Im Kino: "Bourne Ultimatum":Schmuddelheld für eine Schmuddelzeit

Für Jason Bourne besteht die ganze Welt aus Action. In "Bourne Ultimatum", dem dritten Film der Serie, vollführt der Agent der Pop-Welter ein mitreißendes Ballett: Die Zukunft gehört denen, die mit dem Körper denken.

Fritz Göttler

Die Welt in Aktion zeigen, das ist das Programm des Paul Greengrass. "World in Action" hieß die Serie der britischen TV-Anstalt Granada, bei der er in den Achtzigern sein filmisches Handwerk lernte. Der Effekt der Unmittelbarkeit des Dabeiseins, wenn Geschichte sich aktualisiert, war wichtig.

Für Reflexion war die Zeit einfach zu knapp. Sein Meisterstück hat Greengrass dann mit dem Kinofilm "Bloody Sunday" geliefert, über eine Demonstration in Derry, die britische Soldaten 1972 in ein Massaker verwandelten. Pures, mitreißendes Eskalationskino, mit dem Stigma der Unausweichlichkeit - und eben dies ist auch der neue "Bourne"-Film.

Denn auch für Jason Bourne besteht die Welt aus Action. So setzt Greengrass Matt Damon ein weiteres Mal als den von Amnesie geplagten Ex-Agenten in Trab. Er muss aus Moskau fliehen, wo wir ihn am Ende des vorigen Films verließen. Auf der Flucht verschlägt es ihn nach Paris, London, Tanger, New York.

Städte, deren Labyrinthe ihm seltsam vertraut sind, die ihm aber nichts bedeuten. Zudem will er endlich das dunkle Geheimnis seiner Herkunft ergründen, seiner zweiten Geburt durch Wasserfolter und Psychoterror im Schoß der CIA. Dort gibt es Leute, die ihn deswegen mit allen Mitteln ihrer Kunst lieber zum Schweigen bringen würden.

"Operation Blackbriar" heißt das Codewort, das bei allen nur unliebsame Erinnerungen beschwört: Einsätze, die um ihrer tödlichen Effizienz willen den langwierigen Dienstweg vermieden. Und Jason Bourne war voll mit dabei.

Spezialagent Ödipus

Das Wissenwollen, wer er ist, teilt Bourne mit den Helden der klassischen Mythen und Märchen. Es verleiht ihnen von Ödipus bis Luke Skywalker ihre Motivation. Natürlich steht da immer eine ominöse Vaterfigur dahinter, die den Sohn zu dem machte, was er ist. Im Fall Bourne eine unfehlbare Killermaschine. Eine Figur, die ihm erst seinen Namen gab und dann seine Erinnerungen an die Zeit zuvor löschte.

Der Erfolg von Bourne kam eher überraschend. Die Einspielergebnisse sind von Film zu Film in ungeahnte Millionen-Höhen geklettert. Am ersten Film, "Bourne Identität", nach dem Roman von Robert Ludlum, hatte man ein Jahr lang gebastelt und nachgebessert.

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Der Drehbuchautor Tony Gilroy, heißt es, hätte - zum ersten Mal in der Kinogeschichte - gegen sich selbst das Schiedsgericht der Screen Writers Guild angerufen, weil er für das Drehbuch nicht allein verantwortlich sein wollte. Er ist dann aber bei den beiden weiteren Filmen dabeigeblieben.

Und eben hat er in Venedig seinen ersten Film als Regisseur vorgestellt, "Michael Clayton" mit George Clooney. Es scheint, die Stars, die in Hollywood durch politisches Engagement von sich reden machen, landen über kurz oder lang alle beim Thriller, beim Spionage- und Agentenfilm. Und Tony Gilroy liefert ihnen die Bücher dazu.

In "Bourne Identität" hatte es tatsächlich eine Lovestory gegeben, eine Beziehung zwischen Jason und Marie (Franka Potente), ein Refugium, eine Idylle, die das Ende der Jagd hätte bedeuten können. Paul Greengrass hat Potente dann zu Beginn der "Bourne Verschwörung" eiskalt gekillt. Sie ist dem Gesetz der Serie zum Opfer gefallen. Seitdem herrschen Unruhe, Hektik, Unsicherheit. Man fühlt sich heimisch im Labyrinth.

Den dritten Teil haben Greengrass und Matt Damon begonnen, ohne dass ein definitives Drehbuch vorgelegen hätte - ganz schön frech für einen Film, der endlich das Geheimnis seines Helden zu klären verspricht. Jason Bourne ist der Mann der George-W.-Bush-Ära. Der Held, der schon in seiner Physis Globalisierung und schonungslose Ausbeutung aller Ressourcen repräsentiert, Erschöpfung und Kollaps signalisiert.

"Nein, das läuft sicher nicht darauf hinaus, zuzuschauen, wie eine tolle Frau im Bikini aus dem Meer steigt", hat Paul Greengrass sarkastisch die Entwicklung des Agententhriller diagnostiziert, "nun haben wir die dunkle Vergangenheit und diese machtvolle Suche nach Erlösung." Sein Bourne ist ein Schmuddelheld für eine Schmuddelzeit. Mehr als mit dem verdrucksten CIA-Funktionär, den Matt Damon in Robert De Niros "The Good Shepherd" verkörpert, hat Bourne gemeinsam mit dem "Bruder Grimm", den er für Terry Gilliam spielte.

Ein Subversiver, ein Anarchist - das gilt auch für Greengrass, der ein Linker geblieben ist, auch wenn er sich nun seinen Traum verwirklichen kann, großes Kino in Amerika zu machen. Bourne ist gewissermaßen Politik von unten, von ganz unten. "Die Leute reden von Bush und Blair", sagt Greengrass, "als würden sich zwei Herrscher auf einem Feld treffen und einfach mal so beschließen, in den Irak einzumarschieren ... Ich finde, das ist keine hilfreiche Art, die Welt zu verstehen."

Noch dieses Jahr will er mit Matt Damon einen weiteren gemeinsamen Film unter Dach und Fach bringen, "Imperial Life in the Emerald City", nach dem Buch von Rajiv Chandrasekaran, dem einstigen "Washington-Post"-Bürochef in Bagdad.

Der mit dem Körper denkt

Entscheidungsträger sind nicht länger die potenten Figuren im Actionkino - wie auch in der Politik. Entscheidungen, die in Echtzeit getroffen werden, sind nie perfekt, sagt Bournes Gegenspieler, der CIA-Mann Vosen, gespielt von David Strathairn (der in Clooneys "Good Night, and Good Luck" der TV-Kämpfer Murrow war).

Er irrt, und Jason Bourne widerlegt ihn mit jedem Schritt, den er macht, mit jedem Handgriff. Es ist die Maxime der Schreibtischtäter, und diese haben inzwischen, im wahrsten Sinne, das Nachsehen. Die neue Überwachungswelt erfordert vom Einzelnen neue Multiperspektivität, in jedem Augenblick muss man die Blicke der anderen berücksichtigen, auf sie reagieren, sie selbst manipulieren. Ein Ballett zwischen tausend Augen, das nur den einzelnen Moment kennt, keine langfristige Dramaturgie.

Greengrass hat sich von allen modernen Filmemachern auf diese neue Weltsituation und Rezeptionslage am schnellsten eingestellt, mit seinem berüchtigten flashigen Montagestil, der keine Einstellung über zwei Sekunden Länge kennt - was nichts mehr mit dokumentarischem, sehr viel aber mit dem neuen Videoclip-Stil zu tun hat. Bourne ist ein Agent der Pop-Welt, die Zukunft gehört denen, die mit dem Körper denken.

In diesem Sinne verdankt sich die Bourne-Dynamik womöglich einem persönlichen grotesken Urerlebnis von Greengrass selbst. Er war in Los Angeles, bekam einen Anruf, er solle doch mal wegen "Bourne Supremacy" bei der Universal vorsprechen.

Enthusiastisch über den möglichen Einstieg ins Mainstream-Kino ließ er sich - ganz der kleine europäische Provinzler - vom Taxi versehentlich zum Universal Themenpark statt ins Universal Studio fahren: "Um mich dann schnell dorthin durchzuschlagen, verwandelte ich mich in Jason Bournes übergewichtigen kleinen Bruder ..."

THE BOURNE ULTIMATUM, USA 2007 - Regie: Paul Greengrass. Buch: Tony Gilroy, Scott Z. Burns, George Nolfi. Musik: John Powell. Kamera: Oliver Wood. Schnitt: Christopher Rouse. Mit: Matt Damon, Julia Stiles, David Strathairn, Albert Finney, Joan Allen, Daniel Brühl. Universal, 115 Minuten.

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