Im Interview: Cate Blanchett:"Schauspieler? - Fahrende Gesellen mit einem Hurenberuf."

Dass diese Frau Klasse hat, muss man ihr selber erst beibringen. Da ziert sie sich - nicht uncharmant. Nachdem das aber mal geklärt ist, nimmt sie ordentlich Fahrt auf. Und dann brilliert sie.

Ein Interview von Tobias Kniebe

Cate Blanchett, 35, ist eine der vielseitigsten und glamourösesten Schauspielerinnen des Kinos. Sie wurde in Melbourne in Australien geboren und am National Institute of Dramatic Art zur Schauspielerin ausgebildet. Erste Erfolge feierte sie mit der Sydney Theatre Company und im australischen Fernsehen, bevor ihr als "Elizabeth" in Shekhar Kapurs Königinnendrama 1998 der internationale Durchbruch gelang. Weltbekannt wurde sie mit ihren Auftritten als Elbenkönigin Galadriel in Peter Jacksons "Herr der Ringe"-Trilogie, Kritiker feierten sie in Filmen wie "Heaven" oder "Veronica Guerin". In ihrem neuesten Werk "Die Tiefseetaucher" spielt sie eine schwangere Journalistin in nautischer Mission. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Andrew Upton, und den Söhnen Dashiell (3) und Roman (1) in London.

Cate Blanchett
(Foto: Foto: ddp)

SZaW: Mrs. Blanchett, fühlen Sie sich geistig fit genug für ein Gespräch, in dem es um Klasse geht?

Cate Blanchett : Klasse in welchem Sinn? So wie in: Die Frau hat Klasse?

SZaW: Exakt. Wann man Klasse hat, und wann eben nicht.

Blanchett : Zum Einstieg sollten wir als Beispiel eine Persönlichkeit nehmen, bei der klar ist, dass sie definitiv Klasse hatte.

SZaW: Sehr gern.

Blanchett : Ich schlage Katherine Hepburn vor, weil ich diese Frau vor kurzem gespielt habe. Einverstanden?

SZaW: Absolut.

"Schauspieler? - Fahrende Gesellen mit einem Hurenberuf."

Blanchett : Ich glaube ich weiß auch, weshalb sie Klasse hatte: Weil sie in all den Jahren in Hollywood ihre geistige Unabhängigkeit bewahrt hat. Diese Unabhängigkeit konnte ihr keiner abkaufen. Es war durchaus nicht so, dass sie immer der Star war, den wir heute in Erinnerung haben. Als ihre Filme Misserfolge waren und sie als Kassengift gebrandmarkt wurde, ging sie zurück an die Ostküste, nach Connecticut, und spielte Theater. Dann wurde das Theaterstück "Philadelphia Story - Die Nacht vor der Hochzeit" verfilmt, mit dem sie auf der Bühne aufgetreten war. Sie bekam die Rolle nur, weil sie vorher selbst die Filmrechte gekauft hatte. Es ging also nicht ohne sie. Der Film ist dann ein Erfolg und ein echter Klassiker geworden.

SZaW: Das wirft, nebenbei gesagt, eine interessante Frage auf: Wenn alle, die mitmachen, Klasse haben, wird ein Film dann automatisch zum Klassiker? Wäre doch eine schöne Theorie.

Blanchett : Schön ist sie schon, aber sie stimmt natürlich nicht. Man kann Klasse haben und trotzdem einen schlechten Tag erwischen. Oder ein schlechtes Jahr. Ob man im Gegenteil allerdings einen Klassiker schaffen kann, ohne Klasse zu haben? Da bin ich mir nicht so sicher.

SZaW: Dann fragen wir doch mal ganz direkt: Haben Sie Klasse?

Blanchett : Also ehrlich, auf diese Frage kann man nicht antworten. Das ist eine Fangfrage.

SZaW: Warum?

Blanchett : Jemand, der öffentlich von sich selbst behauptet, dass er Klasse habe, hat schon mal ganz sicher keine. Klasse ist etwas, was einem nur von anderen zugeschrieben werden kann.

SZaW: Ich könnte Ihnen Klasse zuschreiben.

Blanchett : Mmh, ja, . . . das könnten Sie.

SZaW: Hiermit geschehen.

Blanchett : Danke. Jetzt kommt es allerdings darauf an, mit welcher Autorität Sie sprechen. Wenn Sie momentan verwirrt sind oder vielleicht nur höflich sein wollen, bedeutet es leider noch gar nichts.

SZaW: Nun gut, ich führe Indizien an. Martin Scorsese hat auf der ganzen Welt nach einer Schauspielerin gesucht, die eine Klassefrau wie Katherine Hepburn in "Aviator" verkörpern konnte. Er fand: Sie.

Blanchett : Das könnte auch eine Notlösung gewesen sein. Schließlich wollte er den Film unbedingt drehen, und Katherine Hepburn musste darin vorkommen.

SZaW: Der Regisseur Shekhar Kapur suchte auf der ganzen Welt nach einer jungen Schauspielerin für die Königin Elizabeth I. von England. Eine Frau, die nicht nur Klasse haben musste, sondern auch etwas Königliches in ihrem Auftreten. Er fand eine unbekannte Theaterschauspielerin aus Australien: Sie.

Blanchett : Bei der Rolle in "Elizabeth" dachte ich wirklich, dass sie das Ende meiner Karriere bedeuten könnte - die ja, nebenbei gesagt, noch gar nicht begonnen hatte. Wie stellt man bitte eine Königin dar, noch dazu, wenn man aus dieser klassenlosen australischen Gesellschaft kommt? Die Australier sind ein eher fröhliches Völkchen . . . wenn Sie wissen, was ich meine.

SZaW: Wer je Australier in Aktion gesehen hat, weiß exakt, was Sie meinen.

Blanchett : Gut, lassen wir das, also ich war jedenfalls völlig überfordert, als ich für diese Rolle nach England kam. Und dann machten die Engländer auch noch so ein Aufhebens darum, dass Leute aus dem Norden des Landes in diesem Film Aristokraten spielen durften. Und eine Australierin ihre Königin! Da merkte ich plötzlich, wie sehr England noch immer eine Klassengesellschaft ist, und dass sich das merkwürdigerweise auch in Film und Theater zeigt, die traditionelle und absolute Domäne der Upper Class, seit ewigen Zeiten. Erst ein Mann wie Michael Caine hat es geschafft, aus der Arbeiterklasse zu kommen und trotzdem ein Star zu werden.

SZaW: Auch eine Definition von Klasse: Man hat sie gewissermaßen von Geburt an, weil man zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht gehört.

Blanchett : Aber damit dürfen Sie ja einer Schauspielerin nicht kommen! Wir Schauspieler sind doch seit jeher Ausgestoßene und Parias gewesen, fahrende Gesellen mit einem Hurenberuf. Schauspieler wurden früher nicht auf Friedhöfen beerdigt wie anständige Menschen, sondern an Wegkreuzungen. Gerade deshalb ist es allerdings einigermaßen absurd, dass sich in England die Oberschicht dieses Berufs bemächtigt hat.

SZaW: Wie entdeckt man die Königin in sich selbst?

Blanchett : Bei dieser Frage kam ich in der Tat nicht weiter, aber etwas anderes hat mir dann sehr geholfen. Elizabeth hat sich nie als Königin bezeichnet, sondern immer als König. Als Synonym für absolute Macht. Ihr Konflikt war, dass sie diese absolute, gottgegebenen Macht hatte, aber gleichzeitig eine Frau war - eine Rolle, für die überhaupt keine Macht vorgesehen war. Das war ihr innerer Kampf, und das hatte dann schon gewisse Parallelen zu dem Kampf einer jungen Australierin, die plötzlich die größte Rolle ihres Lebens bekommen hatte.

"Schauspieler? - Fahrende Gesellen mit einem Hurenberuf."

SZaW: Hollywood verkauft doch genau diesen Traum: Jeder kann alles werden, Star oder Millionär oder sogar Fürstin, wie Grace Kelly. Aber dann gibt es doch wieder sehr subtile, unsichtbare Klassengrenzen: Wer hat wirklich Macht, wer tut nur so, wer muss wen zurückrufen, wer wird in die Warteschleife geschickt. Wie haben Sie dieses System erlebt?

Blanchett : Also, ich glaube, diese Grenzen haben mit Geschäftssinn zu tun, nicht mit Klasse. Klasse hat man ja unabhängig von gewissen Umständen, da folge ich eher dem aristokratischen Modell. Wenn ich also ein heißer Jungstar in Hollywood bin, und plötzlich interessiert sich keiner mehr für mich - dann habe ich nichts mehr. Genauso wie ein Reicher, der sein Geld verloren hat. Klasse dagegen hat man, egal wie viel Geld man gerade hat, und egal wie heiß man gerade gehandelt wird. Vielleicht ist das sogar ein Zeichen von Klasse: Dass man diese äußerlichen Dinge nicht wichtig nimmt.

SZaW: Sehen Sie da eine Gefahr für sich selbst?

Blanchett : Absolut. Hollywood ist in Ordnung, so lange man arbeitet und die Arbeit in den Vordergrund stellt. Dann kann man tolle neue Dinge erleben und die unglaublichsten Erfahren machen. Sobald es um Ruhm geht, wird es gefährlich. Ruhm riecht streng und fühlt sich im Handumdrehen, nun ja: modrig an.

SZaW: Wer in Hollywood Klasse hat, das erkennt man auch an der Fähigkeit, peinliche Schlagzeilen zu vermeiden. Da stehen Sie bisher ziemlich gut da, finden Sie nicht?

Blanchett : Ich weiß nicht warum, ehrlich gesagt. Spiele ich überhaupt in der Liga für peinliche Schlagzeilen? Liegt es an meinem Leben, das mir so sehr normal vorkommt? Ich spüre zum Beispiel den Drang, ständig Anekdoten von meinen Kindern zu erzählen: Wie großartig und lustig sie wieder waren, was für Genies sie sind . . . obwohl ich genau weiß, wie sehr man andere Menschen mit solchen Geschichten langweilt. Aber Sie haben Recht, mein Leben gibt für die Klatschpresse wenig her.

SZaW: Aber es muss doch einen Trick geben, wie man Klasse beweist. Gerade wenn die Augen der Welt ständig auf einen gerichtet sind.

Blanchett : Ich weiß nicht genau, was Sie meinen.

SZaW: Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Jede Frau, die zu den Oscars geht, muss sich für ein Kleid entscheiden. Manche machen da grauenhafte Fehler.

Blanchett : Absolut! Und ich liebe es! Selbst wenn ich nur zu Hause am Fernseher sitze, schicke ich Wünsche zum Himmel: Bitte bitte, wer wagt etwas Bizarres oder Schockierendes? Es gehört schon eine gewisse Größe dazu, in einem Schwanenkostüm mit Minirock anzukommen, wie es seinerzeit Björk getan hat.

SZaW: Aber natürlich würden Sie selbst nie so etwas anziehen. Ein Art innerer Kompass hält Sie davon ab. Und genau das ist es, was ich meine.

Blanchett : Vielleicht ist die Erklärung einfach: In bin eine sehr ästhetisch orientierte Kreatur, schöne Dinge ziehen mich einfach an. Fast so wie bei Mondrian, von dem die Legende geht, dass er selbst hier auf dem Tisch ein wenig eingegriffen hätte. (Sie beginnt, alle Gegenstände parallel zu den Kanten auszurichten). Sehen Sie, so sieht das doch schon besser aus. Ich muss ständig arrangierend in meine Umgebung eingreifen, es geht nicht anders. Am liebsten diskutiere ich mit den Regisseuren über Szenen, in denen ich selbst nicht vorkomme. Oder Modeschöpfer, sie sind Künstler in meinen Augen: Ein Stoff, der richtig fällt, das ist der Beginn einer Skulptur. Mode hat diese fabelhafte Flüchtigkeit. Eines der schönsten Ereignisse, das ich gesehen habe, war eine Modenschau von Alexander McQueen in London. Alle Models fuhren auf Schlittschuhen, nur zehn Minuten lang, alles war Licht und Bewegung und Bilder. Mein Mann ist da übrigens ähnlich . . .

SZaW: Inwiefern?

Blanchett : Er ist von Design besessen, allerdings im strengen Sinn. Er mag Räume, in denen nichts ist. Die perfekte Leere. Ich musste ihn eine Weile bearbeiten, bis er einwilligte, dass wir ein Sofa brauchen. Dann habe ich eine Zeit lang recherchiert und schließlich ein Sofa gefunden. Es hat einige Monate gedauert, aber jetzt haben wir die Sofafrage gelöst. Schluss, aus, vorbei. Wir werden nie wieder ein anderes Sofa benötigen. Was rede ich da? Wieso rede ich jetzt über das Sofa? Wo waren wir stehen geblieben?

SZaW: Darum geht es doch. Klasse kann sich überall zeigen. Ich hätte noch eine Bitte.

Blanchett : Nur zu!

SZaW: Dieses Interview wird erst nach der Oscar-Preisverleihung erscheinen.

Blanchett : Richtig. Zum Start eines köstlichen Films namens "Die Tiefseetaucher". Unbedingt reingehen!

SZaW: Sie sind dann - möglicherweise - bereits Oscar-Gewinnerin. Und dazu könnten Sie jetzt vielleicht etwas sagen. Stellen Sie sich einfach vor, Sie hätten den Oscar bereits in der Tasche.

Blanchett : Also gut. Oh, ich fühle mich großartig! Die Konkurrenz in meiner Kategorie war mörderisch, und ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich all diese Superschauspielerinnen wirklich geschlagen habe. Was für ein Abend!

SZaW: Sehr gut. Vielen Dank.

Blanchett : Sollte ich nicht auch noch etwas sagen für den Fall, dass ich verliere?

SZaW: Nicht nötig, Mrs. Blanchett.

P.s.: Mrs. Blanchett hat tatsächlich am 27. Februar den Oscar für ihre Darstellung der Katherine Hepburn in Martin Scorseses Hollywood-Epos "Aviator" gewonnen.

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