Im Interview: Amira Casar:"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

Die Französin war Model, jetzt ist sie Schauspielerin. Eine der besten. Im Interview spricht sie den europäischen Stolz und über die Liebe in Intellektuellen-Swingerclubs.

Alexander Gorkow

Amira Casar wurde 1971 in London geboren und ist in Frankreich eine der neuen Heldinnen des Autorenkinos. Nach ihrer Karriere als Fotomodell ließ sie sich am angesehenen "Conservatoire National D'Art Dramatique" in Paris zur Schauspielerin ausbilden. Inzwischen spielte sie in zahllosen Produktionen mit, für Aufsehen sorgte sie zum Beispiel in Catherine Breillats "Anatomie der Hölle" an der Seite des ehemaligen Pornodarstellers Rocco Sifredo. In dem Film "Malen oder Lieben" der Gebrüder Larrieu, der seit Donnerstag in den deutschen Kinos läuft, spielt sie die Geliebte von Sergi Lopez, was sie nicht daran hindert, Daniel Auteil den Kopf zu verdrehen. Amira Casar lebt in Paris.

Im Interview: Amira Casar: Irgendwann ist das Leben zu Ende, und dann hat man diese große Scheiße gemacht.

Irgendwann ist das Leben zu Ende, und dann hat man diese große Scheiße gemacht.

Amira, reden wir über Europa?

Gerne. Aber wie kommen Sie darauf? Geben Sie mir eine Zigarette?

Bitte. Sie haben einen kurdischen Vater, eine russische Mutter . . .

. . . das ist aber nicht interessant, ich möchte . . . und auch hat es ja mit Europa direkt nichts zu tun, oder? Aber bitte: Wir Europäer müssen . . .

Sie wuchsen wiederum in London und Irland auf, dann gingen Sie mit 14 auf Wunsch Helmut Newtons zum ersten Mal nach Paris . . .

. . . ich glaube, wir Europäer müssen . . .

. . . und der Film "Malen oder Lieben", in dem Sie nun mitspielen, ist französisch, wie er französischer nicht sein könnte.

Finden Sie? Was bitte an ihm ist denn französisch? Es geht um die Liebe, es geht um das Älterwerden, das ist doch kein genuin französisches Thema.

Ein nicht mehr ganz junges Ehepaar zieht aufs Land und gerät in eine ménage à quatre mit einem blinden Maler und seiner schönen Geliebten. Es wird über Kunst und Liebe geredet und . . .

. . . und gevögelt natürlich und . . .

"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

Korrekt! Ich meine, so eine intellektuelle Swingergeschichte können sich nur Franzosen ausdenken, oder?

Na hören Sie, solche Erlebnisse kommen in den besten Familien vor, sicher auch in Deutschland. Und es ist keine Swingergeschichte! Ich protestiere vehement!

Sagen wir: Eine Swingergeschichte für die Elite. Für "Arte"-Zuschauer. Nein?

Auf mich wirkt sie wie ein Landschaftsbild von Caspar David Friedrich. Diese beiden Paare sind den Elementen ausgeliefert, den Elementen der Liebe, der Natur. Sie merken, dass sie klein sind im Verhältnis zu den Elementen. Der Film ist ernst und komisch zugleich. Tatsächlich hält er ulkig die Schwebe zwischen Komödie und Tragikomödie.

Vor allem aber ist er wohl komisch. Er erklärt nichts. Die ausgelieferten Figuren, Sabine Azema und Daniel Auteuil, sie befinden sich in einer Art Burleske. Was ist daran französisch?

Die Art des Erzählens. Dieses ständige Nachdenken über das eigene Leben.

Gut, insofern ist es vielleicht ein französischer Film. Aber ein unabhängiger US-Filmer hätte auch einen anderen Film gedreht als ein Regisseur für die furchtbaren großen Studios dort drüben.

Wieso sind diese Studios furchtbar?

Weil sie die Welt mit Schrott vollspülen, vielleicht deshalb? Ich glaube: deshalb.

"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

Gut, dann frage ich jetzt mal: Sie sind eines der prominentesten Gesichter des französischen Autorenkinos. Wenn Sie, sagen wir, 15 Millionen Dollar für eine Rolle in einem stupiden US-Film . . .

. . . stop! Ich hatte diese Anfragen. Viel Geld. Und ich habe immer abgelehnt. Ich könnte es beweisen. Schwarz auf weiß.

Warum haben Sie abgelehnt?

Weil: Irgendwann ist das Leben zu Ende, und dann hat man diese große Scheiße gemacht. Ich habe nur ein Leben, da will ich mit guten Menschen zusammen arbeiten, mit den Brüdern Larrieu, wie jetzt bei "Malen oder Lieben", oder mit Catherine Breillat, oder mit den Quay- Brüdern.

Das klingt nach Artenschutz.

Nun, das wäre moralisch und pathetisch, nicht? Stattdessen ist es aber etwas anderes: Es ist egoistisch. Ich möchte definitiv Filme machen, die mich weiterbringen, ich möchte mit Leuten arbeiten, die mit mir Hand in Hand gehen für eine großartige Geschichte. Sie sprachen doch von Europa.

Es ist eine europäische Grundsatzfrage?

Ja. Ich finde in Frankreich, Deutschland, Spanien und England ein solch sagenhaftes Angebot an kreativen Leuten. Es ist bedauerlich, wieviel Platz wir in unserer Konsumkultur den Amerikanern freimachen. Ich bin nicht anti-amerikanisch. Wir wissen alle, wieviele großartige Regisseure und Künstler die USA haben. Aber wir sollten in Europa mit mehr Stolz unsere Kultur bewahren.

"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

In Deutschland haben wir mit dem Begriff Stolz unsere Probleme.

Das weiß ich. Aber ich habe in Deutschland gedreht, und ich habe in Leipzig, Dresden, Berlin oder München sehr viele junge Menschen getroffen, die nicht mehr so beladen wirkten, sondern mit viel Liebe, auch zur explizit deutschen Kultur, ihrer Arbeit nachgehen. In Dresden übrigens war ich auf meine englischen Wurzeln, die ich ja nun auch habe und auf die ich öfter mal stolz bin, nicht stolz. Es fiel mir nicht leicht, in dieser schönen Stadt englisch zu sprechen. Wir sollten mal alle den Deutschen gegenüber nicht so tun, als seien wir moralisch immer absolut wundervoll gewesen.

Und doch ist der Stolz . . .

. . . man muss es ja nicht Stolz nennen. Nennen wir es Wertschätzung, oder eben: Liebe. Schauen Sie sich die Theaterlandschaft an bei euch in Deutschland, die Theater und Museen in München, die Bühnen in Berlin, Ostermeier, astorf, das ist in seiner Vielfalt in der Welt einmalig. Schauen Sie sich die Literaturgeschichte an, Fontanes "Effi Briest" und was so ein phantastischer Regisseur wie Rainer Werner Fassbinder daraus gemacht hat, ich meine, das ist doch ein Grund, stolz zu sein, oder? Nein? Doch, das ist es. Man muss diese Kunst lieben, und man muss sie verteidigen, man muss auch die jungen Filmemacher in Europa verteidigen vor dieser unglaublichen Macht des Geldes, mit der uns aus Amerika die großen Produktionen in die Kinos gestopft werden, finden Sie nicht?

Sie wirken wie unter Strom!

High Voltage, ich weiß, es tut mir Leid. Ich war schon als Kind so. Ich kriege mich gleich wieder ein, okay? Seien Sie nachsichtig mit mir bitte!

Sie kamen als junges Mädchen von London nach Paris mit nichts als 100 britischen Pfund in der Tasche, richtig?

Richtig. Keine Legende.

Und arbeiteten als Fotomodell.

Auch das ist richtig. Und ich weigere mich, mich dafür zu entschuldigen.

Wieso sollten Sie auch? Sie arbeiteten mit den tollsten Leuten.

Ich hatte lange ein Problem damit. Sie können sich denken, warum. Schauen Sie mal nicht so scheinheilig!

Weil . . .

Weil es als oberflächlich gilt, als Fotomodell zu arbeiten. Ist doch klar.

"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

Nein, ich meine das nicht scheinheilig: Sie können als Fotomodell mit guten Fotografen arbeiten und zur selben Zeit als ambitionierte Schauspielerin mit schlechten Regisseuren. Sie aber haben offenbar alles richtig gemacht.

Ich danke Ihnen, sehr lieb, und ja, ich habe inzwischen keine Probleme mehr damit. Ich habe mit Helmut Newton gearbeitet, mit Karl Lagerfeld, mit Jürgen Teller, den ich bewundere, warum sollte es also ein Problem sein? Darf ich bitte noch eine Zigarette?

Na klar.

Auf Ihrem Feuerzeug steht: "Trust the girls". Das, muss ich sagen, finde ich extrem lustig. Vertrauen Sie den Frauen?

Nein, nein, natürlich gar nicht.

Wieso machen Sie dann Werbung für die Frauen? Sie sind ein Frauenrechtler!

Das ist das Feuerzeug einer Freundin, glaube ich, ich hab' es wohl eingesteckt, das hat nichts zu bedeuten.

Na, da wäre ich mir nicht so sicher, dass das nichts zu bedeuten hat, wenn man sowas einsteckt. Sie werden jetzt auch rot. Sie sind ein Frauenrechtler. Oder Ihre angebliche Freundin, sie ist Frauenrechtlerin!

Ich glaube . . .

Oder sie mag Frauen. Das ergäbe auch Sinn. Jedenfalls sind Sie mit exakt diesem Feuerzeug hier erschienen!

Wo waren wir stehen geblieben?

Ich habe also einen sehr klaren Schnitt gemacht nach meiner Modelkarriere und bin an die Schauspielschule gegangen. Aus Tausenden Leuten wurden hier an der staatlichen Schule zehn Jungen und zehn Mädchen ausgewählt: Ich war dabei. Ich bin meinen Weg gegangen.

Haben Sie Kinder?

Wie kommen Sie jetzt darauf?

"Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?"

Weiß auch nicht. Wenn jemand mit so eisernem Willen seinen Weg geht wie Sie, passen Kinder nicht ins Leben, oder?

Gott, da haben Sie einen Punkt angesprochen. Also ich habe keine Kinder. Meinen Sie, ich wäre eine Nazimutter?

Bitte? Inwiefern das denn?

Ich glaube, ich wäre ein bisschen eine Nazimutter. Wehe mein Kind wäre kein Genie, in der Art, verstehen Sie?

Wenn Kinder mal da sind, hat man sie lieb, auch wenn sie keine Tenies sind. Sie erscheinen mir leidenschaftlich. Also würden Sie Ihr Kind besonders lieben. Und die Karriere vernachlässigen. Das wäre es dann gewesen mit Amira Casar.

Ich würde mein Kind sehr lieben - und die Erziehung in die Hände des Vaters legen. Anstatt meine Karriere zu vernachlässigen. Kennen Sie die Stücke von Thomas Bernhard?

Ja. Wieso?

Nun, wegen Stolz und Schönheit und so weiter. Wir haben den "Heldenplatz" gespielt in der Schauspielschule, und ich meine, gut, er war Österreicher, kein Deutscher, aber es ist die deutsche rache, und wenn ich Deutsche treffe oder Österreicher, die mir sagen, ihre Sprache sei nicht schön, so bitte ich sie, Thomas Bernhard zu lesen und dieser Musik zuzuhören, die seine Sprache und seine Komik trägt. Thomas Bernhard ist ein großer Star hier in rankreich.

Was begeistert eine Schauspielerin am Klang der deutschen Sprache?

Natürlich diese tollen Konsonanten! Dieses (auf Deutsch) "zick-zickrucke-zucke" - und wie das so geht bei euch. Das ist toll. Wenn ein guter Schauspieler diese Sprache spricht, ist es einmalig klar und schön. Denn diese onsonanten geben den Vokalen einen schönen, klaren, einen disziplinierten Rahmen - in dem können sie schwingen. Wenn Sie Heinrich Heine lesen, merken Sie es! Und so schön klingende Wörter. (Auf Deutsch): "Die Liebe."

Aber wie es heute bei Fassbinder ist, so war es lange auch bei Heine: Im Ausland werden diese Künstler gefeiert, im eigenen Land fast vergessen.

Nun, es ist an uns allen und an Ihnen im Besonderen, dagegen anzuarbeiten.

Sprechen Sie noch mehr deutsch?

Achtung (auf deutsch): "Ich ärinnere mich." Und: "Ich bin ein Kind där Ärde."

Sind Sie ein Kind der Erde?

"Ich stehä auf där Ärde". Ja. Nein? Korrekt? "Die Ärde ist schön." Nicht?

Meint: Sie stehen auf dem Boden? Sie schwirren nicht so herum?

Ich meine es aber nicht nur im Sinne von Bodenhaftung, sondern auch, hm . . .

Metaphysisch?

Metaphysisch! Exakt! Kennen Sie das "Lied von der Erde" von Gustav Mahler? Am Ende kommt der "Abschied". Das ist das Schönste, was je in Musik gegossen wurde. Danach kann man mich vom Boden aufwischen. It's a fucking killer!

Verstehe, die großen europäischen und metaphysischen Traditionen.

Die Bilder Canalettos, seine Bilder von Dresden, anhand derer man versuchte, die Stadt wieder . . .

. . . und um das Bild rund zu machen: Jeanne Moreau setzte Ihnen neulich die Krone auf, in dem sie Sie als die herausragende Schauspielerin des neuen französischen Kinos lobte.

Ja, stellen Sie sich vor!

Kann danach noch was kommen?

Danach fühlt man sich geehrt und arbeitet weiter. Sie hat es selbst vorgelebt: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und immer nur mit Leuten, die man für richtig hält. Scheiß aufs Geld! Oder?

Ich kriege gleich einen europäischen Kulturflash. Und doch haben Sie Recht: Wir sollten unsere Kultur wahren, auch unsere gottverdammte Melancholie, Sie haben mich überzeugt, ich kämpfe von jetzt an mit Ihnen - Seite an Seite!

Wieso denn "gottverdammte Melancholie"? Was soll das nun schon wieder?

In Deutschland lauert sie hinter jeder Haustür.

Mann, seien Sie doch stolz drauf, überlegen Sie mal, was daraus alles entstanden ist an großer Kunst! Ich habe es in Deutschland auch nie so empfunden. Wenn ich an Deutschland denke, denke ich an liebe Menschen, die einem Tür und Tor öffnen. Ich glaube, die Deutschen sehen sich nur selbst in diesen dunklen Farben. Und auch nicht alle Deutschen. Aber Sie schon. Eine finstere Selbstsicht. Und dann so ein lustiges Feuerzeug. Sie sind ein Komödiant.

Lassen Sie uns nicht nur über Deutschland reden. Sie sind in Großbritannien aufgewachsen. Was vermissen Sie?

Nehmen Sie die Klischees, dann wissen Sie, was ich vermisse: die Höflichkeit, das Schlangestehen, das beginnt, wenn nur zwei Menschen auf denselben Bus warten, und ja, auch den Humor.

Wenn Sie von München nach London fliegen, wollen Sie schon in Heathrow Menschen umarmen.

Ich?

Nein, also, ich zum Beispiel. Diese netten Gesichter, alle sind freundlich, während sie Ihnen astronomische Summen von Geld aus der Tasche ziehen.

Jetzt reden Sie schon wieder schlecht von Deutschland. Vielleicht sind ja auch Sie fröhlicher in Heathrow!

Meinen Sie?

Ja. Und wie man die Leute anschaut, so schauen sie ben zurück. Aber vielleicht haben Sie auch ein bisschen Recht: Ich meine, wenn ich von Paris nach London komme, kriege ich auch einen Humorschock. Ich hätte hier in Paris ohne sehr loyale Menschen kein Bein auf die Erde bekommen - aber das Lachen gehört nicht zu den besonders offensichtlichen Eigenschaften der Franzosen. Lieber denkt man hier über alles noch mal nach. Aber auch das ist Europa. Wir arbeiten beständig an einem großen Manifest mit unserer Kunst, nicht? Denken Sie nur an die Filme und Bücher von Catherine Breillat, die ich sehr verehre . . .

. . . und der immer wieder der Vorwurf der Pornografie . . .

. . . ja, so ein Unsinn! Catherine arbeitet an einem großen Manifest. Es geht um unser Verhältnis zu unseren Körpern, zur exualität. Und um die Freiheit der Kunst vor der Zensur. Ich glaube übrigens, es gibt da einen interessanten Gegensatz in der europäischen Kultur, im Theater, im Film, in der Kunst, und mehr noch in der Musik.

Nämlich?

Glühende Leidenschaft hier - und diese nordische Disziplin andererseits! Nehmen Sie nur Gustav Mahler oder Ingmar Bergman, Thomas Bernhard natürlich. Mich fasziniert das. Und dieses sehr Disziplinierte, ich denke, es ist manchmal dieses Nazihafte an mir . . .

. . . sagen wir lieber: Reaktionäre?

Einerseits bin ich eine große Anhängerin von diesem ganzen Höflichkeits- und Disziplinwahnsinn zum Beispiel in England. Andererseits finde ich alles, was mit totalschwuler europäischer Kultur zu tun hat, umwerfend: die Oper, Cecil Beaton, Quentin Crisp, der große Fassbinder, Oscar Wilde.

So. Ich bin jetzt total durcheinander.

Meinen Sie, ich werde als schwuler Junge wiedergeboren?

Als reaktionärer schwuler Junge.

Nein, reaktionär lassen Sie weg! Aber als disziplinierter schwuler Junge, das wäre fein. Und Sie als Frauenrechtler.

Ich kann nicht mehr.

Okay, rauchen wir noch eine Zigarette.

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