Im Gespräch: Woody Allen:"Ich flüchte vor den Fernseher"

Das beneidenswerte Los des typischen Pseudo-Intellektuellen Woody Allen: Die Studiobosse interessieren sich nicht für ihn, schöne Frauen wie Scarlett Johansson schon.

Willi Winkler

Woody Allen ist mit seiner ganzen Familie aus New York nach San Sebastián gereist. Amerikanische, englische, spanische Betreuer wuseln um ihn herum; er geht völlig unbeeindruckt durch das Gewimmel. Gibt brav die Hand, als er ins Hotelzimmer geführt wird, ist höflich, aufmerksam, dabei ruhig und extrem sachlich. Vor den Fenstern steht eine riesige Tafel und wirbt für einen schlimmen Ballerfilm. Woody Allen ist auch dadurch nicht zu beeindrucken, wie ihn überhaupt wenig zu erschüttern scheint: Während des ganzen Gesprächs verzieht er keine Miene. Aber schließlich müssen auch Komiker nicht ständig lachen. Oder hat die Komikerin Greta Garbo etwa gelacht?

Regisseur Woody Allen

Die Brille macht's: Die schwarz umrandeten Gläser verhelfen Woody Allen nicht zum richtigen Durchblick, sondern auch zu seinem Ruf als klugem Kopf.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Mr. Allen, ist Ihr neuer Film "Vicky Cristina Barcelona" eine Komödie oder nicht doch eine Tragödie?

Woody Allen: Vielleicht könnte man sagen, dass er eine traurige, eine melancholische Komödie ist.

SZ: Wie gelingt Ihnen diese Mischung aus Melancholie und Komödie?

Allen: Ich versuche eine ganz ernsthafte Geschichte zu schreiben, und die Schauspieler tragen beim Drehen das Komische, das Unterhaltsame bei. Penélope Cruz und Scarlett Johansson sind ganz große Könner, sie wissen, wie man die Geschichte amüsant macht.

SZ:Aber einer muss die Schauspieler doch auswählen, und das sind Sie.

Allen: Ich wähle die Schauspieler aus, das ist richtig. Bei diesem Film hatte ich einfach ganz viel Glück. Ich bekam diese beiden großartigen spanischen Schauspieler...

SZ: ... Penélope Cruz und Javier Bardem...

Allen: ... und hatte bis in die Nebenrollen nur gute Leute. Patricia Clarkson hatte ich zum Beispiel oder Rebecca Hall, die Cristina. Und natürlich Scarlett Johansson.

SZ: Das ist jetzt Ihr dritter gemeinsamer Film; Scarlett Johansson scheint Ihre neue Muse zu sein.

Allen: Ja, das heißt es immer, aber es stimmt natürlich nicht. Ganz im Gegenteil. Wir sind nur Freunde, gute Freunde.

SZ: Eine Muse muss doch nichts Erotisches sein, es geht eher um die Inspiration. Seit "Match Point" haben Ihre Filme etwas besonders Strahlendes, und das hat doch mit Scarlett Johansson zu tun.

Allen: Ihre Persönlichkeit, ihr ganzes Wesen ist einfach ansteckend. Sind Sie ihr einmal begegnet?

SZ: Nein, leider nicht.

Allen: Sie ist so positiv, so lebhaft und voller Energie. Und sie ist natürlich sehr schön.

SZ: Natürlich.

Allen: Und sehr intelligent! Ich arbeite einfach gern mit ihr. Alle lieben sie: die Crew, der Kameramann, alle. Außerdem ist sie selber eine exzellente Fotografin.

SZ: Aha.

Allen: Eine wie sie findet man nicht alle Tage: eine, die so jung, so hübsch, so klug und dabei auch noch eine gute Schauspielerin ist, nicht wahr?

SZ: Unter anderem doch Ihretwegen, weil Sie ihre Talente erkennen und nutzen können.

Allen: Ach, wissen Sie, Dreharbeiten sind eine langwierige Angelegenheit. Beim Einrichten einer Szene sitzt man viel zusammen, weil man ja nichts zu tun hat. So erfährt man viel über den anderen. Da ich Scarlett inzwischen gut kenne, kann ich auch gute Sachen für sie machen.

SZ: Neulich hat Francis Ford Coppola gesagt, einen Film wie "Der Pate" könne er heute nicht mehr machen, weil ihn die Studios in ihrer Kontrollwut nicht mehr arbeiten ließen. Sie scheinen bei Ihren Filmen keine Schwierigkeiten zu haben.

Allen: Ich hatte auch hier sehr viel Glück, denn ich habe nie innerhalb des eigentlichen Studiosystems gearbeitet und deshalb auch nie die Kontrolle über meine Filme abgeben müssen. Seit meinem allerersten Film hatte ich immer den Final Cut, das heißt, der Film kam genau in der Form ins Kino, wie ich ihn haben wollte.

SZ: Warum war die Filmindustrie bei Ihnen so großzügig?

Allen: Wahrscheinlich, weil meine Filme vergleichsweise billig sind.

SZ: Heißt das, dass Sie mit einem geringeren Budget unabhängiger sind?

Allen: Da muss ich Ihnen etwas erklären. Ein Film, der heute in die Multiplex-Kinos kommt, kostet, sagen wir, fünfzig bis neunzig Millionen Dollar. Wenn er nicht so teuer wird, kostet er immer noch dreißig Millionen. Meine Filme kosten höchstens fünfzehn Millionen Dollar, für das Studio ist das also ein eher geringes Risiko. Sie müssen nicht fürchten, dass wegen eines, wegen meines Films, das ganze Studio bankrottgehen könnte. Selbst wenn sie draufzahlen, zahlen sie im Höchstfall nur diese fünfzehn Millionen Dollar drauf. Wenn ich also einen schlechten Film mache ...

SZ: Entschuldigung, was ist ein schlechter Film?

Allen: ... nun, für das Studio ist der Film ausschließlich dann schlecht, wenn ihn keiner sehen will. Aber schon wenn sie nicht den Einsatz verlieren, die ganzen fünfzehn Millionen, ist es kein schlechtes Geschäft mehr für sie. Das Studio hat also sonst mit Hundert- oder mindestens Fünfzig-Millionen-Dollar-Filmen zu tun: Deshalb bin ich denen ziemlich egal.

SZ: Das glaube ich nicht. Jedes Studio ist doch stolz, wenn es Woody Allen hat.

Allen: Naja, entscheidend ist absolut, dass ich dem Studio keine Sorgen mache. Sie müssen nicht fürchten, dass sie meinetwegen pleitegehen, also lassen sie mich gewähren. Die Verantwortlichen haben ein festes Bild von mir.

SZ: Das ist der Mann, der diese Filme macht, die auch Intellektuelle ansehen, der also ein gewisses Renommee einbringt.

Allen: Keineswegs, vielmehr sagen sie sich: Der macht jetzt seinen Film. Er macht viele Filme. Bei einigen haben wir sogar etwas Geld verdient. Es war nicht viel, aber ein bisschen schaut dabei doch heraus. Wenn wir diesmal draufzahlen, so ist es nicht viel, was wir draufzahlen. Darum haben sie mich auch immer in Ruhe gelassen. Niemand liest ein Drehbuch von mir.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Woody Allen sie alle haben kann.

"Ich flüchte vor den Fernseher"

SZ: Wirklich, die Studio-Verantwortlichen wissen nicht, was Sie da drehen?

Allen: Sie wissen nichts. Weil es sie nicht interessiert. Sie wissen nicht einmal, mit wem ich die Hauptrollen besetze. Wir schließen einen Vertrag über einen Film, und die Verantwortlichen lassen sich wieder blicken, wenn der Film fertig ist.

SZ: Traumhafte Arbeitsbedingungen sind das. Das Studio weiß eben doch, was es an Ihnen hat.

Allen: Es kümmert sie nicht. Wenn ich fertig bin, rufe ich an und sage: "Der Film ist fertig, wollt ihr ihn sehen?" Dann kommen sie, schauen ihn sich an, finden ihn gut oder auch nicht gut.

SZ: Was sie aber nicht sagen würden.

Allen: Nein, das sagen sie nicht. Sondern jedes Mal höre ich, dass er ihnen gefällt. Sie sind sehr höflich.

SZ: Sie kriegen immer sehr teure Stars. Wie bekommt man Sean Penn oder Madonna, die doch sonst deutlich mehr als als Ihr gesamtes Film-Budget kosten?

Allen: Ach, da ist nicht viel dabei.

SZ: So?

Allen: Glauben Sie mir, Sie können für eine geringe Gage gute Schauspieler bekommen, wenn Sie ihnen eine gute Rolle anbieten. Außerdem sollten sie gerade Zeit haben. Aber ich mache mir nichts vor, wenn ich zum Beispiel Sean Penn oder Penélope Cruz anrufe, und die erhalten gleichzeitig das Angebot, für zwanzig Millionen in einem Film mit einem Riesenbudget mitzuspielen, dann nehmen sie natürlich die zwanzig Millionen. Anders ist es, wenn sie gerade nichts zu tun haben und bis zum Herbst nicht drehen. Wenn ich dann im richtigen Moment anrufe, um ihnen eine Rolle anzubieten, die ihnen gefällt, dann sind sie dabei. Für sie ist es doch egal, ob sie acht oder zehn Wochen mit mir verbringen.

SZ: Acht Wochen sind viel Zeit.

Allen: Keineswegs, Filme brauchen so lang. Wenn sie dann bei mir fertig sind, spielen sie wieder in einem dieser teuren Filme mit und verdienen einen Haufen Geld. Sie zahlen also nicht drauf. Bei mir ist zwar die Gage viel niedriger, aber sie werden als Schauspieler respektiert. Sie wollen nicht immer nur in diesen Filmen mit Autojagden und Spezialeffekten mitmachen, sondern zur Abwechslung auch mal als Schauspieler auftreten.

SZ: Gibt es, von der Finanzierung abgesehen, noch einen anderen Grund dafür, dass Sie neuerdings viel außerhalb der USA arbeiten?

Allen: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Außerhalb der Vereinigten Staaten gibt es Leute, die mir das Geld anbieten, um Filme zu machen. Ich arbeite gern in Europa, weil es hier das amerikanische Studiosystem nicht gibt. Das macht einen unabhängig. Niemand ist da, der einem Vorschriften macht. Film gilt in Europa eher als Kunstform und nicht als Industrieprodukt. Außerdem reist meine Frau gern.

SZ: Deshalb sind Sie jetzt wieder in Europa?

Allen: Meine Frau fährt einfach gern in europäische Städte. Für den neuen Film waren wir in Barcelona. Im nächsten Sommer sind wir vielleicht wieder woanders.

SZ: Wo?

Allen: Woanders. Meiner Familie gefällt das Unterwegssein. Ich selber müsste nicht unbedingt weg aus New York, aber meine Familie reist gern.

SZ: Sie sind der Inbegriff des intellektuellen New Yorkers. Können Sie mir erklären, warum ausgerechnet Rudy Giuliani, der ehemalige Bürgermeister von New York, die Wähler vor dem Kosmopoliten Barack Obama gewarnt hat?

Allen: Amerika ist provinziell. Sie in Europa, aber auch wir in New York neigen dazu, New York und Kalifornien, die nicht provinziell sind, für das ganze Amerika zu nehmen. Das ist es nicht. Der Rest Amerikas hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark nach rechts bewegt. Dieses Amerika ist religiöser und provinzieller, als wir uns das überhaupt vorstellen können. Da lieben sie ihre Knarre und ihre Bibel. Sie haben nicht das geringste Verständnis für Schwule, sie wehren sich gegen die Freigabe der Abtreibung. Die Folge ist, dass es mit unserem Land in den vergangenen acht Jahren nur abwärts gegangen ist: moralisch, intellektuell, wirtschaftlich und im Ansehen der Welt.

SZ: "Wir wissen nicht, ob es Gott gibt, aber immerhin wissen wir, dass es Frauen gibt." Mit einem solchen Satz, so schön er ist, sind Sie doch bei der Mehrheit Ihrer Landsleute unten durch. Für die sind Sie ein Atheist, Ehebrecher, ein moralisch korrupter New Yorker. Warum gehen Ihre konservativen Landsleute überhaupt noch in Ihre Filme?

Allen: Ganz einfach: Sie kommen, wenn sie den Film sehen wollen. Wenn sie ihn nicht gut finden, bleiben sie weg. Wenn sie von einem Film hören, in dem Scarlett Johannsen und Penélope Cruz oder Sean Penn oder sonst wer mitspielen, wenn ihre Freunde und die Kritiker ihnen den Film empfehlen, dann kommen sie ins Kino. Es handelt sich um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Daran finde ich auch nichts auszusetzen: Wenn ich sie unterhalten kann, kommen sie, wenn nicht, bleiben sie zu Hause.

SZ: Für einen Autorenfilmer ist das erstaunlich kommerziell gedacht.

Allen: Nein, es ist realistisch gedacht. Ich setze mich doch nicht hin und schreibe ein Drehbuch mit dem Gedanken: "Hoffentlich, hoffentlich kommen genug Zuschauer!" Nein, ich schreibe das Drehbuch, das mir vorschwebt, und das Publikum entscheidet dann, ob es was damit anfangen kann oder nicht.

SZ: Werden Sie nicht mehr und mehr ein europäischer Filmemacher?

Allen: Wenn Sie einem Musiker zuhören und selber ein Instrument spielen, dann werden Sie mehr oder weniger bewusst wie der bewunderte Musiker spielen. Vielleicht emanzipiert man sich im Lauf der Zeit davon, aber zunächst ist man sehr stark davon beeinflusst. Als ich jung war, habe ich diese ganzen wunderbaren Filme von Alain Resnais, Vittorio de Sica, von Jean- Luc Godard und Truffaut, von Fellini und Bergman gesehen. Als ich selber anfing, Filme zu machen, bin ich ihnen ohne eigentliche Absicht gefolgt. Bei Steven Spielberg ist es nicht anders gewesen, nur dass er andere Filme gesehen hat.

SZ: Die er immer noch macht.

Allen: Das geht fast automatisch. Ich glaube, er denkt gar nicht drüber nach, sondern dreht sie automatisch so.

Lesen Sie auf Seite 3, warum Woody Allen gar kein Intellektueller ist.

"Ich flüchte vor den Fernseher"

SZ: Erinnern Sie sich an den Satz mit den Nazis und dem Dosenöffner?

Allen: Welchen meinen Sie?

SZ: In "Hannah und ihre Schwestern" sagt Mickeys Vater: "Woher zum Teufel soll ich wissen, warum es die Nazis gegeben hat? Ich weiß nicht mal, wie ein Dosenöffner funktioniert." Wie kommt man auf solche Epigramme?

Allen: Das ist mein Beruf. Ich schreibe Komödien. Eigentlich bin ich (er hustet) ein ganz ernsthafter Mensch, vielleicht auch ein bisschen melancholisch. Diese Melancholie sickert in die Komödie ein, so dass es zu solchen epigrammatischen Sätzen kommt. Es muss ja nicht immer ein Witz über eine hübsche Frau sein oder über meine Schwiegermutter und so Zeug. Oft wird es ein Witz darüber, wie sinnlos das Leben ist oder wie traurig oder, wie in diesem Fall, ein Witz über das Phänomen des Nationalsozialismus.

SZ: Kann das komisch sein?

Allen: Ich sage ja, es sickert in das Komische ein, und dann wird blitzartig deutlich, wie grausam das Leben ist. Manchmal beschäftigt mich diese düstere Seite des Lebens. Obwohl meine eigentliche Begabung darin besteht, die Leute zu unterhalten.

SZ: Das ist aber nicht die grelle Unterhaltung der Sitcoms, sondern eher intellektuell.

Allen: Wegen der hier (er fasst sich an die Brille) halten mich die Leute für einen Intellektuellen.

SZ: Ein wichtiges Requisit für die Filmfigur Woody Allen.

Allen: Ich sitze jetzt hier vor Ihnen, und bemühe mich, ernsthafte Fragen ernsthaft zu beantworten. Zu Hause in New York bin ich anders, ganz anders. Da eile ich keineswegs von der Arbeit nach Hause, weil ich darauf brenne, endlich Hegel oder Kierkegaard zu studieren. Mit so schweren Sachen gebe ich mich nicht viel ab. Nein, ich führe das typische Leben eines Nicht-Intellektuellen. Ich sitze bequem im Sessel, rechts habe ich ein Bier stehen, der Fernseher läuft, ich schaue mir ein Baseballspiel an und interessiere mich für nichts anderes als das Spiel. Ich verbringe meine Freizeit mit Baseball, mit Fernsehen, oder ich spiele Klarinette, was alles andere als ein intellektuelles Hobby ist.

SZ: Das hat sich geändert. Seit Sie spielen, ist die Klarinette ein intellektuelles Instrument geworden.

Allen: Schon richtig, die Leute kommen, weil sie unsere Jazzband sehen wollen. Kurz vor Weihnachten treten wir übrigens in Dresden auf.

SZ: Hatten Sie nie Bedenken, nach Deutschland zu kommen?

Allen: Nein, da gab es kein Zögern. Nach dem Zweiten Weltkrieg war ich allerdings radikal antideutsch. Für meine damaligen Begriffe waren es nicht die Nazis. Sondern das ganze deutsche Volk hat sich an dem beteiligt, was geschehen ist!

SZ: Das ist ja nicht ganz falsch.

Allen: Ich glaubte, dass das ganze Volk von der nationalsozialistischen Ideologie durchtränkt war. Mittlerweile aber hat sich Deutschland zu einem der demokratischsten, freiesten und aufgeklärtesten Länder in der westlichen Welt entwickelt.

SZ: Sie schmeicheln Ihrem Besucher.

Allen: Aber es stimmt. Natürlich war das nicht immer meine Überzeugung, aber heute ist Deutschland ein besonders freies und demokratisches Land, das in jeder Hinsicht aus seiner Vergangenheit gelernt hat und empfindlich auf jede Andeutung von Faschismus reagiert.

SZ: Sie haben einmal gesagt: "Unsterblichkeit möchte ich nicht durch meine Werke erreichen, sondern indem ich ewig lebe."

Allen: Vielleicht ist die Kunst ja der Katholizismus des aufgeklärten Intellektuellen. Damit kann er nämlich wieder an ein Leben nach dem Tode glauben. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, ob ich ewig leben will. Wenn ich so etwas sage, wird mir sofort vorgehalten: "Deine Filme werden noch laufen, wenn du schon lange gestorben bist." Tut mir leid, das reicht mir aber nicht. Mir wär's lieber, wenn ich jung und gesund sein und mein Leben genießen könnte. Wenn dafür meine Filme nicht mehr laufen, bitte. Kunst ist doch eine Illusion, genauso wie diese katholische Lösung mit Himmel und Hölle! Was habe ich denn davon, wenn in fünfzig Jahren im Fernsehen ein Film von mir läuft, ich aber tot bin?

SZ: Sie vielleicht nicht, aber das Publikum freut sich doch.

Allen: Das Publikum freut sich, wenn es einen guten Film zu sehen bekommt, aber für den Autor, für den Schöpfer des Films lindert dieser Erfolg die Sinnlosigkeit des Lebens kein bisschen.

SZ: Ist das Leben sinnlos?

Allen: Ja. Wenn man ehrlich ist, dann ist das Leben sinnlos. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich irgendwie damit einzurichten, sich trotzdem ein bisschen zu amüsieren, obwohl man weiß, dass alles absolut willkürlich und sehr sinnlos ist. Manche können das, manche sagen sich einfach, ich brauche sonst nichts, ich mache mir deswegen keine großen Gedanken, sondern genieße das Leben. Ich will es gut haben, glücklich sein, und wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Auch gut. Andere grübeln, weil sie sich nicht damit abfinden können. Zu denen gehöre ich.

SZ: Wenn Sie noch einen einzigen Film machen dürften, wie müsste der aussehen?

Allen: Ein bedeutender Film braucht ein wichtiges Thema, und die einzigen wichtigen Themen sind die von Leben und Tod, Existenzfragen, Fragen, die sich mit dem Verhältnis von Männern und Frauen beschäftigen. Politische Themen wie soziale Ungerechtigkeit und dergleichen sind schon in Ordnung, aber zweitrangig. Wichtig sind andere Fragen. Warum sind die großen russischen Romane so tief? Weil sie sich mit den Existenzfragen beschäftigen, mit dem Verhältnis, das der Mensch zu Gott hat, mit der Frage, wie er ohne Gott zurechtkommt, wo sein Platz im Universum ist.

SZ: Die Ingmar-Bergman-Fragen.

Allen: Ingmar Bergman ist der große Filmemacher, weil er es geschafft hat, diese großen Themen in kommerziellen Filmen zu behandeln. Bei ihm wirken die großen Menschheitsthemen unterhaltsam. Bergman war kein Lehrer, er gab keine Hausaufgaben in abendländischer Philosophie auf, sondern er verstand es, die Zuschauer zu unterhalten, ohne dabei auf den Ernst der Sache zu verzichten. Wenn ich also nur noch einen Film übrig hätte, dann würde ich so einen Film machen.

SZ: Wie Bergmans "Siebtes Siegel"?

Allen: Genau. Wer würde nicht diesen Film machen wollen?

SZ: Trotzdem sagen Sie, dass Sie am liebsten vor dem Fernseher sitzen und ein Bier trinken. Sie suchen doch nach einer Bedeutung, nach einem Sinn des Lebens.

Allen: Ich bekenne mich zum Eskapismus. Ich flüchte mich in den Sport und vor den Fernseher. Dass ich so viel arbeite, ist ein weiterer Beweis für mein Fluchtverhalten. Ich sitze nicht brütend zu Hause und denke mir: "O, was für ein schreckliches Los!" Das hilft ja doch nichts. Stattdessen hänge ich mich rein, arbeite, arbeite, arbeite, verliere mich in der Sportberichterstattung, arbeite wieder, spiele Klarinette. Lauter Ablenkungen.

SZ: Ihre Filme, Ihr Leben: Alles Ablenkung, mehr nicht?

Allen: Wir brauchen alle unsere Ablenkungen. Ich sage Ihnen was: Das Leben besteht aus nichts anderem!

Der 1935 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Woody Allen begann seine Karriere als Gagschreiber, unter anderem für den Fernsehunterhalter Ed Sullivan. Allen veröffentlicht bis heute Kurz- und andere komische Geschichten. Er inszeniert Opern, tritt als Schauspieler auf, aber vor allem dreht er seit vierzig Jahren die besten Filme, die es im Kino zu sehen gibt - unter anderen "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten"(1972), "Der Stadtneurotiker" (1977), "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" (1990) und "Match Point" (2005). Gerade kam "Vicky Cristina Barcelona" ins Kino, sein dritter Film mit Scarlett Johansson. Allen spielt auch Klarinette. Am 19. Dezember gibt er mit seiner Jazz-Band sein einziges Deutschland-Konzert in Dresden.

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