Im Kino: Blue Valentine:Hoffnungslos im Zukunftszimmer

Einfach zerbröselt: Michelle Williams und Ryan Gosling mimen Glück und Ende einer raffiniert montierten Liebe, die ausgerechnet mit einem Feuerwerk zum 4. Juli ausklingt. Ein privates Drama, das die Verunsicherung einer ganzen Nation widerspiegelt.

Martina Knoben

Eigentlich ist das alles sehr nett: ein Haus mit Garten, eine Hundehütte, ein etwa fünfjähriges Mädchen im roten Tüllrock, das mit dem Papa seine Mama mit zärtlichem Raubtiergebrüll weckt. Und als die Kleine nichts essen will zum Frühstück, pickt ihr Daddy (Ryan Gosling) die Rosinen aus dem Müsli, legt sie auf den Tisch und leckt sie auf: "Wir sind Leoparden! Leoparden fressen so."

Themendienst Kino: Blue Valentine

Bereits am Anfang spürt der Zuschauer, das etwas zu Ende ist: Cindy (Michelle Williams) ist von Dean (Ryan Gosling) nur noch angewidert.

(Foto: dapd)

Eine Idylle? Keineswegs. Zermürbender Ehe- und Familienalltag, wie man ihn auf der Stelle wiedererkennt, als Mama Cindy (Michelle Williams) nicht belustigt auf das Essen-wie-die-Tiere-Spiel reagiert, nur genervt: "Ich will nicht zwei Kindern hinterherputzen!"

Boy meets girl, boy loses girl - das sind die beliebtesten, die abgenutztesten Kinogeschichten der Welt. Der besondere Dreh von "Blue Valentine" besteht darin, diese Erzählungen zusammenzubringen, vom Ende und vom Anfang einer Liebe zu erzählen und den Prozess dazwischen einfach wegzulassen - das macht den Verlust umso schmerzhafter. Wobei der Begriff Dreh dem Film nicht gerecht wird.

"Blue Valentine" verdankt seine Klasse gerade nicht einem einzigen brillanten Einfall, sondern vielen stimmigen Einzelheiten. Er ist klug geschrieben und raffiniert montiert, und Michelle Williams und Ryan Gosling blicken ihren Figuren vor allem bei deren Scheitern ehrlich ins Herz. Man versteht Dean und Cindy, indem man ihnen zusieht: wie sie den Partner abweisen, angreifen oder ins Leere laufen lassen, aber doch verzweifelt an ihm festhalten. Michelle Williams wurde dafür für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.

Unwiderstehlich romantisch sind Derek Cianfrance die Rückblenden in seinem Film gelungen, in die Zeit, als Cindy und Dean sich kennenlernten. Es sind Miniaturen, die absolut glaubwürdig sind und doch im Licht der Verklärung alles enthalten, was zu einer klassischen Love Story gehört, von der Liebe auf den ersten Blick bis zum Standardmotiv "unser Song". Cianfrance, der zuvor Werbefilme gedreht hat, mit "Brother Tied" (1998) in Sundance vertreten war, empfiehlt sich damit auch als Romantic-Comedy-Regisseur.

Eher zerbröselt

Eine Szene vor einem Brautladen, in der Ryan Gosling Ukulele spielt und herrlich schräg dazu singt und Michelle Williams für ihn steppt - sehr sexy, ihr Kopf umkränzt von einem Blumenherz am Eingang des Ladens -, gehört schon jetzt zu den unvergesslichen Liebesszenen. Genauso erinnert man sich an die Liebe, wenn sie vorbei ist.

Etwa sechs Jahre später sind die zwei verheiratet und aus New York ins ländliche Pennsylvania gezogen. Etwas ist zu Ende, am Anfang des Films schon, als ihre Tochter Frankie verzweifelt nach ihrem verschwundenen Hund brüllt. Cindy entdeckt ihn später tot am Straßenrand. Als sie Dean davon erzählt, folgt so ein typischer Vorwurfssatz, wie man ihn aus langjährigen Beziehungen kennt: "Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst das Scheißtor abschließen!"

Klägliches Scheitern

Die großen Katastrophen, die im Kino oft eine Ehe scheitern lassen, gibt es hier nicht; diese Liebe scheint eher zerbröselt. Dass die Ehe nicht rundläuft, merkt man auch dem Rhythmus des Films an, der nicht gleichmäßig fließt, sondern die Zeit unangenehm dehnt, wenn die beiden in der Gegenwart streiten, oder unvermittelt in eine Rückblende springt, etwa als Cindy ihrem Ex, der wohl Frankies Vater ist, begegnet.

Cianfrance erklärt nicht viel. Cindy, so viel erfährt man immerhin, hat trotz des Kindes eine Ausbildung als Krankenschwester oder Hebamme absolviert, sie ist gut in ihrem Job, häufig gestresst und lächelt wenig. Michelle Williams kann einen sehr amerikanischen Pragmatismus ausstrahlen. Was sie an Dean, den sie als Umzugshelfer und Hobbymusiker kennenlernte, einmal so anziehend fand, seine ziellose Kreativität, seinen lässigen Charme, den verschwitzten Hauch von Unterschicht und körperlicher Arbeit, seine Bereitschaft, alles für sie zu tun - stößt Cindy mittlerweile nur noch ab.

Aus den Skizzen, die diese zwei einmal waren, die Platz für Hoffnungen und Träume ließen, sind fertige Bilder geworden: eine ehrgeizige, überlastete Mutter und ein Mann, der wenig Ambitionen hat und zu viel trinkt. Er verdient sein Geld als Anstreicher, und so gut wie früher sieht er auch nicht mehr aus.

Wie kann man seinen Gefühlen trauen, wenn sie einfach so verschwinden können? Im privaten Drama scheint die Verunsicherung einer Nation auf, die im vergangenen Jahrzehnt durch Terror, Irakkrieg und Wirtschaftskrise ihr Vertrauen in den Lauf der Welt gründlich verloren hat. Auf Deans T-Shirt ist ein Weißkopfseeadler abgebildet, der amerikanische Wappenvogel, Deans und Cindys Ehe geht ausgerechnet mit einem Feuerwerk zum 4. Juli zu Ende.

Die Szenen, die in der Vergangenheit spielen, hat Cianfrance auf Super-16mm-Filmmaterial und mit der Handkamera gedreht. Alles scheint möglich, auch die Kamera lässt Cindy und Dean jede Freiheit. Die Liebe als Aufbruch ins Offene. Körnig und wie improvisiert sehen die Szenen aus. Die Szenen in der Gegenwart dagegen haben Cianfrance und sein Kameramann Andrij Parekh mit zwei digitalen Red-Kameras aufgenommen, deren hyperrealistische Abbildung Cindy und Dean in der Wirklichkeit festnagelt. Sie gehen mit dem Teleobjektiv ganz nah an die beiden ran, drücken sie förmlich in ihre Hintergründe, lassen alles ganz eng aussehen. Lange halten die zwei sich in einem so deprimierenden wie skurrilen "Future Room" auf, in einem billigen Liebeshotel, in dem sie einen letzten Versuch starten, ihre Ehe zu retten.

Klaustrophobisch wie ihre Ehe

Er scheitert kläglich. Das Zukunftszimmer ist so klaustrophobisch wie ihre Ehe, trashig eingerichtet und steril, Dean erinnert es an die Vagina eines Roboters. Er spielt eine CD mit einem Lied, das unbeholfen, aber vollkommen "richtig" klingt, wie ihre Liebe, als sie anfing, "You and Me", ein unbekannter Ohrwurm von "Penny & the Quarters". In der Gegenwart weckt er die Hoffnung auf eine Zukunft; wenn wir den Song später noch einmal hören, gewissermaßen in der "Urszene", wird klar, wie viel sich geändert hat. Der Film liefert keine Erklärungen dafür, keine Psychologie. Er ließe sich auch über seine Songs erzählen: "We Belong Together", "You Always Hurt the One You Love" und "Smoke Gets in Your Eyes".

BLUE VALENTINE, USA 2010 - Regie: Derek Cianfrance. Buch: D. Cianfrance, Joey Curtis, Cami Delavigne. Kamera: Andrij Parekh. Schnitt: Jim Helton, Ron Patane. Musik: Grizzly Bear. Mit: Ryan Gosling, Michelle Williams, Faith Wladyka, Mike Vogel. Senator, 112 Minuten.

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