Im Interview: Peter Saville:Eine Vorstellung von Coolness

Mit seinen Plattenhüllen brach Peter Saville jede Regel, die in der Musikindustrie existierte. Im Interview spricht der berühmte Graphikdesigner über Pop und Porno.

Dirk Peitz

Der Brite Peter Saville, Jahrgang 1955, ist einer der einflussreichsten Cover-Gestalter der Popkultur. Er entwarf die Plattenhüllen des von ihm mitgegründeten Musiklabels Factory Records, bei dem unter anderem Joy Division, deren Nachfolgeband New Order und die Happy Mondays veröffentlichten. Nach dem Bankrott von Factory Records 1992 arbeitete Saville als Grafikdesigner unter anderem für Modelabels wie Yohji Yamamoto und Stella McCartney. Derzeit ist Saville von seiner alten Heimatstadt Manchester beauftragt, der Stadt ein neues visuelles Image zu geben. Die Berliner Galerie Neu präsentiert nun Savilles erste Werkschau in Buchform, die unter dem Titel "Estate 1 - 127" bei JRP Ringier erschienen ist.

Im Interview: Peter Saville: Mit seinen provozierenden Plattenhüllen brach Peter Saville das Regelwerk der Popkultur.

Mit seinen provozierenden Plattenhüllen brach Peter Saville das Regelwerk der Popkultur.

(Foto: Foto: oH)

SZ: Mr Saville, ist Pop tot?

Peter Saville: Das ist eine Frage der Perspektive. Wenn man wie ich die Popmusik als Teil eines historischen Prozesses der soziokulturellen Nachkriegsdemokratisierung versteht, ist sie tot. Die Jugendkultur war eine Neuerfindung der Nachkriegszeit, Jugend war vorher eine romantische Idee, aber keine Warenwelt. Mit ihrem Marktwert aber erhielt die Jugend auch eine Stimme, und bis in die siebziger Jahre gab es dann kein anderes kulturelles Feld als Pop, das ein vergleichbares Versprechen auf gesellschaftlichen Wandel gemacht hätte. Die Idee des Individuums, überhaupt von Identität, Geschlecht, Sexualität, wurde wesentlich von Popmusik transportiert. Das ist heute vorbei. Alles, was die Popmusik verändern konnte, hat sie auch verändert.

SZ: Und nun?

Saville: Nun läuft Pop in einer endlosen Wiederholungsschleife weiter. Trotzdem ist er notwendig, denn aus einem unerfindlichen Grund lieben es 14-Jährige, 18-Jährigen beim Gitarrespielen zuzuhören. Wir Älteren tun es auch. Mehr aber kann Popmusik nicht mehr für uns tun - außer da zu sein.

SZ: Das Internet hat den Pop also nicht getötet, er war vorher schon tot?

Saville: Absolut. Pop war das erste kulturelle Feld, das vom Demokratisierungsphänomen zur Strecke gebracht wurde. Danach kam die Mode dran, dann das Design, im Moment erleben wir den gleichen Prozess in der bildenden Kunst: Die Massen drängen von hinten in der Schlange nach vorn, da wo die vermeintlich Progressiven ihre Domäne noch von Türstehern schützen lassen. Aber irgendwann fällt der privilegierte Zugang, und wenn alle drin sind im Club, verliert er sein Geheimnis und damit sein Veränderungsversprechen. Man kann diesen Prozess nicht aufhalten, man sollte es nicht mal. Denn er ist gut.

SZ: Tötet also das Internet bloß noch die ökonomische Basis des Pop, die alte Musikindustrie?

Saville: Das ist die Evolution. Und ist es nicht erheblich bequemer, seine gesamte Musik auf einem hübschen, kleinen Gerät wie dem iPod gespeichert zu haben, statt eine immobile Tonträgersammlung zu Hause zu haben? Der iPod ist unabweisbar vernünftig. Das Sammeln von Dingen mag eine Kulturtechnik sein, aber sie ist im Fall von Platten und CDs bloß sentimental.

SZ: Als ehemaliger Mitbesitzer und Hausgrafiker der legendären Plattenfirma Factory Records werden Sie nicht sentimental?

Saville: Das ist vorbei. Cover waren in den sechziger und siebziger Jahren für die kulturelle Sozialisation von jungen Menschen enorm wichtig. Die Kommerzialisierung der Jugendkultur hatte sich damals noch nicht auf die visuelle Kultur ausgebreitet, es gab kaum Magazine, keine jungen, groovy Künstler, und Modedesign war kein Massenphänomen wie heute. Als ich 15 war, das war 1970 in Nordengland, war ich allein durch Plattenhüllen mit irgendeiner Art von visueller Kultur verbunden. Nur Cover gaben einem eine Vorstellung von Coolness.

SZ: Und eine Vorstellung davon, wie man leben wollte?

Saville: Richtig. Auf ein Album von Roxy Music wartete man gespannt, und zwar nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der flamboyanten Coverbilder. Die Plattenhülle war bis zum Siegeszug von MTV die bestimmende Visualisierung von Popmusik. Durch das Video explodierte die Bildmenge um Pop, bis das Video selbst zum Klischee wurde. Heute hat sich die Visualisierung von Popmusik durch das Internet in unendlich viele Teile aufgespaltet, aber kein Teil besitzt noch eine durchdringende Bedeutung für die Alltagskultur.

Auf der nächsten Seite: Warum die Maxisingle "Blue Monday" der Gipfel der kommerziellen Verweigerung war.

Eine Vorstellung von Coolness

SZ: Als 1983 die New-Order-Maxi "Blue Monday" mit Ihrem Cover erschien, schlug sie wie eine Bombe ein - eine Plattenhülle in Form einer ausgestanzten Papp-Floppy-Disc, ohne jede Aufschrift. Sie hatten nicht nur ihre persönliche Vorliebe für modernistische Typographien auf Ihren Covern für Joy Division und die frühen New Order aufgegeben, diese Plattenhülle war zusammen mit der Kraftwerk-Hülle für "Computerwelt" das Zeichen: Die Popkultur tritt ins Computerzeitalter ein.

Im Interview: Peter Saville: Nach einem Porno-Casting entschied sich Peter Saville für Miss Osteuropa als Covergirl für das Pulp-Album This Is Hardcore.

Nach einem Porno-Casting entschied sich Peter Saville für Miss Osteuropa als Covergirl für das Pulp-Album This Is Hardcore.

(Foto: Foto: oH)

Saville: Das "Blue Monday"-Cover war als Manifest gedacht. Es war völlig selbstreferentiell als Objekt und besaß für mich eine bestechende Logik, denn was man auf der Platte hörte, war ja beim Entstehen wirklich auf dem Medium Floppy Disk gespeichert worden. Das war sozusagen totale audiovisuelle Harmonie.

SZ: Und der größte denkbare Regelbruch.

Saville: Mit "Blue Monday" wurde tatsächlich jede Regel gebrochen, die es bis dahin in der Musikindustrie gegeben hatte. Eine Band warf ihre musikalische Vergangenheit weg und spielte ein elektronisches Sieben-Minuten-Stück ein, das zu lang war fürs Radio und für eine Veröffentlichung auf dem Standardformat Single. Und dann verpackte man diese Musik in ein anonymes, aber in der Herstellung sauteures 12-Inch-Cover. Jede klardenkende Plattenfirma hätte uns alle rausgeschmissen.

SZ: "Blue Monday" wurde die meistverkaufte Maxisingle der Musikgeschichte.

Saville: Man kann das alles nur verstehen angesichts der Firmenkultur von Factory Records. Diese Plattenfirma war keine kommerzielle Unternehmung im klassischen Sinne, niemand der Beteiligten hatte irgendeine Geschäftserfahrung. Das Wunder war, dass Factory Records bis 1992 bestehen sollte, unfassbare 14 Jahre. "Blue Monday" war der Gipfel der kommerziellen Verweigerung. Auch deshalb reden wir 25 Jahre später immer noch darüber.

SZ: Mit der "This Is Hardcore"-Hülle von Pulp ist ihnen vor zehn Jahren eine weitere Ikone einer Wendezeit im Pop gelungen. Das CD-Zeitalter und Tony Blairs "Cool Britannia" hatten ihre letzte große Stunde, und die ganze Dekadenz des späten Brit-Pop und der Brit-Art konzentrierten Sie in einem Coverbild, dem einer nackten Pornodarstellerin... Ihr ultimativer Roxy-Music-Moment?

Saville: Total. Es war das erste Mal, dass sexuelle Dekadenz in meiner Arbeit vorkam. Ich finde, dass es einen inhaltlichen Grund geben muss, Sexualität visuell darzustellen, denn man muss der unendlichen Menge an Pornographie in der Welt ja nicht unbedingt noch was hinzufügen. "This Is Hardcore" war also schwierig. Der Pulp-Sänger Jarvis Cocker hatte in einem Magazin Bilder meiner Arbeitswohnung gesehen, die ich in London eingerichtet hatte. "The Apartment" war eine Stil-Installation, eine Hommage an die siebziger Jahre, eine Art Serge-Gainsbourg-Halston-Playboy-Mansion... Jarvis Cocker sagte: Dieses Apartment und "This Is Hardcore" meinen das gleiche.

SZ: Porno.

Saville: So ungefähr. Der Maler John Currin und ich sollten das Cover zusammen gestalten, also organisierten wir Shootings in meinem Apartment und in der damals noch unrenovierten Bar des Londoner Hilton. Man schickte uns dafür echte Pornodarstellerinnen. Eine von ihnen sah aus wie Dolly Parton, komplett mit big hair und falschen Brüsten. Und dann gab es die blutjunge Miss Osteuropa, die schließlich auf dem "This Is Hardcore"-Cover wie tot liegen sollte. Diese Blondine kam direkt von einem Pornodreh mit Rocco Siffredi. Es war gespenstisch.

SZ: War das nun eine Kritik oder eine Feier der Pornografie, wie manche Frauenrechtsorganisationen kritisierten?

Saville: Man hätte für beides Argumente finden können. Ich hätte es anders gewollt, meine Idee war, vorne drauf nur "This Is Hardcore" zu drucken und im Coverinneren erst das Bild mit Miss Osteuropa. Das wäre dezenter gewesen. Und witziger.

SZ: Witzig ist auch, dass sie jetzt Kunst machen. Kann es sein, dass Sie gern am Untergang von kulturellen Feldern mitarbeiten?

Saville: Mein Beitrag ist bescheidener Natur. Und inwiefern die Kunst fällt, hängt entscheidend davon ab, wie weit sie sich noch in eine Handelsware umwandeln lässt. Ich habe früher die unangenehme Frage nach der Kunst im Covergestalten immer vermeiden können, indem ich für mich feststellte: Meine Plattenhüllen benutzten die Kunsthistorie, aber sie selbst waren keine Kunst. Ich musste nicht mit den großen Jungs auf ihrem Heimplatz spielen, im White Cube.

SZ: Nun tun Sie es doch, Ihre Kunst ist ein Sockel.

Saville: Es ist wieder eine demokratisierende Idee: Jeder kann ein Objekt auf einen Sockel stellen und für Kunst erklären, der Selektionsprozess selbst ist nicht wichtig - aber irgendjemand muss den Sockel hinstellen. Das tue ich, man wird den Sockel bald kaufen können. Jeder Mensch sollte einen zu Hause haben! Der intellektuelle Selbstbefragungsprozess, der fürs Kunstschaffen so elementar ist, wäre heute übrigens auch entscheidend für Pop, Mode und Design. In einer zunehmend saturierten Welt wird die Frage nämlich wesentlicher: Brauchen wir dieses neue Produkt wirklich? Ist es wichtig? Meine Antwort: Man kann dem übervollen Kanon der Bilder, Texte, Töne, Objekte heute nichts Unverwechselbares mehr hinzufügen - außer einem selbst. Denn das Einzige, was es noch nicht gab, ist schließlich man selbst.

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