Im Kino: "10.000 B.C.":Am Anfang war das Popcorn

Kindischer Trash oder Urzeitepos? Roland Emmerichs naturromantisches Frühzeitepos "10 000 B.C." springt zurück an den Anfang der Zivilisation, Klimawandel, Romanze und Stammesstreit inklusive.

Von Johan Schloemann

In den frühen sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann die "Familie Feuerstein" mit ihrem beispiellosen Erfolg. Yabba-Dabba Do! Was wie eine Rückkehr zu den primitiven Ursprüngen der Menschheit aussah, war in Wahrheit Ausdruck eines tiefen Vertrauens des Westens in seinen Fortschritt und seinen Wohlstand.

Die Zeichentrickserie handelte von einem optimistischen, der existenziellen Angst entledigten amerikanischen Mittelstand, dem die Technik half: Es gab Barbecue, es gab Autos mit Steinrädern, und Mammuts wurden als Staubsauger eingesetzt. Der schwierige Kampf ums Dasein im Urzustand, der immer den Ausgangspunkt für die Vorstellungen von der menschlichen Vergesellschaftung gebildet hatte, wurde in ein Vorstadtvergnügen verwandelt.

Wenn sich auch dieser humoristische Umgang mit unseren Anfängen noch bis zu Filmen wie "Ice Age" fortsetzt, so nimmt doch gegenwärtig etwas ganz anderes überhand: eine zutiefst humorlose Zivilisationsmüdigkeit. Ständig zerbricht die Kultur, ständig geht New York kaputt, ständig schneiden irgendwelche vielversprechenden jungen Männer ihre Karriere und ihre Kreditkarten mit der Schere durch, um lieber durch Flüsse zu waten und sich mit Grizzlybären anzufreunden.

Nicht zuletzt der deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich hat sich als Städtezerstörer im großen Stil bewährt ("Independence Day", "Godzilla", "The Day after Tomorrow"), und so hat es eine gewisse Folgerichtigkeit, wenn er nun mit seinem Frühzeitdrama "10 000 B.C." vom Ende der Zivilisation zu ihrem Anfang springt.

Die Schwierigkeit jeder Erzählung vom Menschen aber ist: Einen absoluten, unschuldigen Anfang kann es nicht geben. Allenfalls äußerst kurz kann die Erzählung dort verweilen; die Dynamik der Kulturentwicklung, der wir offenbar so gern entfliehen möchten, ist aber einfach nicht aufzuhalten. Das heißt: Ein abendfüllender Film über den glücklichen Naturzustand, wie ihn Rousseau sich imaginierte, wäre sehr, sehr langweilig. Es müssen Konflikte her - wie schon in Jean-Jacques Annauds Film "Am Anfang war das Feuer" von 1981, in dem Homo Sapiens und Neandertaler aufeinandertreffen.

Verhängnis der Hochkultur

Und so geht es auch dem sympathisch naiven prähistorischen Bergvölkchen von Jägern und Sammlern, zu dem uns Roland Emmerich führt: Für diesen Stamm, in dem trotz unwirtlicher Wohnverhältnisse grundsätzlich alles ziemlich in Ordnung zu sein scheint, liegt trotzdem gleich von Anfang an der Wandel in der Luft. Die Eiszeit ist nicht, was sie einmal war. Der Klimawandel ist schon hier ein Problem, die Mammuts, die vom Stamm der Yagahl verehrt und gejagt werden, kommen nicht mehr so verlässlich vorbei wie sonst. Kein Zweifel, es wird Veränderungen geben.

Als die sonore Stimme des Heldenerzählers, im Original von Omar Sharif gesprochen, anhebt, da steht ein schlimmer Angriff bevor. Gemeint ist nicht derjenige der aufwendig computeranimierten Mammuts: Dieser Angriff ist willkommen, weil er ein Spektakel bietet, in dem der junge Held des Films - sein Name lautet umgekehrt, nämlich D'Leh - dabei den begehrten weißen Speer des Anführers erwirbt. Und weil Mensch und Tier, das ist eine Botschaft dieses Films, einander zwar gelegentlich jagen mögen, aber im Urzustand ein respektvolles, gleichgewichtiges Verhältnis zueinander haben, solange weder Mensch noch Tier versklavt werden. So bastelt man einen Sandalen-Öko-Blockbuster.

Nein, verhängnisvoll ist der Einfall von "vierbeinigen Dämonen", die sich als berittene Sklavenhalter einer fernen, viel weiter entwickelten und offenbar gerade deswegen so brutalen Hochkultur erweisen. Diese Leute haben Baukunst, Schrift, Schifffahrt, Religion und Pferdezucht, und das alles ausschließlich zu dem Zweck, ein gigantisches, totalitäres, unterdrückerisches Gottkönigtum aufrechtzuerhalten. Sie rauben der Menschheit die Unschuld und unserem Helden seine Freundin Evolet (Camilla Belle). Was indes den erwähnten Vorteil hat, dass bei den Yagahl außer Sammeln und Jagen mal endlich etwas passiert.

Denn natürlich muss D'Leh, der auserwählte Heiland (Steven Strait), seine geraubten Stammesbrüder und seine Verlobte heimzuholen versuchen, und natürlich wächst ihm die Aufgabe zu, als weißer Anführer mehrerer Naturstämme im Kampf gegen jene bösen Pyramidenbauer nicht bloß die Frau seines Lebens, sondern die ganze Menschheit samt widerwillig domestizierter Mammuts zu retten. Diese Mission nun gibt Emmerich die Gelegenheit, allerlei popcorn-taugliche Szenen aneinanderzureihen, und das in einer Welt, in der das Popcorn gerade erst erfunden wird.

Zivilisationskritik

Es geht zu Fuß kreuz und quer durch prähistorische Epochen wie durch höchst verschiedene Klimazonen - gedreht wurde in Neuseeland, Südafrika und Namibia -, es gibt unterwegs die hoffnungsvollen Anfänge des Ackerbaus zu bestaunen (laut Rousseau der Anfang des zivilisatorischen Elends), es gibt auch ein wenig Dino-Action im Urwald und, nicht zu vergessen, einen gleichfalls höchst aufwendig computeranimierten Säbelzahntiger. Unser Held D'Leh befreit ihn aus einer Wasserfallgrube, wegen seiner ganzheitlichen Natur-Einstellung, siehe oben, so wie Daniel dem Löwen den Dorn aus der Pranke zog.

Dieser Film - der wegen der archaischen Atmosphäre bewusst auf eher unbekannte Schauspieler setzt - sollte nicht als Lehrfilm für Ur- und Frühgeschichte eingesetzt werden. Sich auf Emmerichs Kulturchronologie einen Reim zu machen, wäre so sinnvoll, wie aus den Altersangaben im Alten Testament eine historische Demographie zu erstellen. Für Prähistoriker ist "10.000 B.C." wahrscheinlich ein Albtraum - für alle anderen ist es ein herzerwärmend kindischer Trash, der zugleich mit dem tiefen Ernst der Zivilisationskritik daherkommt.

Doch auch der Urzustand ist ohne hochgezüchtete Technik nicht zu haben: Roland Emmerich hat erklärt, er habe sich erst jetzt an die Computer-Mammuts gewagt, weil noch vor einigen Jahren für deren glaubwürdige Darstellung die Rechenleistung nicht ausgereicht hätte.

10.000 B.C., USA 2008 - Regie: Roland Emmerich. Buch: Roland Emmerich, Harald Kloser. Kamera: Ueli Steiger. Musik: Harald Kloser, Thomas Wanker. Erzähler: OmarSharif. Mit: Steven Strait, Cliff Curtis, Camilla Belle, Joel Vigel, Mona Hammond. Warner, 109 Minuten.

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