Im Interview: Tori Amos:,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit''

Ja, das hat sie tatsächlich im Interview gesagt. Dabei war ausgemacht, dass über die Liebe gesprochen werden sollte. Wurde dann auch. Wurde überhaupt zunehmend sanfter. Bis, ja, bis über die Kirche gesprochen wurde.

Willi Winkler

Tori Amos, amerikanische Musikerin, kam 1963 zur Welt. Sie kann sich eines indianischen Großvaters aus dem Stamm der Cherokee rühmen. In ihren Liedern erzählt sie freimütig von Affären und Depressionen. In dem Song ,,Me And A Gun'' beschreibt sie, wie sie von einem Fan mit vorgehaltener Pistole vergewaltigt wird. Mit ihrem Stil genießt sie bei Fans fast religiöse Verehrung. An diesem Wochenende erscheint die Doppel-CD ,,American Doll Posse''. Tori Amos lebt mit ihrem Mann, dem Tontechniker Mark Hawley, und der gemeinsamen Tochter Natashya in Cornwall an der englischen Küste. Im Juni geht Tori Amos auf Deutschlandtournee. Hamburg: 4. Juni, Düsseldorf: 6. Juni, München: 7. Juni, Stuttgart 10. Juni, Nürnberg: 11. Juni, Berlin: 17. Juni, Frankfurt: 30. Juni.

Tori Amos

"Dieser monotheistische männliche Gott, in dessen Namen Menschen kämpfen, er hat nichts mit kreativer Kraft gemein. Ich hab' das hinter mir. " Tja, und jetzt sind Sie als Interviewer dran!

(Foto: Foto: Sony)

SZaW: Miss Amos, wenn Sie ins Studio gehen, ist Ihr Mann als Aufnahmeleiter immer dabei. Sie sind aber Ihre eigene Produzentin. Kann das gutgehen?

Tori Amos: Warum denn nicht?

SZaW: Sie krachen sich nie?

Tori Amos: Ich habe schon mal damit gedroht, dass ich mit 'ner Knarre ins Studio komme.

SZaW: Sie? Mit einer Knarre?

Tori Amos:,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit'', habe ich gesagt.

SZaW: Und dann haben Sie geschossen.

Tori Amos: Nein, aber ich war in starker Versuchung.

SZaW: Warum? Weil die Techniker nicht die Sklaven waren, die Sie brauchten?

Tori Amos: Nein, sondern weil es im Studio manchmal leidenschaftlich und hitzig werden kann. Wenn Künstler und Techniker zusammenkommen, hat jeder seine Vorstellungen. Einer muss dann sagen: ,,Wir machen das so und so, und du gibst jetzt nach.'' Ein Revolver wäre da sehr nützlich: ,,Du machst das jetzt!''

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

SZaW: Wie muss man sich das vorstellen: Sie laufen zwischen Mikrophon und Kontrollkabine hin und her, setzen den Hut der Künstlerin ab und den der Produzentin auf?

Tori Amos: Genau so.

SZaW: Ein bisschen wie Hase und Igel.

Tori Amos: Es sieht aus wie in einer Verwechslungskomödie. Aber das gehört dazu, dass man seine Gestalt verändert.

SZaW: Und Sie können das?

Tori Amos: Es ist ein Talent, über das die Indianer verfügen. Mit einem englischen Journalisten würde ich nie über so etwas reden, weil die so zynisch sind. Die haben Probleme mit einer Kultur, die nicht in ihr Weltbild passt. Deutsche können das eher, die sind analytisch.

SZaW: Danke.

Tori Amos: Wenn man sich eine Zeitlang bei Medizinmännern aufhält, auch bei Medizinfrauen, erfährt man, dass sie in der Lage sind, ihren Körper als Gefäß zu benutzen. Sie lassen die Energie hin und her wandern. Es ist eine Disziplin, eine Form von darstellender Kunst. Es kann aber auch vorkommen, dass wir fünf Stunden über verschiedenen Musikstücken verbringen, und es trotzdem nichts wird.

SZaW: Dieses ,,Es'', was ist das?

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

Tori Amos: Alles. Wir haben keine Musik, keine Performance, wir haben keine Künstlerin. ,,He, wo ist sie eigentlich?'' Dann muss der Produzent in der Lage sein, sich mit den Technikern zusammenzusetzen und die Situation zu klären. Als Tontechniker stellt der Mann die richtigen Fragen. ,,Was wollen wir? Hat die Künstlerin womöglich das Haus verlassen?''

SZaW: Wer ist in einer solchen Situation eher in Versuchung, die Waffe einzusetzen: Sie oder Ihr Mann?

Tori Amos: Jeder hätte seine Fingerabdrücke drauf. Auch Natashya. Sie würde sagen: ,,Mama, Papa - pfft!''

SZaW: Wie alt ist Ihre Tochter jetzt?

Tori Amos: Sechseinhalb. Kennen Sie ,,Die Nacht des Jägers''?

SZaW: Den Film von Charles Laughton, mit Robert Mitchum als bösem Prediger?

Tori Amos: Ich habe den Film neulich abends wieder gesehen! Da sitzt Lillian Gish in ihrem Schaukelstuhl mit dem geladenen Gewehr im Schoß. Sie verteidigt die Kinder, sie verteidigt vielleicht auch eine Ideologie. Dieses Gewehr muss aber nicht Gewalt bedeuten. Es kommt vielleicht nicht zum Einsatz - es sorgt nur für Ordnung.

SZaW: So wie der Produzent Phil Spector, der in die Studiodecke geschossen hat: ,,Alles hört auf mein Kommando!''

Tori Amos: Hoffen wir, dass ich im Ernstfall nach oben ziele.

SZaW: Sind Sie eine gewalttätige Frau?

Tori Amos: Nein, so sehe ich mich nicht. Ich bin allerdings keine Idealistin, sondern sehr pragmatisch. Was ich in vergleichsweise kurzer Zeit zustande gebracht habe, wäre nicht möglich gewesen ohne die entsprechende Entschiedenheit: ,,Das müssen wir jetzt schaffen, los, Leute!''

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

SZaW: Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt sülzen muss, aber eine nur pragmatische Frau könnte doch nicht Ihre Musik machen.

Tori Amos: Glauben Sie?

SZaW: Ja. Sonst wären Sie Joan Jett geworden oder Gloria Gaynor: ,,I am a woman...''

Tori Amos: Vielleicht wäre ich bloß gern pragmatisch, und der Mann ist es. Wenn ich fliege, und ich lebe praktisch im Flugzeug, kommt es oft zu Turbulenzen, und das Flugzeug sackt auf einmal dreitausend Meter ab. Die anderen krallen sich fest, bis die Knöchel hervortreten ...

SZaW:. . . ja, ich zum Beispiel . . .

Tori Amos:. . . mich macht das nicht nervös. Etwas sagt mir immer: Da unten sind Delphine.

SZaW: Sie glauben, Delphine würden Sie beim Absturz retten?

Tori Amos: Nein, aber mir ist klar, dass es jederzeit vorbei sein kann. Wir wachen alle am Morgen auf, aber nicht alle erleben abends den Sonnenuntergang.

SZaW: Ist das Fatalismus? Oder nennen Sie das dann Kismet?

Tori Amos: Mir gefällt dieses Wort - Kismet.

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

SZaW: Aber nur das Wort.

Tori Amos: Wir haben eine Bestimmung. Ich habe keinen Einfluss auf das, was kommt, aber auf die Wahl, wie ich damit umgehe.

SZaW: Aber jetzt seien Sie mal ehrlich: Senden Sie bei Turbulenzen nie ein Stoßgebet zum Himmel und geloben, ein Kirchlein auf den weißen Klippen von Dover zu stiften, wenn Sie lebend davonkommen?

Tori Amos: Not in your fucking life! Ich bin eine Pfarrerstochter und würde es grad deshalb nicht tun. Dieser monotheistische männliche Gott, in dessen Namen Menschen kämpfen, er hat nichts mit kreativer Kraft gemein. Ich hab' das hinter mir.

SZaW: Wie lang sind Sie in die Kirche gegangen?

Tori Amos: 21 Jahre. Ich bin 21 Jahre lang vier Mal in der Woche in die Kirche gegangen!

SZaW: Seit wann?

Tori Amos: Schon als Baby wurde ich mitgenommen, und ich bin noch mit, als ich bereits mit roten Lederhosen in Musikclubs spielte. Aber mein Vater hat mich unterstützt.

SZaW: Er ist Methodistenprediger. Das sind doch die schlimmsten.

Tori Amos: Er ist kein Fundamentalist, er wurde an der Boston University promoviert.

SZaW: Was sagt Ihr Vater dazu, dass Sie Ihre Kunst, die Sie in der Kirche erlernt haben, für etwas so Profanes wie Rockmusik missbrauchen?

Tori Amos: Er wollte natürlich, dass ich Kirchenmusik komponiere. Er hat inzwischen dazugelernt, aber ich kann ihn nicht dazu bringen, die gnostischen Schriften zu lesen. Das ist die Grenze, die er nie überschreiten wird.

SZaW: Damit verhält er sich nur kirchenkonform; die gnostischen Evangelien gehören nicht zum Kanon der Bibel.

Tori Amos: Statt zu sagen, gut, wir nehmen die gnostischen Evangelien wie einen verlorenen Sohn mit in den Kanon auf, verteidigt er diese Entscheidung. Darum habe ich mir auf dem Cover von ,,Boys for Pele'' das Ferkel an die Brust gelegt - weil das Ferkel nicht koscher ist.

SZaW: Vor allem ist es schlimmste Blasphemie.

Tori Amos: Beste Blasphemie.

SZaW: In den katholischen Ländern sind Sie damit unten durch.

Tori Amos: Ich bin aber nicht Katholikin, sondern Gnostikerin. Im frühen Christentum wäre ich der gnostischen Richtung gefolgt. Ich lebe aber heute und glaube deshalb an die Macht der Mythen, an das, was Joseph Campbell die ,,Kraft der Mythen'' genannt hat. In den amerikanischen Schulen erfährt man nicht viel über diese Mythen.

SZaW: Aber entschuldigen Sie, Campbells Buch ,,Der Heros in tausend Gestalten'' ist doch die Grundlage für George Lucas' ,,Star Wars''-Mythologie. ,,Krieg der Sterne'' ist der erfolgreichste Film aller Zeiten. In einer bestimmten Generation in den USA verdrängt dieser Mythos doch die biblischen Geschichten.

Tori Amos: Und das ist auch gut so. Wenn man heute in Amerika aufwächst, hört man in der Sonntagsschule die Geschichte von der Jungfrau Maria und Maria Magdalena und all das, aber doch nichts über Athene, über Artemis, Demeter und Persephone. Vielleicht helfen da meine Songs über die fünf Frauen.

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

SZaW: Ihre Girls. Müssen diese Mythen durch eine Frau vermittelt werden?

Tori Amos: Ich bin nun mal eine Frau...

SZaW:...schon wieder Gloria Gaynor...

Tori Amos: Bei der Produktion von ,,American Girl Posse'' spielte das Testosteron eine große Rolle. Wenn man mit den Mädchen wie mit gleichberechtigten Spielern umgeht, ist das für mich sehr testosteronbestimmt.

SZaW: Aber Sie sind kein verkleideter Mann?

Tori Amos: Wäre das nicht toll? Ich habe wirklich drüber nachgedacht. Ich bin genau so alt wie Johnny Depp. In meinem Alter bin ich in meinem Geschäft jenseits der Wahrnehmungsgrenze, während Depp oder Brad Pitt gerade erst begehrenswert und sexy werden.

SZaW: Johnny Depp wirkt recht transsexuell, wenn er als Pirat das Mascara trägt.

Tori Amos: Sieht das nicht toll aus? Es steht ihm gut. Mit 43 sollte man ein Mann sein.

SZaW: Pip, eine der Göttinnen, die auf Ihrem Album auftreten, ist der griechischen Göttin Athene nachempfunden. Athene ist zwar eine Frau, aber ein ganz und gar männliches Geschöpf.

Tori Amos: Interessant.

SZaW: Bitte widersprechen Sie mir: Athene ist eine Intellektuelle, sie erscheint in der Rüstung, und sie ist die Lieblingstochter von Zeus: Er hat sie selber geboren, sie entsprang seinem schmerzenden Schädel.

Tori Amos: Meine Mädchen beruhen frei auf überlieferten Archetypen, die in der modernen Welt leben.

SZaW: Und welche davon sind Sie?

Tori Amos: Ich sorge dafür, dass sie alle gleichberechtigt auftreten können. Bei meiner Tournee werde ich jeden Abend eine andere sein. Im Moment bin ich keine von ihnen. Ich sitze hier als ihre Schöpferin.

SZaW: Zu Hause sind Sie vor Gott und der Welt verheiratet und können nicht fort. Sie sind auf einen Typ festgelegt.

Tori Amos: So komme ich mir gar nicht vor. Ich habe mich dafür entschieden, und ich glaube, der Mann auch. Hoffe ich jedenfalls.

SZaW: Sie sind sich also nicht sicher.

Tori Amos: Doch. Bedauern Sie ihn nicht, er kann fünf Frauen ausführen, und er hat jede Einzelne um ein Rendezvous gebeten.

SZaW: Und wen hat er als Erstes haben wollen? Santa, also Aphrodite?

Tori Amos: Sag ich nicht.

SZaW: Bitte.

Tori Amos: Ja, es war Santa. Er mag sie aber alle. Pip macht ihm ein bisschen Angst, sie befindet sich auf einer Suche und ist wie Athene mit Krieg und Gewalt beschäftigt.

,,Beim nächsten Mal bringe ich einen Revolver mit‘‘

SZaW: Einmal angenommen, Sie sind für einen Tag Clyde, die Persephone aus Ihrem Album, und diese Kunstfigur Clyde verliebt sich in einen wirklichen Mann. Sie kommen nach Hause zurück, beichten es Ihrem Mann und sagen: ,,Ich war dir nicht untreu, das war Clyde.''

Tori Amos: Schwierige Frage, das bleibt dann zwischen Clyde und mir. Der Mann will nicht wissen, was da war, er will alle fünf Mädchen. Wenn es um den Bühnenauftritt, die Technik, die Lightshow, wenn es um Arsenal London geht, kann er mit mir reden - aber sonst nicht. Er versteht mich, und es gibt Dinge, die man eine Frau nicht fragt. Er fragt nicht. Natürlich haben wir auch eine starke körperliche Beziehung.

SZaW: Und Sie bleiben einander treu?

Tori Amos: Wir wissen beide, dass es Konsequenzen hätte, wenn bei mir was passieren würde oder bei ihm. Eine Stunde später wäre es im Internet. Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich glaube keine Sekunde, dass ihn, seitdem wir verheiratet sind, keine andere Frau mehr interessiert hat.

SZaW: Oder Sie ein anderer Mann.

Tori Amos: Es gibt Abende, da spüre ich auf der Bühne, wie von irgendwo, sagen wir vom oberen Rang links, Energie kommt. Ich sehe es ja nicht, und es könnte eine Großmutter sein, aber für einen Moment vereinigen wir uns. Das hat aber nichts mit unserem Leben als Ehepaar zu tun, das eine gemeinsame Tochter hat.

SZaW: Es muss doch schwer für einen Mann sein, der in der blendenden Gegenwart einer Sängerin lebt.

Tori Amos: Er ist ein ganz besonderer Mann, darum lebe ich mit ihm zusammen. Ich habe nicht den einzigen genommen, den ich kriegen konnte. Er kam als Techniker zur 1994er Tournee. Für ihn nicht, aber für mich war es Liebe auf den ersten Blick. Ich habe ihn lange aus der Ferne beobachtet und ihn dann ausgewählt. Natürlich haben ich ihn in dem Glauben gelassen, er hätte mich gewählt.

SZaW: Und dann haben Sie ihn in Ihr Königinnenreich eingelassen.

Tori Amos: Er musste sich mit all den Gestalten und Figuren auseinandersetzen, die ich vor mir und um mich herum aufgebaut habe, bis er ins Heiligtum vorgelassen wurde. Unterwegs freundete er sich mit allen an.

SZaW: Auch mit Ihrem Leben als Star?

Tori Amos: Er hat kein Bedürfnis, Teil der Szene zu sein. Er hat seine Leidenschaften, aber Hollywood-Partys langweilen ihn. Er arbeitet hinter der Bühne für mich, er will nicht bekannt sein.

SZaW: Ist er der Prinzgemahl?

Tori Amos: Ich nenne ihn den Zauberer - ein Ritter an der Tafelrunde.

SZaW: Er spielt alle Ritter der Tafelrunde, der Sie vorsitzen.

Tori Amos: Einer reicht mir. Er will, dass ich mit den Tourneen aufhöre. Dafür haben wir das Studio erweitert, und im Moment arbeitet er dort mit Nachwuchsbands. Aber das funktioniert, ich finde ihn und ich finde unser Verhältnis: sexy.

SZaW: Er muss Sie bewundern, aber ist er nicht auch eifersüchtig auf Ihr Publikum?

Tori Amos: Ich könnte gar nicht mehr geliebt werden, denn der Mann trägt mich auf Händen. Der Mann ist da, wenn ich mit den Drachen und Dämonen kämpfe. Er ist mein Ritter, wenn ich mich mit den Lindwürmern herumschlage und bis zum Hals in unfertigen Songs und Arrangements stecke, die nicht funktionieren. Manchmal müssen wir deswegen streiten, aber auch das ist sexy, weil wir es so leidenschaftlich betreiben.

SZaW: Er ist stolz auf Sie.

Tori Amos: Ja natürlich, aber vor allem ist der Mann die Kraft dahinter, die Kraft, die mich antreibt, aber selber auf dem Boden geblieben ist. Der Mann sagt zu mir: ,,Du steigst auf wie ein Drachen und fliegst im Wind. Du sollst aber wissen, auch wenn tausend böse Geister kommåen, die versuchen, mir die Schnur hier aus meiner Hand zu winden, ich halte dich fest und bin hier, wenn du wieder herunterkommst.''

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