Im Gespräch: Maybrit Illner:"Wir sind kein Streichelzoo"

Maybrit Illner spricht über die Bedeutung ihres Namens, die Talkshow als Zwangsunterhaltung, über Anne Will und Frank Plasberg.

Christopher Keil

SZ: Frau Illner, 1999 begannen Sie mit einer wöchentlichen politischen Runde, Berlin Mitte. Im Oktober gibt es diese Sendung zehn Jahre, sie heißt inzwischen Maybrit Illner - wie Kerner, Beckmann, Anne Will, Harald Schmidt. Muss man das heute so machen, um erfolgreich zu sein?

Im Gespräch: Maybrit Illner: "Ich will nicht ständig meinen Namen tanzen": Maybrit Illner.

"Ich will nicht ständig meinen Namen tanzen": Maybrit Illner.

(Foto: Foto: ap)

Maybrit Illner: Man kann einem Trend folgen, der Personalisierung heißt. Wir haben irgendwann festgestellt, dass wir einen Allerweltstitel hatten und man zwischen Berlin Mitte, Berlin direkt, Bericht aus Berlin und TV-Berlin ganz schön herumirren konnte. Also trennten wir uns von einem nicht eben spektakulären Titel. Das stand auf meiner Bedürfnispyramide sicher nicht ganz oben. Aber als wir 2007 die Studiokulisse verändert und die Sendezeit verlängert haben, passte es ganz gut.

SZ: Fühlt sich Maybrit Illner anders an als Berlin Mitte?

Illner: Ich hatte vorher kein Identitätsproblem und will auch heute noch nicht ständig meinen Namen tanzen.

SZ: Strenggenommen existiert "Maybrit" gar nicht. Die skandinavische Entsprechung lautet Maj-Britt.

Illner: Stimmt. Meine Eltern haben meinen Namen erfunden. Danke noch mal an Traudel und Gerhard. Die Geschichte dazu geht so: Sie waren in ihrem Honeymoon im Sommer 1959 an der Ost-Ostsee, und es lief ihnen bei einem abendlichen Strandspaziergang ein bitterlich weinendes Mädchen entgegen. Natürlich fragten sie die Kleine, warum sie weine und wie sie denn heiße. Und das Mädchen antwortete: Es habe die Mama verloren und heiße Maj-Britt. Das ist meinen Eltern extrem ans Herz gegangen, und sie wollten, wenn ihnen je ein Mädchen geboren wird, die Tochter unbedingt so nennen. Sie haben dann nur vier Rechtschreibfehler gemacht, weil sie leider nicht in Schweden anrufen und sich erkundigen konnten.

SZ: 1999 nannte man Berlin Mitte "Gesprächssendung". Ist Maybrit Illner das noch?

Illner: Eindeutig. Die Sendung unterscheidet sich sehr von den bunten Talkshows, weil sie ein Thema hat und sich mit harter Politik befasst, und sie unterscheidet sich von Interviewsendungen, weil sie darauf setzt, dass Leute, die eigentlich nicht miteinander reden wollen, miteinander ins Gespräch kommen müssen. Der Österreicher Hermes Phettberg hat mal gesagt, TV-Talks seien wie ein Aquarium, und das Tolle am Aquarium sei, dass die Fische nicht weg können. Glücklicherweise reden meine Gäste mehr als Fische.

SZ: Talkshow ist Zwangsunterhaltung?

Illner: Das ist die Kunst: Die Gäste kommen einerseits freiwillig, andererseits gibt es echte Gegensätze und echte Kontroversen. Da können Sie nicht einfach aufstehen und gehen. Diese Sendung will ja deutlich machen, welche Interessenlagen es zu jedem Thema gibt, wer in wessen Auftrag welche Politik macht und warum wer wen bekämpft. Das klingt nach Meta-Ebene, ist aber eine gute Arbeitsdefinition.

SZ: Ist Politik schwerer als Unterhaltung zu moderieren?

Illner: Dreimal ja. Das ist Schwarzbrot. Das politische Geschäft ist wahnsinnig kompliziert, hat viele irrationale Momente, viele Akteure. Es macht Mühe, das zu verstehen, zu ordnen. Auf dem Boulevard der Unterhaltung flaniert man leichter. Politik ist nicht per se sexy.

SZ: Noch einmal zur Kontroverse: Ist sie nicht, vor allem aus dramaturgischen Gründen, Pflicht?

Illner: Jedenfalls nicht die Kontroverse ausschließlich zwischen Politikern. Als wir mit Berlin Mitte anfingen, war vieles an der Politik aufregend: Rot-Grün war gerade zwölf Monate an der Macht, es gab neues Personal, neue Debatten, neue Kontrahenten. Der Steinewerfer von früher wurde zum Außenminister.

SZ: Sind solche Karrieren heute noch möglich?

Illner: Eher nicht.

SZ: Hatten Sie das Gefühl, vor zehn Jahren gab es andere Politikertypen?

Illner: Zuweilen schon. Es war eine andere Generation mit einem anderen Selbstverständnis. Die politischen Gegner schenkten sich wenig. Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. Heute ist große Koalition. Deshalb leben unsere Sendungen nicht mehr in erster Linie von parteipolitischen Auseinandersetzungen. Folglich bieten wir auch keine politische Talkshow mehr an, in der ausschließlich Politiker sitzen.

SZ: Nicht einmal im Superwahljahr 2009?

Illner: Nicht einmal im Superwahljahr. Was waren bisher unsere Themen in diesem Jahr? Die Krux der Deutschen mit dem Nationalstolz, das Papstdrama um die Piusbrüder oder die Konjunkturpakete der Regierung, diskutiert unter dem schönen Titel: Politik im Rettungsrausch - Wir versaufen unserm Enkel sein klein Häuschen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Maybritt Illner über Anne Will und Frank Plasberg denkt.

"Wir sind kein Streichelzoo"

SZ: Wird 2009 ein großes Talkshowjahr?

Illner: Aber klar. Werte, Grundüberzeugungen werden in Frage gestellt, von denen wir vor drei Jahren nicht glaubten, dass wir sie in Frage stellen würden. Mit wem werden wir noch solidarisch sein? Warum gehören Wohlstand und Demokratie in der Welt nicht mehr zwangsläufig zusammen?

SZ: Hilft Ihnen bei der Behandlung solcher Grundsätze, dass Sie in der DDR aufwuchsen und schon einmal, 1989, einen Systemwechsel erlebt haben?

Illner: Bestimmt. Das relativiert manches. Es macht mich nicht so erschrocken über die eine oder andere tiefe Veränderung.

SZ: Kann Politik, wie sie in Talkshows vermittelt wird, überhaupt noch etwas bewirken?

Illner: Wir wollen doch nicht die Welt verändern! Wir konfrontieren Politiker mit dem Leben, mit ihren Wählern.

SZ: Was ganz anderes: Demnächst wird Maybrit Illner zeitgleich bei YouTube gestreamt. Rechnen Sie mit relevanter Resonanz?

Illner: Natürlich. Da kommt zusammen, was zusammengehört. Unsere Versuche, so etwas wie eine direkte Bindung zum Fernsehpublikum aufzubauen, sind bisher grandios gescheitert. Mit Google/YouTube, der erfolgreichsten Internet-Plattform der Welt, werden wir das schaffen. Keine hundert Zettel mehr auf dem Schoß der Moderatorin. Wir haben einen Maybrit-Illner-Kanal, auf dem unsere Zuschauer ihre Fragen als Videoclip hochladen und mitdiskutieren können. In der kommenden Woche wird es die erste Sendung dieser Art geben. Wir machen nach Web 2.0 jetzt TV 2.0.

SZ: Sehr plebiszitär.

Illner: Ja, das ist kaum zu toppen. Natürlich werden wir nicht alle Clips in die Sendung nehmen können, aber wir sind froh, wenn drängende Fragen ein Gesicht bekommen oder wenn Fragen auftauchen, auf die wir selbst nicht gekommen sind.

SZ: Wie wichtig nehmen Sie Konkurrenzvergleich?

Illner: Wichtig. Natürlich messen wir uns aneinander. Das ist sportlich und fair.

SZ: Wie schneiden Sie ab?

Illner: Prächtig. Wir trauen uns was und haben damit auch noch Erfolg. Wir hatten ein sehr gutes Jahr 2008, konnten unseren Marktanteil auf 12,7 Prozent verbessern, lagen damit nur 0,1 Prozent hinter Anne Will und nennenswert vor Frank Plasberg. Im Übrigen ist die Konstellation, die die ARD für die beiden Kollegen gewählt hat, nicht wirklich gut.

SZ: Anne Will möchte Volkshochschule sein. Frank Plasberg will Politiker, Manager, eigentlich jeden mit sich selbst konfrontieren. Was wollen Sie?

Illner: Antworten. Also frage ich so lange, bis ich sie kriege. Politiker, Funktionäre, Manager haben Verantwortung, und in "Verantwortung" steckt "antworten".

SZ: Beschweren sich Politiker nach der Sendung über den Umgang mit ihnen, Ihren Umgang mit ihnen?

Illner: Das kommt vor.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Maybritt Illner von Ihrem Lebensgefährten René Obermann gelernt hat.

SZ: Die Gebrüder Vogel, Hans-Jochen und Bernhard, sollen nie zufrieden sein.

Illner: Ihre Kritik wird immer charmanter.

SZ: Duzen Sie Gäste privat?

Illner: Nein. Ich bin ja nicht auf der Suche nach Freunden. Man macht es sich als Journalist doppelt schwer, wenn man als Duzmaschine unterwegs ist. Ich halte mich an ein paar Grundsätze: Es ist nicht gut, Biographien über Politiker zu schreiben. Es ist nicht gut, zu privaten Festen von Politikern zu gehen. Und es ist nicht gut, Mitglied einer Partei zu sein.

SZ: Moderatoren sind in politischen Talkshows zur Ambivalenz dienstverpflichtet. Einerseits schmeichelnder Gastgeber, andererseits Journalist ohne Rücksichtnahme. Wie sicher geht man auf der dünnen Linie?

Illner: Ich würde mal sagen, die vergangenen zehn Jahre sicher genug. Ich fürchte niemanden, ich verteile keine Zensuren. Wir sind kein Streichelzoo.

SZ: Waren Politiker vor zehn Jahren sachkundiger?

Illner: Nein.

SZ: Am 27. September sind Bundestagswahlen. Wer legt die Gästeliste Ihrer Sendung am 24. September fest?

Illner: Nicht die Wahlkampfzentralen. In den vergangenen zwei Wahlkämpfen hatten wir kurz vor dem Showdown Sympathisanten der Kandidaten eingeladen. 2002 kämpfte Uli Hoeneß für Edmund Stoiber und erklärte im ersten Satz, wie genial Stoiber sei, und im nächsten, dass er auch viel von Joschka Fischer halte. Großartig. Wir werden schon im Juli, früher als sonst, aus der Sommerpause zurückkehren, es wird fünf Wahl-Sondersendungen von uns geben. Am Konzept und am Titel arbeiten wir noch.

SZ: ARD und ZDF wünschen sich ein Kanzlerduell. Sie sind bereits gesetzt, sollten sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier einverstanden erklären. Wen hätten Sie gerne als Partner?

Illner: Sie meinen, Anne Will oder Frank Plasberg? Am besten wohl beide. Warten wir's doch mal in Ruhe ab. Da steht ja noch nicht mal der Termin zur Grobplanung fest. Aber mit ziemlicher Sicherheit gibt es in meiner Sendung an zwei Donnerstagen jeweils ein Interview mit der Bundeskanzlerin und eines mit dem Herausforderer der SPD.

SZ: Johannes B. Kerner bewältigt spielend vier Talkshows in der Woche, er tritt als Fußballexperte und als Showmaster auf. Auch Plasberg macht Unterhaltung. Wollen, können oder dürfen Sie nicht öfter auftreten?

Illner: Ich finde es großartig, dass meine Kollegen da so pluripotent aufgestellt sind. Ich bin dankbar, dass ich mich auf diese eine Sendung konzentrieren kann.

SZ: Trotzdem werden Sie etwas zu "20Jahre Mauerfall" machen, oder?

Illner: Da hat uns unser Chefredakteur gerade für eine Miniserie von zehn Teilen Platz im Programm gemacht. Es gab zu DDR-Zeiten den DEFA-Augenzeugen vor jedem Kinofilm, so eine Mischung aus Aktueller Kamera und Bitte umblättern. Menschen, die darin auftauchten, wollen wir 20 Jahre später besuchen. Mein Produzent Hartmut Klenke hat die redaktionelle Verantwortung dafür, es war seine Idee.

SZ: Frau Illner, Ihr Lebensgefährte René Obermann ist Vorstandsvorsitzender der Telekom: Was haben Sie von ihm über Politik und Wirtschaft gelernt?

Illner: Dass nicht alles Private automatisch politisch ist.

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