Im Gespräch: Maria Lassnig:"Nullkommajosef Selbstvertrauen"

"Die großen Gefühle hab' ich nie verarbeitet": Die Künstlerin Maria Lassnig spricht über männliches Schamgefühl, die Angst vor Kindern und den Tod.

Holger Liebs

Tags zuvor war die Ausnahmekünstlerin noch sehr kurz angebunden: "I mog ned", mehr war Maria Lassnig nicht zu entlocken gewesen. Am nächsten Morgen strahlt sie putzmunter. Ihr Atelier im 14. Wiener Bezirk ist hell und riesig, es gibt Sahnetorte und Johannisbeersaft, gestreckt mit Tee. Und wenn die 89-Jährige mal zu erzählen anfängt, wirkt sie dabei so munter und lebhaft wie eine Dreißigjährige. Ob's daran liegt, dass Maria Lassnig immer noch wie eine Besessene malt?

Im Gespräch: Maria Lassnig: Maria Lassnig: mit ihren fast 90 Jahren zählt sie zu den bedeutendsten Künstlern Österreichs.

Maria Lassnig: mit ihren fast 90 Jahren zählt sie zu den bedeutendsten Künstlern Österreichs.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Guten Tag, Frau Lassnig. Kennen Sie den Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button"?

Maria Lassnig: Nein.

SZ: Der Held der Geschichte wird im Laufe der Jahre immer jünger. Wie 89 sehen auch Sie nicht aus.

Lassnig: Ja, das hoffe ich. Ich tu' nix dafür. Ich hab aber auch nix davon. Nur das Erstaunen von den Leuten. Ich bin ja auch absurd. Mit meinem Leben auch.

SZ: Wie meinen Sie das?

Lassnig: Na ja! Als ich 20 war, haben sie zu mir gesagt, du schaust wie 30 aus. Weil ich so ein fester war, ein fester Knödel. So bäuerlich. Und dann bin ich immer jünger geworden. Wenn ich nach 20 Jahren einen alten Professor wiedersehe, sagt der: allweis die Gleiche! Dieses Erstaunen ist zugleich eine Schmeichelei und eine Gemeinheit! Genauso absurd ist es mit unseren Fähigkeiten: Ein Baby lernt in ein paar Monaten derart schnell, und ein Erwachsener über 80 verliert genauso schnell alle Fähigkeiten, die er erworben hat.

SZ: Bei älteren Künstlern redet man ja gerne von Alterswerk. Und viele fangen an, sich selbst zu zitieren. Deshalb ist der alte Picasso auch umstritten.

Lassnig: Ja, ich hab' auch seine letzten Bilder gesehen. Ich fand sie sehr frisch und wie die Summe aller seiner Bilder.

SZ: Schauen Sie sich die Alten Meister an?

Lassnig: Ich renne ihnen nicht unbedingt nach. Zum Vermeer schon. Da würd' ich 1000 Kilometer fahren. Ich hab' mal einen Zeichentrick gemacht über ihn.

SZ: Sie malen, zeichnen, filmen: Sieben Jahrzehnte Ihres Lebens haben Sie nun der Kunst gewidmet.

Lassnig: Ich konzentrier' mich so stark auf die Kunst, dass das Leben gar keine Rolle spielt. Ich musste vorsichtig sein, das war das Einzige. Dass ich in keine Grube falle.

SZ: Gab's die?

Lassnig: Als junges Mädchen gibt's die zuhauf. Man muss sich schützen.

SZ: Wovor?

Lassnig: Vor Kindern.

SZ: Die einen ärgern?

Lassnig: Nein! Dass man keine bekommt!

SZ: Warum? Weil das zu Lasten der Kunst geht?

Lassnig: Ja! Es gab immer Frauen, die wollten alles haben. Ehe, Kinder, Ruhm, alles. Aber das geht nicht. Man konnte schon froh sein, wenn man nur die Kunst hat, in meiner Zeit wenigstens. Jetzt gibt's ja all die Männer, die kochen ...

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was passiert, wenn man das Knie anwinkelt.

Der Druck, der sich im Körper fortpflanzt

SZ: Die Künstlerin Tracey Emin hat geschrieben, Kunst ist ein Geliebter, aber alleine reicht sie auch nicht. Sie kommen nicht von der Kunst los, oder?

Lassnig: Ich könnt' jetzt nix Besseres sagen.

SZ: Sie malen "Körperbewusstseinsbilder". So haben Sie sie mal genannt. Können Sie das erläutern?

Lassnig: Also: Wenn man zum Beispiel das Knie anwinkelt, bekommt man ein bestimmtes Körpergefühl, einen Druck, der sich im Körper fortpflanzt, weitervermittelt, und das malt man dann. Das ist mir nur irgendwann aufgefallen. Weil ich diesen Körperdruck gespürt habe. Ich habe meine Bilder, das begann um 1949 herum, dann "introspektive Erlebnisse" getauft.

SZ: In Ihren Tagebüchern schreiben Sie: "Grün ist leichtsinnig und leichtsinnig ist grün". Also: Farben drücken Gefühlszustände aus.

Lassnig: Ach, gerade die Farben, die Körpergefühlsfarben, sind bei mir doch unglaublich primitiv. Die Formen sind viel mehr ausgeprägt. Von der Wirklichkeit hab' ich das hergenommen. Von meinen Erfahrungen.

SZ: Sie meinen: Gefühle. Schmerz, Liebe.

Lassnig: Nein, das nicht. Die großen Gefühle hab' ich nie verarbeitet.

SZ: Franz Kafka hat gesagt, das einzig Reale ist der Schmerz.

Lassnig: Na ja, das ist schon ungefähr dasselbe, was ich gespürt habe. Ich kann mich aber nicht mit Kafka gleichsetzen!

SZ: Nein, aber diesen realen Schmerz könnten ja auch andere als er erleben.

Lassnig: Haben sie aber nicht. Oder sie achten nicht drauf. Ich habe ja immer gesagt, dass meine Kunst eine allgemeine Kunst gewesen ist und keine Frauenkunst. Dagegen hab' ich mich immer gewehrt. Die Männer sollen doch genauso empfindsam sein. Dann würden sie ihre Krankheiten vorausahnen und abwehren.

SZ: Männer sind nicht empfindsam?

Lassnig: Sie beachten das Empfinden nicht. Aber sie haben es. Sie lassen den Kopf hängen und tun nichts.

SZ: Sie haben mal gesagt, Männer sind Machos.

Lassnig: Ja, das ist wieder was anderes. Das hängt aber jetzt nicht damit zusammen, bitte. Nein, aber das Schämen ist sehr stark bei den Männern. Sie schämen sich.

SZ: Obwohl man die Scham ja traditionell der Frau zuschreibt.

Lassnig: Naa, naa! Mir hat mal eine Frau gesagt, junge Mädchen schämen sich weniger. Sie hat sich schon sehr früh in Kroatien nackert am Strand ausgezogen. Ich hätt' mich geschämt.

SZ: Das ist vielleicht auch eine Generationenfrage. Und Sie sind auf dem Land aufgewachsen.

Lassnig: Ja. Nullkommajosef Selbstvertrauen! Das war ja so von Kindheit auf. Wenn man in Kärnten ein Mädchen ist, wird man nicht freudig begrüßt wie die Erbhofbuben. Es hat immer geheißen, wenn ein Bub auf die Welt kommt, trink' ma an Schnaps, und bei den Mädchen ein Wasser oder gar nichts. Und das ganze Leben lang geht's halt so weiter. Nur manchmal hat man Atouts ...

SZ:... Trümpfe also ...

Lassnig: Ja, wenn man ganz hübsch ausschaut. Ich hab' mehr natürlich ausgeschaut. Heiraten wollten mich allerhand Leute, da fühlt man sich a bisserl umworben. Aber als Künstlerin bin ich nicht verwöhnt, weiß Gott nicht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Lassnigs Mutter zum Wahrsager gegangen ist.

Die Göttin Hera des Häuslichen

SZ: Wann wussten Sie, dass Sie Künstlerin werden würden?

Lassnig: Als Kind hab' ich schon gezeichnet, in einer Ecke. Ich hab' mich mit Kritzeleien beschäftigt. Meine Mutter hat immer gedacht, das sei abnormal, denn ich hab' die Hände beim Zeichnen so gekrümmt gehalten, wie die Narren das tun. Deshalb hat sie Angst gehabt. Sie hat immer Angst gehabt. Deshalb ist sie mit einem Foto von mir zum Wahrsager gegangen, um zu wissen, was mir blüht. Und der hat zur Mutter gesagt, sie soll mich fördern. Der hat das gesehen. Am Foto, dass ich ein künstlerisch begabtes Kind bin. Aber sie hat das vergessen. Sie hat das nicht ernst genommen. Sie wollte mich verheiraten, unbedingt.

SZ: Aber das war ja gerade nichts für Sie . . .

Lassnig: Ich hab nicht eingesehen, zu was das gut sein soll. Nur bei anderen. Ich hab' immer Ehen gekittet. Ich war die Göttin Hera des Häuslichen. Weil ich selbst nie einen heimischen Herd gehabt hab'.

SZ: Wussten Sie als Kind, dass Sie besser waren als andere?

Lassnig: Ich hab' davon nichts gemerkt. Später, da war ich schon fast 20, war ich bei den Wandervögeln, den Boy Scouts. Die waren ohne Politik. Da hat ein Freund gesagt, du musst unbedingt auf die Akademie. Ich hab' das nicht ernst genommen. Ich war ja Lehrerin, ich hab' einen Schnellsiederkurs gemacht.

SZ: Was ist das denn?

Lassnig: Man wurde in einem Jahr Volksschullehrerin. So war das auf dem Land, auf 1100 Metern Höhe, während des Krieges. Ich hab maturiert, als die Nazizeit angefangen hat, dann der Schnellsiederkurs und sofort aufs Land. Dort oben hab' ich auch die Kinder, die ich unterrichtet hab', gezeichnet. Das hab' ich dem Schulinspektor gezeigt, und der hat gesagt: Ja, Sie müssen schon. Mit dem Rad bin ich nach Wien zur Akademie und der Professor hat gesagt, kommens unbedingt zur Aufnahmeprüfung, und ich hab' gezittert und geweint und gesagt, I werd bestimmt umfall'n, das heißt, auswaggoniert werden. Na, naa, is' alles sehr gut gegangen. Und von da an hab' ich gewusst: Nix is' wie Malerei.

SZ: Wunderbar. Aber trotzdem sind Sie dann aus Ihrer Malklasse rausgeflogen.

Lassnig: Ja, schon. Obwohl mich mein Professor, der Wilhelm Dachauer, geliebt hat. Weil er selbst auch Bauernmalerei gemacht hat. Und ich hab' ja als Wandervogel immer Dirndl angehabt. Ausgelacht worden bin ich in der Klosterschule mit meinem Dirndl. Die ham das nicht brauchen können. Furchtbar. Ich war immer der "Laughing Stock".

SZ: Gemein.

Lassnig: Ich hab da gelitten. Ich war nicht gern in der Schule. Die dumme Ridi, haben sie gesagt. Ridi, von Maridi, Maria. Also ja, ich bin rausgeflogen. Eine war neidisch. Sie war angemalt im Gesicht. Hergerichtet. Die hab' ich ausgespottet. Da hat sie mich bei einem Studentengericht angeklagt. Ich hab' gezittert. Hab' nicht gewusst, was mir passieren konnte. Aber ein anderer Professor hat mich dann wieder aufgenommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann Lassnig die Moderne entdeckt hat.

"Sehr fleischig, alles."

SZ: Haben Sie während der Kriegszeit die Moderne schon wahrgenommen?

Lassnig: Nein! Nach dem Krieg ist alles über einen hereingestürzt, stellen Sie sich vor, Picasso, Max Ernst, die Kubisten undsoweiter. Alles hat man plötzlich hier gesehn, was man vorher nicht gesehn hatte. Vorher war ich zu blöd und kindlich, auf dem Gymnasium hab ich gar nix gesehn.

SZ: Auch auf der Akademie wurde Ihnen die Moderne vorenthalten?

Lassnig: Ja, und wie! Es gab Leibl, Bauernmalerei. Sepp Pilz. Der hat eine große Ausstellung gemacht für den Hitler, lauter Frauen mit schönen Bauerntrachten.

SZ: Und blond.

Lassnig: Nein, blond warens nicht. Die haben meistens Hüterl aufgehabt. So bin ja auch ich aufgewachsen.

SZ: Wie war's denn während der Nazizeit in Wien?

Lassnig: Ja, so große Ausstellungen wie in München haben wir nicht gehabt. Da hat man hinfahren müssen. Ich glaube, wir sind einmal nach München hinwaggoniert worden. Wenn man was nicht kennt, dann entbehrt man's auch nicht. Und dann haben wir gesehen: Wuuusch! Was gibt's noch alles! Und dann hab ich selber angefangen. Mein erstes Selbstporträt, soll ich Ihnen das zeigen?

SZ: Unbedingt.

Lassnig: Warten Sie . . . hier. Da war ich noch auf der Akademie. Schön, oder?

SZ: Sehr.

Lassnig: Die ganzen Fleckerl ... ich hab' halt so lange hingeschaut auf einen Punkt, bis irgendetwas geglüht hat in mir. Sehr fleischig, alles. Ich hab nix anderes gesehn vorher, wirklich. Ich hab beim Professor immer schön bräunlich gemalt.

SZ: Sie waren ja eigentlich immer eine Unzeitgemäße. Sie haben studiert, als Sie die modernste Kunst Ihrer Zeit nicht sehen konnten. Dann sind Sie nach Paris gegangen nach dem Krieg, aber die Surrealisten waren schon auf dem absteigenden Ast. Sie hatten ein Stipendium, oder?

Lassnig: Ja. Wegen einer dieser kriegsversetzten Personen, die von den Nazis eingefangen wurden, um zu schuften. Mit denen durfte man nicht reden. Aber ich hatte französisch maturiert, ich konnte mit ihm reden, wir waren befreundet. Der hat mich nicht angerührt, sogar als Franzose. Er hatte Respekt. Er und seine Clique, die haben die Häuser bespritzt gegen die Brandgefahr von den Bomben.

SZ: Und wie kam es zum Stipendium?

Lassnig: Nach dem Krieg haben die Franzosen ja alles Deutsche gehasst, aber mir haben sie eine Erlaubnis gegeben, weil eben jener kriegsversetzte Louis immer bei uns zu Abend gegessen hat. Viele kriegsversetzte Jugoslawen sind übrigens später Partisanen geworden. Die haben sich dann gerächt, auch bei uns im Dorf, an den Leuten, für die sie arbeiten mussten. Die haben die in die Kaserne geführt und alle erschossen! Aus Rache. Deshalb sind die Kärntner so ängstlich vor den Jugoslawen. Der Haider hat davon genossen.

SZ: Den gibt's ja jetzt auch nicht mehr.

Lassnig: Ich hab' mich ja schon nimmer sagen traun, ich bin eine Kärntnerin. Alle haben doch gedacht, dass wir Kärntner Nazi sind. Furchtbar. Deshalb hab' ich ihn zum Teufel gewünscht.

SZ: Hoffentlich hat's der Teufel nicht gehört.

Lassnig:Ja eben! Dass er ihn geholt hat . . . Aber dann hat er mir eigentlich leid getan.

SZ: Kann man mit Kunst eigentlich die Gesellschaft, das Leben der Menschen beeinflussen?

Lassnig: Die Welt lernt sowieso nix aus der Kunst. Heute vielleicht, durch die Werbung. Der André Malraux zum Beispiel, der französische Kulturminister nach dem Krieg, der hat auf die Welt eingewirkt. Selber hat er auch geschrieben und gewusst, wo es mit der Kunst langgeht. Als Schreiber kann man's also schon! Aber als Maler nicht. Bilder sind zu beiläufig, die Fotografie, fast alle Künstler sind zu beiläufig. Die meisten Menschen merken die Kunst ja gar nicht.

SZ: Können technische Medien die Kunst abtöten? In einem Ihrer Bilder lacht die Malerei als Monster die Fotografie aus...

Lassnig: Die Malerei kniet vor der Fotografie, aber sie hat so einen Wimpel, der ihr die Zunge rausstreckt.

SZ: Ein Wunschtraum?

Lassnig: Das ist doch kein Wunschtraum. Oder meinen Sie, dass die Malerei doch siegt?

SZ: Wer gewinnt denn sonst?

Lassnig: Mein Gott ... Ich muss in letzter Zeit leider immer über die Welt hinausdenken. Wie lang sie dauert. Und es wird ja vielleicht doch nur Wasser am Ende da sein. Was kann man da mit unserer Malerei machen? Man sollte vielleicht etwas aus einem Material machen, was alles überdauert. Alle Schrecken. Stein zersetzt sich, alles zersetzt sich. Die ganzen Katastrophen, die noch kommen könnten.

SZ: Aber es heißt ja immer: ars longa, vita brevis.

Lassnig: Ach Gott, ein Hoffnungsstrahl...

SZ: Die Pyramiden stehen doch auch noch.

Lassnig: Ja, aber die haben auch nicht sehr viel überdauern brauchen, nicht? Dagegen die ganzen Felsmalereien - die graben ja jetzt sehr viel aus in der Wüste, unglaublich schöne Sachen. Ich möchte sehr gerne mal in die Wüste fahren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum erst die roten Krawatten kommen und dann die grünen.

"Sehr gutes Blatt"

SZ: Viele Malerinnen des 20. Jahrhunderts sind in die Wüste gegangen, Agnes Martin, Georgia O'Keeffe...

Lassnig: Georgia O'Keeffe, die hat den Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz hinter sich gehabt, die konnte sich's leisten. Unsereins muss unter Menschen bleiben, damit man überhaupt bemerkt wird.

SZ: Erst im vergangenen Jahr wurden Sie in London als "Entdeckung des Jahrhunderts" gefeiert!

Lassnig: Man hat mich so lange unterbewertet, dass ich die jetzige Bewertung gar nicht bewerten kann.

SZ: Trotzdem, derlei Lob ist ja nicht unangenehm.

Lassnig: Naa! Im tiefsten Grunde, ganz innen drin, hab' ich immer gewusst, dass ich gut bin. Und ich hab mir gedacht, ich versteh' bloß nicht, warum die anderen das nicht bemerken. Aber ich hab' halt so seltsame Sachen gemacht und ich war nie sehr schlau und clever beim Ausstellen. Ich habe immer alles hineingeschmissen in die Kunsthallen, das darf man nicht. Man muss erst alle roten Krawatten ausstellen, nach zwei Jahren dann die grünen. . .

SZ: Man muss strategischer sein.

Lassnig: Ja, das war ich nie.

SZ: Fühlen Sie sich benachteiligt?

Lassnig: Ich hab' immer das Gefühl gehabt, ich werde nicht akzeptiert. Meine Galeristen, die ganz schön an mir verdient haben, haben mir nie gesagt, dass ich auch Begeisterung hervorrufen kann: Nur ja nicht fördern, damit sie nicht übermütig wird; deshalb bin ich immer getaucht worden. Eine Galeristin hat mit mir geredet wie mit einem Dienstmädchen.

SZ: Nach dem Motto: Der unglückliche Künstler ist kreativer?

Lassnig: Nein, damit ich nicht mehr Geld verlange! Mein heutiger Galerist Iwan Wirth war ja entsetzt über mein Selbstvertrauen. Er sagt mir immer, ich sei die Größte...

SZ: Einmal haben Sie unter eine Ihrer Zeichnungen geschrieben: "Sehr gutes Blatt".

Lassnig: Ich hab' gefürchtet, die anderen werden's nicht finden. Ein Scherz, eigentlich.

SZ: Setzt sich das Gute am Ende durch? In der Kunst, meine ich?

Lassnig: Mein Gott, man soll sich halt nicht verlassen darauf.

SZ: Sie sind mal Motorrad gefahren, ist das richtig?

Lassnig: Das war nötig, für oben, die 1100 Meter. Für da hab ich's gekauft. 1984. Nach einem Jahr bin ich dann in einen Laternenpfahl hineingefahren. Da war's aus.

SZ: Mit 65 die Berge hinaufsausen. Respekt.

Lassnig: Ja, das war mein Supermaxi. In jeder Kurve hab ich mich ein bisserl gefürchtet.

SZ: Denken Sie manchmal an den Tod?

Lassnig: Sie meinen, ob ich ans Sterben denke?

SZ: Na ja...

Lassnig: Sie brauchen sich doch nicht zu schämen! Das möchte doch jeder wissen, aber gleichzeitig will's keiner wissen, weil alle sich fürchten. Ich weiß nur: Wenn ich in einer Wiese liege, möchte ich mich in ihr auflösen. Das wär' ein schöner Tod; die langsame Auflösung.

Maria Lassnig, die in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiert, wurde am 8. September 1919 in Kappel am Krappfeld in Kärnten, Österreich, geboren. Sie ist eine der radikalsten und war eine der verkanntesten Künstlerinnen unserer Zeit. Ihre Bilder lassen sich keiner gängigen Strömung zuordnen, beruhen einzig auf ihrem "Körpergefühl". 1943 wäre sie, die Dirndlträgerin vom Lande, fast von der Wiener Akademie geworfen worden. In Paris lernte sie nach dem Krieg Chefsurrealist André Breton kennen - und war enttäuscht. 1968 in New York wurden ihre Bilder als "weird" abgetan. Doch 1980 wurde Lassnig die erste Kunstprofessorin im deutschsprachigen Raum: in Wien. 2008, in London, bejubelte man sie als Jahrhundertkünstlerin. Derzeit zeigen das Wiener Museum Moderner Kunst und das Kölner Museum Ludwig große Retrospektiven ihres Werks.

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