Im Gespräch: Sandra Bullock:"Ich mache mir ständig Sorgen"

"Kill them with kindness": Sandra Bullock über mütterliche Ratschläge und kellnernde Präsidenten.

Gabriela Herpell

Auch wenn Sandra Bullock einen engen Rock und sehr hohe Schuhe trägt, wirkt sie doch wie der hübsche Kumpel, mit dem man Pferde stehlen kann. Sie bestellt grünen Tee und rührt heftig in ihrer Tasse. Nach einer halben Stunde hat sich eine Pfütze grünen Tees auf dem Glastisch gebildet, die sie erst spät bemerkt. Mit einem Haufen Servietten versucht sie einigermaßen ungeschickt und kichernd das Malheur zu beseitigen. Sie spricht schnell und sehr deutlich, ab und zu wirft sie mal ein deutsches Wort ein, denn ihre Mutter kam aus Nürnberg.

Im Gespräch: Sandra Bullock: "Meine Mutter hat immer zu mir gesagt..." Helgas Ratschläge hinterließen Spuren bei Tochter Sandra Bullock.

"Meine Mutter hat immer zu mir gesagt..." Helgas Ratschläge hinterließen Spuren bei Tochter Sandra Bullock.

(Foto: Foto: getty)

SZ: Mrs. Bullock, nach ein paar Jahren Pause ist Ihr neuer Film "Selbst ist die Braut" gleich am Eröffnungswochenende wieder eingeschlagen wie eine Bombe.

Sandra Bullock: Herrlich, nicht?

SZ: Sie spielen diesmal nicht den süßen Tollpatsch, sondern den biestigen Tollpatsch. Den wollen die Leute also offenbar immer in Ihnen sehen.

Bullock: Ich kann mich aber auch sehr geschickt im Ungeschicktsein anstellen.

SZ: Ist denn das ein Können?

Bullock: Das ist wie ein Stunt: Man muss wissen, wo man hinfällt, wie man absolut täppisch wirkt, ohne sich zu verletzen. Als Kind habe ich Jerry Lewis gesehen und immer gedacht: Ich möchte das auch können. Ich möchte, dass es so aussieht, als würde mir ein Missgeschick gerade zum ersten Mal passieren. Und das muss man üben.

SZ: Für einen Tollpatsch können Sie vor allem erstaunlich anmutig auf diesen sehr, sehr hohen Schuhen laufen.

Bullock: Ein gut gemachter Schuh ist ein gut gemachter Schuh. Da kann man immer drauf laufen, egal, wie hoch er ist.

SZ: Könnten Sie auch darauf kellnern?

Bullock: Vielleicht nicht einen ganzen Abend lang.

SZ: Sie waren mal eine hervorragende Kellnerin, haben Sie über sich selbst gesagt.

Bullock: Ja, und ich finde, jeder Mensch, auch der Präsident der Vereinigten Staaten, sollte mindestens sechs Monate im Leben gekellnert haben. Es gibt keine bessere Schule des Lebens.

SZ: Weil man sich unterordnen muss?

Bullock: Das trifft es nicht ganz. Man lernt vielmehr, den Abend komplett fremder Menschen zu dem besten ihres Lebens zu machen. Du bedienst sie, du kümmerst dich um sie, du gibst ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Du musst total auf Zack sein, denn du kümmerst dich nebenbei ja auch um dein eigenes Wohlergehen und musst zusehen, das maximale Trinkgeld herauszuholen.

SZ: Klingt wie eine gute Vorbereitung auf Hollywood.

Bullock: Es ist fast noch mehr: Du musst zugleich Stand-up-Comedian und Politiker sein, wenn du gut sein willst. Es gibt Gäste, zu denen man auch mal eklig sein muss. Aber die meisten kriegt man, indem man sie mit Höflichkeit fertigmacht. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: "You kill them with kindness." Wenn nichts mehr geht, wenn ich keine Rolle mehr bekomme, dann kann ich immer wieder kellnern. Es ist mein Back-up-Job. Den kann ich auch noch machen, wenn ich siebzig Jahre alt bin und eine graue Betonfrisur trage. Die Leute mögen doch diese Sorte Kellnerin.

SZ: Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass Sie das je wieder nötig haben.

Bullock: Aber es gibt mir Sicherheit, dass ich es könnte. Darum habe ich wohl auch ein Restaurant und eine Bäckerei in Austin gekauft: Ich richte gern Orte her, an denen sich Menschen aufhalten. Ich tue alles dafür, dass sie sich wohlfühlen. Obwohl ich gar nicht der Typ bin, der gern unter Menschen ist.

SZ: Warum betonen Hollywoodstars immer, dass sie nicht gern auf Partys gehen? Das ist auch nicht mehr so originell.

Bullock: Es ist aber leider wahr. Ich fahre in jedes Land der Welt und gehe durch die Straßen fremder Städte, voll mit fremden Menschen, aber ich möchte sie nicht auf einer Party treffen und kennenlernen müssen.

SZ: Noch irgendwelche Phobien?

Bullock: Ich kann schlechte Autofahrer nicht aushalten. Ich bin ein sehr kritischer Beifahrer. Ich mag es, wenn jemand schnell fährt und gleichzeitig sehr ruhig ist. Aber ich hasse Eile und Hast, das führt zu Unfällen. Ich finde überhaupt, dass man keine unnötigen Risiken eingehen soll. Meine Mutter sagte immer: Achte darauf, wie ein Mann Auto fährt, denn so wird er dich in einer Beziehung behandeln.

Lesen Sie auf Seite 2 die Lebensweisheiten einer Eule.

Das Credo der Helga B.

SZ: Sie sprechen viel von Ihrer Mutter. Und sie hat Ihnen offenbar einige gute Lebensweisheiten mitgegeben.

Sandra Bullock

Sandra Bullock als Braut und Betty White als 90-jährige Oma ihres Verlobten in "Selbst ist die Braut" .

(Foto: Screenshot: filmstarts.de)

Bullock: Sie konnte sehr gute Ratschläge geben. Für viele dieser Weisheiten waren wir Kinder noch nicht alt genug, aber sie hat ihre Sätze so oft angebracht, dass sie sich in unseren Hirnen festgesetzt haben. Und jetzt, da die Zeit reif ist, erinnern wir uns an sie. Meine Mutter hatte in vielen Dingen recht, und sie hatte in ein paar wenigen Dingen unrecht, aber das hat sie nicht zugegeben, solange sie lebte.

SZ: Zum Beispiel?

Bullock: Sie hat immer bei Brettspielen geschummelt. Aber das hat sie noch auf dem Totenbett abgestritten.

SZ: Sie sind heute weltberühmt, skandalfrei, Multimillionärin, einer der wenigen Blockbuster-Garanten in Hollywood. Wäre Ihre Mutter heute zufrieden mit Ihnen?

Bullock: Oh nein, eben nicht. Meine Mutter wollte mich zu einer ganz anderen Person erziehen. Das Credo von Helga B. lautete: Sei nicht konform, sei anders.

SZ: Helga B.?

Bullock: Ja, so nenne ich meine Mutter, allerdings erst jetzt, posthum. Sie war Deutsche, wir haben in Deutschland gelebt, bis ich zwölf Jahre alt war. Als wir nach Amerika kamen, war alles, was ich wollte: dazugehören. Ich kam in die Junior High School, und ich war anders als die anderen, aber nicht glücklich. Ich habe versucht, ihr das zu sagen. Sie hat mich nicht verstanden, sondern meinte: Lass dir nicht von den anderen Kindern sagen, wie du zu sein hast. Stell dir niemals die Frage: Was werden die anderen denken?

SZ: Wahrscheinlich das Letzte, was Sie damals hören wollten . . .

Bullock: Absolut. Sie war eine Pionierin. Kein Hadern, kein Zögern, keine Grübeleien. Meine Mutter war auch immer ganz anders angezogen als alle anderen Mütter. Wunderschön, sehr extravagant. Wir hatten nicht viel Geld, und sie nähte alles selbst. Ihre Kleider sahen aus, als seien sie von Oscar de la Renta. Und das sage nicht nur ich. Aber damals wusste ich das nicht zu schätzen.

SZ: Trugen Sie auch solche extravaganten Kleider?

Bullock: Leider ja. Alles, was wir Kinder trugen, war made by Helga. Damals fand ich das furchtbar. Aber meine Mutter sagte immer nur: Darin siehst du nicht aus wie alle anderen. Sei stolz drauf.

SZ: Demnach ist es fast Ironie, dass Sie als normalste unter den Superstars gelten: Männer finden Sie durch die Bank süß, Frauen identifizieren sich mit Ihnen . . .

Bullock: Wie gesagt, Helga hat sich das alles anders vorgestellt mit mir.

SZ: Sie wurden als Teenie sogar Cheerleader. Amerikanischer geht's ja nicht.

Bullock: Das hatte allerdings ganz andere Gründe. Da ging es um einen Jungen. Meine Eltern wollten nicht, dass wir uns trafen. Aber ich habe geturnt, und der Junge machte auch Sport, und ich wusste: Wenn ich Cheerleader würde, könnten wir uns bei den Spielen sehen.

SZ: Waren Ihre Eltern also auch streng?

Bullock: Helga war streng. Und sie gilt noch heute bei uns als Instanz. Mein Mann, der sie nie kennengelernt hat, hat das Gefühl, sie sein ganzes Leben lang gekannt zu haben und sagt in allen möglichen Situationen: Helga B. würde jetzt sagen. . . Sogar meine fünfeinhalbjährige Stieftochter hat sie verinnerlicht, als wäre sie noch da. Wir haben gerade eine Burg bei Salzburg angeschaut, da hing ein Bild von einer Eule. Meine Stieftochter sagte: "Schau mal, da ist Owl." Die Eule - das ist Helgas Spitzname bei uns, weil sie über alles wacht. The Helga B. Eine richtige Institution.

Lesen Sie auf Seit 3, warum Sandra Bullock nach dem Zwölf-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker handelt.

"Was soll's, ich hab's versaut"

SZ: Sind Ihnen ihre Eigenschaften wie Mut oder Aufbruchsgeist wirklich so fremd?

Bullock: Ja. Sie traute sich alles Mögliche, ich hingegen mache mir ständig Sorgen, sogar um Dinge, auf die ich gar keinen Einfluss habe. Wenn ich zurückschaue, denke ich oft: Warum habe ich mir da und dort so viele Sorgen gemacht, anstatt ein bisschen Spaß zu haben. Ich versuche mittlerweile, dagegen anzugehen wie beim Zwölf-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker. Das ist ein unglaublich guter Ansatz für alles und jeden, auch in Beziehungen. Für mich heißt das: Wie schaffe ich es, morgens aufzustehen und mich nicht in Grübeleien und Ängsten zu verlieren?

SZ: Was sind das für Ängste?

Bullock: Meine Arbeit nicht gut zu machen. Jemanden zu kränken. Mein Glück nicht zu verdienen, nicht hart genug zu arbeiten.

SZ: Was für eine Selbstzerfleischung.

Bullock: Ja. Und was für eine Zeitverschwendung. Und es ist auf eine verdrehte Art auch wieder narzisstisch. Zum Glück habe ich meinen Mann. Der holt mich raus aus diesem Wahnsinn.

SZ: Interessant. Ihr Ehemann trägt den Westernnamen Jesse James, er war mal mit einem Pornostar verheiratet, er ist sehr bärtig und ganzkörpertätowiert. Und man nennt ihn den König der Dirt Bikes.

Bullock: Ja, er hat eine Fernsehsendung namens "Monster Garage", in der er an Motorrädern herumschraubt. Er kann Autos zum Fliegen bringen, weil er so sehr liebt, was er tut. Mein Vater war genauso, er konnte alles zum Fliegen bringen. Wenn die Welt eines Tages stillsteht, dann wissen Sie jetzt, zu wem Sie kommen können. Er macht mich darauf aufmerksam, wenn ich wieder anfange mit: "Hätte ich doch. . .?" Oder: "Wenn das und das nicht passiert wäre. . .?" Und er beruhigt mich. Er hat mir beigebracht, dass es egal ist, was man tut. Es zählt nur, dass man es so gut macht, wie man eben kann.

SZ: Er ist also eine Art auf Sicherheit bedachter Motorradrocker.

Bullock: Genau. Auf dem Dirt Bike meines Mannes sitze sogar ich gerne hinten drauf. Es ist wie ein schnelles Fahrrad, das einen mitten durch die Natur trägt, durch Flussbetten, an Seen entlang und hoch in die Berge. Man sieht Teile der Welt, die man sonst nicht sehen würde. Und wenn man stürzt, fällt man in den Dreck, aber das ist nicht weiter schlimm. Aufregung und Sicherheit gleichzeitig, das ist also möglich. Das ist Freiheit.

SZ: Helgas Urteil: Ist er eine gute Wahl?

Bullock: Definitiv. Sie erinnern sich an ihren Rat, mit dem Autofahren? Jesse fährt ausgezeichnet.

SZ: Sie leben beschaulich, fernab von allem, in Austin, Texas.

Bullock: Sie sagen es: Es ist weit weg von allem, und das mag ich so daran, an unserem kleinen Haus in Austin, in das ich mich auf den ersten Blick verliebt habe. Und dann stellte sich doch tatsächlich heraus, dass es Deutsche waren, die es gebaut haben. Ihr Name steht noch immer an der Tür: die Kreissels. Sie kamen in den dreißiger Jahren nach Texas und bauten mit ihren Händen dieses Haus aus Stein.

SZ: Das hätte Helga B. wohl wieder gefallen.

Bullock: Glaube ich auch.

SZ: Ihr Mann hat drei Kinder mit in die Ehe gebracht. Was für eine Mutter möchten Sie ihnen sein?

Bullock: Ich bin manchmal streng. Setze Grenzen. Ich zeige ihnen, was wichtig ist im Leben.

SZ: Nämlich?

Bullock: Gutes Benehmen, Kunst, gutes Essen, Freude. Ehrlichkeit.

SZ: Sie tun nicht so, als sei alles in Ordnung, wenn Sie in Wahrheit Ehekrach haben?

Bullock: Genau. Wenn etwas in der Luft liegt, und die Erwachsenen klären die Kinder nicht darüber auf, werden die Kinder die Schuld bei sich suchen, und das darf nicht sein. Es geht im Leben von Kindern sehr viel um Schule, Ausbildung, Geld, Erfolg, sie müssen natürlich auch die andere Seite, die Unbeschwertheit kennenlernen. Aber vor allem finde ich, dass man ihnen das Leben vorleben muss, das man selbst gut findet.

SZ: Das hatte bei Helga und Ihnen allerdings nicht den gewünschten Effekt.

Bullock: Ja, ich bin gar nicht so geworden, wie sie sich sich das vorgestellt hat. Und dazu wird es auch nicht mehr kommen, nicht in tausend Jahren. Aber eines will ich noch schaffen. Ich will diesem Kontrollfreak in mir sagen: "Nichts da. Lass mich in Frieden." Und wenn ich mal etwas nicht schaffe, will ich die Schultern zucken und sagen können: Was soll's, ich hab's versaut.

Sandra Bullock, wird an diesem Sonntag 45 Jahre alt. Die Tochter einer deutschen Sängerin und eines amerikanischen Gesangslehrers wurde in Arlington, Virginia, geboren und verbrachte ihre ersten zwölf Lebensjahre überwiegend in Franken. Dann zog die Familie zurück in die USA. Ihre erste große Rolle spielte Bullock 1993 in "Demolotion Man", ihren Durchbruch hatte sie 1994 mit "Speed" neben Keanu Reeves. Zu ihren besten Filmen gehört "L.A. Crash" (2005). Sandra Bullock lebt mit ihrem Ehemann Jesse Gregory James, der im amerikanischen Fernsehen Motorrad-Shows moderiert, und seinen drei Kindern in Austin, Texas. Ihr aktueller Film "Selbst ist die Braut" läuft am kommenden Donnerstag in den deutschen Kinos an.

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