sondern bloß eine Version ihrer selbst, aus einer einsamen Zukunft, die längst gekommen ist, heimlich und lautlos.

CHÉRI, GB 2009 - Regie: Stephen Frears. Buch: Christopher Hampton. Nach Romanen von Colette. Kamera: Darius Khondji. Ausstattung: Alan McDonald. Mit: Michelle Pfeiffer, Rupert Friend, Kathy Bates. Prokino, 86 Minuten.

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