Im Interview: Julian Schnabel:Was ich mache, mache ich für mich selbst

Maler, Regisseur, Fotograf: Julian Schnabel kann alles. Ein Gespräch über das Glück der Kunst und Kartoffeln statt Karotten.

Eva Karcher

Julian Schnabel wurde am 26. Oktober 1951 in New York als jüngstes von drei Kindern eines Geschäftsmannes geboren. Nach dem Studium begann er, noch mitten in der Hochphase der Konzeptkunst, figurative Bilder zu malen. Schon seine ersten Ausstellungen mit den monumentalen "Plate Paintings" machten ihn Anfang der achtziger Jahre zum hochbezahlten Star einer neuen, neo-expressiven Malerei. Zwar traf auch Schnabel die Kunstmarktkrise Ende des Jahrzehnts, doch parallel startete er eine Karriere als Regisseur. Sein nächster Film "Miral" kommt im November in die Kinos. Zuvor sind seine "Polaroids" bis 3. Juli bei Bernheimer Fine Art Photography in München zu sehen, bis 13. Juli im NRW-Forum Düsseldorf und vom 6. Oktober bis 11.November bei Colnaghi in London.

JULIAN SCHNABEL RETROSPEKTIVE

In vermeintlich unbeobachteten Momenten wirkt der amerikanische Malerstar und gefeierte Filmregisseur eher wie ein tapsig tänzelnder Teddybär: Julian Schnabel hier vor seinem Gemälde "Large Girl with No Eyes".  

(Foto: ddp)

Lesen Sie hier Auszüge aus dem Interview in der SZ am Wochenende vom 26. Juni.

(...)

SZ: Warum haben Sie begonnen, zu fotografieren?

Julian Schnabel: Gute Frage. Ich war unzufrieden damit, wie andere meine Arbeiten knipsten und wie sie in Zeitschriften reproduziert wurden. Damals erinnerte ich mich an den rumänischen Bildhauer Constantin Brancusi, der seine Plastiken aus genau diesem Grund selbst aufnahm. Sie müssen wissen, dass ich vor meinem ersten Film "Basquiat" noch nicht einmal eine Kamera besaß.

SZ: Den Film drehten Sie 1996 als Hommage an Ihren mit 28 Jahren verstorbenen Malerfreund Jean-Michel Basquiat.

Schnabel: Richtig. Bis dahin hatte ich immer gedacht, andere könnten viel besser fotografieren als ich. Bis heute verabscheue ich Familienbildnisse. Diese verkrampften Arrangements: Wer soll wo stehen, wer soll wie lächeln? Schrecklich! Wenn ich all die Bilder von mühsam grinsenden Menschen sehe, die ihre Arme ungelenk umeinander schlingen, bekomme ich Depressionen!

SZ: Auch Ihre Polaroids sind alles andere als Schnappschüsse.

Schnabel: Ja, sie sind sorgfältig vorbereitet, aber nicht aus diesem albernen Bedürfnis nach Pose und Perfektion heraus inszeniert. Ganz im Gegenteil. Die meisten meiner Freunde hassen es, fotografiert zu werden. Deshalb bitten sie oft mich darum. Denn sie vertrauen mir. Vertrauen ist etwas sehr Elementares. Es jemandem entgegenzubringen, fällt uns allen schwer, noch schwerer aber fällt es Menschen, die bekannt sind.

SZ: Wie entsteht Vertrauen? Aus Sympathie?

Schnabel: Unbedingt. Ich fotografiere, um so viele verschiedene Eindrücke und Impulse wie möglich einzufangen, vor allem Schönheit. Den Menschen, die ich liebe, möchte ich zeigen, wie schön ich sie finde - meinen Töchtern Lola und Stella, meinen Söhnen Cy und Olmo. Meinem Freund Christopher Walken wollte ich zeigen, dass er aussehen kann wie sein Idol Tennessee Williams. Ich halte ihn für einen der größten Schauspieler der Gegenwart, aber vor der Kamera gebärdet er sich wie ein scheues Reh. Einem anderen engen Freund, Mickey Rourke, wollte ich zeigen, dass er unsterblich ist. Ich habe ihn mit Marlon Brandos Boxhandschuhen porträtiert, auf denen in großen Lettern EVERLAST steht.

SZ: Gab es für die Bildnisse, die Sie gemalt haben, von Andy Warhol zum Beispiel oder Ihrem Freund Dennis Hopper, noch eine andere Motivation?

Schnabel: Dennis. Er ist gerade gestorben. Ich trauere sehr um ihn. Er war einer der mutigsten und aufrichtigsten Männer, die ich je traf und ein großer Künstler. Aber... nein, meine Haltung gegenüber den Menschen, die mich umgeben und mit denen ich arbeite, ist immer dieselbe. Sie öffnen sich mir vorbehaltlos, also ist es meine Aufgabe, aufzupassen, dass niemand sie verletzt und dass ihre Würde unangetastet bleibt. Schließlich bin ich für sie verantwortlich. Die Menschen, mit denen ich zusammen bin, wissen, dass ich sie nicht betrüge. Sie fühlen sich sicher und deshalb vertrauen sie mir und ich Ihnen. Ob sie oder ich berühmt sind, spielt dabei nicht die geringste Rolle. Das ist der rote Faden, der sich durch meine gesamte Arbeit zieht.

SZ: Zärtlichkeit für Ihr Gegenüber...

Schnabel: ...und Leidenschaft für die Orte und Räume, in denen ich mich bewege und für die Dinge, die ich mag. Wissen Sie, ursprünglich wollte ich die Fotos nicht veröffentlichen. Sondern mit ihnen herausfinden, wie sich meine Gemälde und die Skulpturen und die Räume und Häuser, die ich gebaut habe, zueinander fügen. Was ich mache, mache ich eigentlich für mich selbst.

(...)

SZ: Mit Ihrer Freundin Rula Jebreal, eine in Italien bekannte Fernsehmoderatorin und Autorin, haben Sie gerade einen neuen Film mit Willem Dafoe und Freida Pinto gedreht. Wovon handelt "Miral"?

Schnabel: Von einem palästinensisch-israelischen Mädchen, das die Dar-al-Tifl-Schule für Waisenkinder in Jerusalem besucht. Sie wird von Hind al-Husseini aufgezogen, der Gründerin der Schule und Pionierin der jüdisch-palästinensischen Friedensbewegung. Es ist eine Mischung aus Autobiographie und Fiktion - Rula wuchs bei Hind auf. Es die Geschichte einer jungen Frau, die für ihren Traum vom Frieden kämpft. Für mich ist Kunst machen ein Akt des Friedens.

SZ: Schon immer, auch mit den legendären Tellerscherben-Gemälden Ende der achtziger Jahre?

Schnabel: Absolut. Mit den "Plate-Paintings" waren mir endlich Bilder gelungen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Endlich hatte ich es geschafft, mich selbst zu überraschen - und einige andere.

SZ: Allerdings. Die Ausstellung bei Ihrer damaligen Galeristin Mary Boone war sofort ausverkauft. Bis zum Kollaps des Kunstmarkts 1990 rasten die Preise für Ihre Arbeiten raketenartig in den Einhunderttausend-Dollar-Himmel. Was bedeutete Ihnen der schnelle Ruhm?

Schnabel: Nichts. Ich habe nie über Karriere nachgedacht. Ich hatte nur das Privileg, arbeiten zu können.

SZ: Warum dann Filme?

Schnabel: Ich habe einfach die Feldfrüchte gewechselt. Statt Kartoffeln baue ich eben zwischendurch eine Zeitlang Karotten an. Nein, ich bin Maler und bleibe es. Es gibt keine größere Freiheit als die beim Malen. Ein ähnliches Glück von Grenzenlosigkeit empfinde ich höchstens noch beim Surfen.

SZ: Was mir in allen Bildern auffällt, ist eine hohe Sensibilität für Formverwandschaften. In den unterschiedlichsten Oberflächen und Materialien entdecken Sie Übereinstimmungen.

Schnabel: Interessant, dass Sie das sagen. Denn ich suche immer und überall nach solchen Ähnlichkeiten, auf dem Boden, an der Decke, auf einer Landkarte. Wie zum Beispiel die Linien in meinen Händen Baumzweigen ähneln oder Rinde. Ich sammle solche Spuren, Risse, Kratzer als Zeichen von Vergänglichkeit. Deshalb benutze ich auch gebrauchte Materialien als Malgrund, befleckte Stoffe. Weil ich Bilder machen möchte, die wirken, als ob sie schon immer da gewesen wären.

SZ: Für die Ewigkeit. Aber Älterwerden ist kein Problem?

Schnabel: Im Gegenteil, ich fühle mich freier! Ich fühle mich wohler, bin geduldiger, und ich habe mehr Sinn dafür, wie komisch das Leben ist.

"Es ist möglich, sich selbst zu begreien."

SZ: Ihre Filme wurden gelobt und ausgezeichnet. Nach "Basquiat" kam "Before Night Falls". Als Ihr Meisterwerk bisher gilt "Schmetterling und Taucherglocke". Wie die anderen handelt auch dieser so berührende Film von einem Mann, der viel zu früh starb. Warum beschäftigen Sie sich so intensiv mit dem Tod?

Schnabel: Nicht nur mit dem Tod. Noch mehr handeln meine Filme von meiner Angst davor, gefangen zu sein, egal, ob physisch oder psychisch. Sie sind vielleicht ein Versuch, mit meiner Klaustrophobie umzugehen. Jean-Dominique in "Schmetterling und Taucherglocke" zum Beispiel ist seit seinem Schlaganfall bis auf ein Augenlid, mit dem er noch blinzeln kann, in seinem Körper gefangen. Ich habe mich mit der Kamera in sein Bett gelegt, um besser zu verstehen, was es bedeutet, so eingesperrt zu sein. Weil ich auch aus dieser Perspektive filmte, kann sich der Zuschauer in den Körper von Jean-Do begeben und seine Sicht und seine Gefühle teilen. Für mich war er wie eine Therapie, denn ich habe verstanden, dass Jean-Do seiner Taucherglocke mit Hilfe seiner Einbildungskraft entkommen konnte. Es ist möglich, sich selbst zu befreien, egal, wie ausweglos die Lage scheint.

SZ: Haben Sie deshalb jetzt auch die Polaroidserie der "Crazy People" gemacht?

Schnabel: Ja. Die Originalfotos dieser sogenannten Verrückten fand ich in einem Antiquariat in Paris. Sie stammen von einem anonymen Fotografen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es waren winzige Formate, die ich abfotografiert und vergrößert habe. Und plötzlich sieht man die Verzweiflung in diesen Gesichtern...

SZ: ...und die Einsamkeit.

Schnabel: Und wie eingesperrt, wie verkapselt in sich selbst sie sind. Nachdem ich die Serie im Museum gehängt hatte, quälte mich nachts ein wüster Albtraum. Ich war in einem Betonraum eingesperrt, und dann tauchten plötzlich ihre Gesichter wieder auf und umzingelten mich. Verlorene, entsetzlich traurige Seelen. Waren Sie jemals an einem Punkt, an dem Sie dachten, Sie werden wahnsinnig?

SZ: Bisher noch nicht.

Schnabel: Ich habe diese Erfahrung gemacht. In einer Extremsituation in meinem Leben geriet ich in einen Zustand von so großer Verzweiflung, dass ich dachte, ich drehe durch. Seitdem verstehe ich, dass Menschen Selbstmord begehen. Weil sie ihre Angst nicht nach draußen dringen lassen können. Sie sind völlig gelähmt. Ein Grund, warum man gerade diese "Wahnsinnigen" damals fotografierte, war, dass sie still standen. Trotz der langen Belichtungszeiten zeigten sie keinerlei Regung. Für den Fotografen waren sie wie Möbel. Und zweihundert Jahre später habe ich sie dem Vergessen entrissen. Das nennt man Relativitätstheorie.

SZ: Einstein wäre begeistert gewesen! Hat Ihre Kunst bei allem Hang zur Größe, ob der Räume oder der Gefühle, eine melancholische Seite?

Schnabel: Andrej Tarkowskij, der russische Filmemacher, meinte einmal, der Künstler könne eine tragische Figur, die Kunst aber nicht pessimistisch sein. Das Leben endet mit dem Tod, die Kunst nicht. Es gibt nur Talent und Mittelmaß. Mich ziehen Menschen an, die begabt sind. Damit meine ich Romantiker wie mich, Individualisten, die die Grenzen des Status quo zu sprengen versuchen - auch auf die Gefahr hin, zu scheitern.

(...)

SZ: Was zeichnet einen Künstler aus?

Schnabel: Sie kennen den amerikanischen Schriftsteller William Gaddis und seinen Roman "The Recognitions"?

SZ: Ja - in Deutschland ist er unter dem Titel "Die Fälschung der Welt" erschienen.

Schnabel: Ziemlich am Anfang lesen Sie dort die Zeile: "...and for a moment you felt the whole material of beauty". Diese Fülle der Schönheit zu fühlen, das ist der Sinn von Kunst. Ich bin ein Künstler, der das Elixier der Schönheit findet, um es zu bewahren.

Das ganze Inteview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 26. Juni.

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