Im Gespräch: Leonardo DiCaprio:Huhu! Jemand da?

Der Versuch eines Interviews mit dem überaus ehrgeizigen Leonardo DiCaprio in Rom - aus Anlass seines neuen Films "Der Mann, der niemals lebte".

Rebecca Casati

Wie heißt er gleich, der Planet, der von vielen dünnen Eisschichten umgeben ist? Ach ja, der Saturn.

Im Gespräch: Leonardo DiCaprio: Frostige Begrüßung durch Hollywood-Star Leonardo DiCaprio: "Hihowareyounicenotnicetomeetyou."

Frostige Begrüßung durch Hollywood-Star Leonardo DiCaprio: "Hihowareyounicenotnicetomeetyou."

(Foto: Foto: Reuters)

Wenn man dem Schauspieler Leonardo DiCaprio in einer Suite des Hassler, eines der wohl schönsten Hotels der Welt, gegenübersteht, dann fühlt sich das an, als habe man gerade einen unwirtlichen Eisplaneten betreten.

Eine halbe Stunde vorher waren es noch milde 22 Grad gewesen, Römer hatten nur ein paar Meter entfernt auf der Spanischen Treppe gesessen und dem Sonnenuntergang hinterhergeschaut. Sie sind sogar noch deutlich zu sehen, durch das geschlossene Fenster der im zweiten Stock gelegenen Suite. Aber sie sind so unerreichbar weit weg.

Auf dem Gang vor der Suite herrscht die Art von Unruhe, die man eigentlich nur aus Filmen kennt, in denen es um einen nervösen Hollywoodstar geht. Pressebetreuerinnen sprechen mit gedämpfter Stimme, Bodyguards spähen besorgt auf und ab, Zimmermädchen huschen gesenkten Kopfes herum, ein Etagenkellner trägt Tee vorbei.

Die Raumtemperatur sinkt

Man soll sich, bittedanke, hier in diesem Raum auf genau diesen Stuhl setzen und warten. Na klar. Immer wieder steckt ein Bodyguard den Kopf durch die Tür, er weist mit der Schläfe auf die Doppeltür an der gegenüberliegenden Wand und sagt: Er kommt gleich.

Nach fünf Minuten wird es ein bisschen kühl unter der Klimaanlage, nach 15 Minuten denkt man sehnsüchtig an draußen, an die Spanische Treppe vor dreißig Minuten. Dann kommt er, und im Türrahmen stehend bringt er es gleich mal hinter sich: "Hihowareyounicenotnicetomeetyou." Es wird gleich noch ein bisschen kälter.

Leonardo DiCaprio gibt hier in Rom eines seiner seltenen Interviews. Der Anlass ist sein neuer Film "Der Mann, der niemals lebte" (Body Of Lies, Filmstart in Deutschland: 20.November). Er spielt darin einen CIA-Agenten in einem Politthriller, der kritisch die Rolle der Amerikaner im Irak-Krieg beleuchtet.

Der Regisseur ist Ridley Scott, der monumentale Spannungswerke wie "Blade Runner", "Alien" oder "American Gangster" gedreht hat. Die Buchvorlage stammt von dem Washington-Post-Journalisten David Ignatius. In "Body of Lies" gibt es keine einzige langweilige Sekunde. Leonardo DiCaprio ist bekannt für ein gutes Händchen bei der Rollenauswahl - und diese hier ist mutig. Leonardo DiCaprio ist einer der begabtesten und präzisesten Schauspieler Hollywoods.

Davon abgesehen gibt es Gründe, ihn suspekt zu finden. Er ist das, was man im modernen amerikanischen Sprachgebrauch einen "Modelizer" nennt; ein Mann, der sich grundsätzlich mit Models umgibt. In Leonardos Fall waren das: Kate Moss, Helena Christensen, Eva Herzigova und Amber Valletta (kurz) und Gisele Bündchen und Bar Rafaeli (länger).

Er kann einem Gegenüber nicht länger als drei Sekunden in die Augen gucken. Schaut man ihm für drei Sekunden in die Augen, ist es, als ob der, der in ihm wohnt, nicht zu Hause ist, als ob er das Leonardo-DiCaprio-gibt-ein-Interview-Kostüm verlassen hat und sich woanders tummelt: vielleicht längst wieder in Los Angeles. Der Stadt, in der er geboren wurde, in der er aufwuchs und schon als kleiner Junge immer nur eines werden wollte: Jemand, der einen anderen spielt und dafür bewundert wird.

Die Maske

Mit fünf trat er das erste Mal im Fernsehen auf. Und offenbarte später ungewollt einiges über seine Selbstwahrnehmung, als er der Filmkritikerin Rebecca Murray auf ihre Frage nach seinen Träumen antwortete: "Ich bin neugierig zu sehen, welche Filme sich in den nächsten 1000 Jahren behaupten werden." Er wolle, so DiCaprio, Teil des Filmkanons sein, Filme machen, "die zukünftige Generationen sehen wollen".

Davon angetrieben stürzt DiCaprio sich so gewissenhaft in seine Rollen wie ein kleiner japanischer Klassenbester auf seine Hausaufgaben. Er nimmt diese Rollen osmotisch in sich auf. Er möchte nur ein Schauspieler sein, und er will sich dagegenstemmen, ein interviewgebender Filmstar zu werden.

Dieser Leonardo DiCaprio hat ein großes, ernstes, weißes Gesicht, das während des gesamten Gesprächs keine Regung zeigt. Eine Maske. Er trägt zwei große schwarze Schnürschuhe. Alles dazwischen ist irgendwie aus grauer Baumwolle. Ihn umgeben weder ein Geruch noch eine Aura; ihn umgibt nicht einmal eine Absicht. Er sieht gleichzeitig älter und jünger aus als 34 Jahre.

Die Fragen zum Film sind schnell durch, er beantwortet sie so eloquent wie auswendig gelernt - nicht aber die Fragen zu ihm. Stellt man ihm so eine Frage, so wiederholt er sie, und betont dabei die Schlüsselwörter immer so, als sei das jeweils die irritierendste Frage, die ihm je untergekommen sei.

"Seit "Titanic" kennt man Sie in jedem Winkel der Welt. Reagieren die Menschen in den unterschiedlichen Regionen unterschiedlich auf Sie?"

"Reagieren Sie unterschiedlich auf mich? Absolut."

Nach "Titanic", also 1997, änderte sich DiCaprios Leben von Grund auf. Horden von schreienden Mädchen verfolgten ihn durch die Welt. Selbst Eingeborene am Amazonas erkannten ihn.

Lesen Sie auf Seite 2, in welcher Tanzsportart DiCaprio den ersten Platz verdient gehabt hätte.

Huhu! Jemand da?

Er wurde für seine Rollen in "Titanic", in "Blood Diamond" und in "The Departed" für den Oscar nominiert. Dreimal gewann er ihn nicht. Er hat es öffentlich bedauert, die Hauptrolle in "Boogie Nights", jenen Pornodarsteller namens Dirk Diggler, abgelehnt zu haben. "Den Film habe ich geliebt", sagt er. " Ich habe mir wohl damals das Drehbuch nicht sorgfältig genug durchgelesen."

"Dabei hätten Sie Ihre komische Seite zeigen können. Falls es die gibt."

"Falls es die gibt? Viele Leute haben mir bestätigt, dass es die gibt. Wenn ich über einen Spionage-Thriller wie "Body of Lies" spreche, erscheine ich nicht so."

"Nein. Sie erscheinen eher - streng."

"Ich erscheine Ihnen eher - streng?"

"Es heißt, Sie sind ein toller Imitator."

"Ein toller Imitator? Sagt wer?"

"Die vielen Leute, vor denen Sie offenbar mal jemanden toll imitiert haben."

"Die vielen Leute, vor denen ich mal jemanden toll imitiert habe?"

Herr Roboter

Er trinkt nicht. Er lächelt nicht. Er ringt nicht nach Worten. Es ist so, als redete man mit Herrn Roboter - an dem Tag, an dem alles weint und lacht und jubelt, weil die ganze Welt Barack Obama als neuen Präsidenten erkoren hat.

Hat DiCaprio am Vorabend womöglich eine Wahlparty besucht, mit Freunden vor dem Fernseher gesessen? ("Habe ich am Vorabend mit Freunden . . . usw.") Nein. DiCaprio hat eine kleine Roboter-Rede vorbereitet. Sie geht so: "Ich habe an vorgezogenen Wahlen teilgenommen - das Land hat gesprochen - wir haben einen neuen Präsidenten in Obama - ich bin sehr aufgeregt."

Was würde Sigourney Weaver versuchen als Ellen Ripley in Ridley Scotts "Alien"-Film, um unter ihrer Mannschaft einen Androiden zu enttarnen? Vielleicht Fragen, die einen Computer aus dem Konzept bringen? Die das Wesen aus der Hülle locken? Also.

"Was ist eigentlich das unerhörteste Teil in Ihrem Kleiderschrank?"

Pause.

Pause.

"In meinem Kleiderschrank?"

"Ja."

Pause.

Pause.

Dann: "Ich verwende eine phänomenale Menge an Zeit darauf, nicht an meinen Kleiderschrank zu denken."

"Wirklich? Gleich phänomenal viel?"

"Ja, er ist so was von nicht auf meinem Radar, dass ich normalerweise nur im Vorbeigehen irgendetwas zum Anziehen greife. Es sei denn, ich spiele eine Rolle. Dann sucht jemand anderes meine Kleider für mich aus."

Zitate von einem anderen Stern

Zugegeben, das klingt lässig. Immun gegen Oberflächlichkeiten. Eigentlich cool. Nur nicht von einem Modelizer.

"Ich habe hier ein Zitat aus dem Time Magazine, in dem Sie sagen: "Schauspielerei ist nicht schwer. Eine Karriere aufrechtzuerhalten ist schwer.""

"Das habe ich gesagt? Warum habe ich das gesagt? Sie haben all' diese Zitate von mir, die klingen, als hätte sie eine andere Person gesagt . . . "

"Ich weiß nicht, warum Sie das gesagt haben. Aber es klingt eigentlich sehr ehrlich. Und sehr streng."

"Ah", sagt er. "Streng, streng - das sagt man nicht, da, wo ich herkomme."

Möglich, dass Leonardo DiCaprio diesen Text nie lesen wird. Täte er es, wäre er stolz darauf, denn das ganze Gespräch verlief getreu seiner Faustregel: "Je mehr man sich selber als eine Person definiert, desto weniger ist man in der Lage, mit einer Rolle zu verschmelzen, und die Zuschauer werden sagen: Diese Rolle? Die kauf' ich ihm nicht ab."

Aber müsste es nicht trotzdem irgendjemanden dahinter geben, jemanden, dem die Zuschauer die Rollen abkaufen? Und haben wir Zuschauer am Ende nicht immer die großen Könner unsterblich gemacht, die ihr unperfektes Ich durchschimmern ließen? Menschen wie Sinatra, die Monroe, James Dean und Elvis?

"Letzte Frage!" zwitschert die Pressefrau durch die Haupttür.

Welche Frage würde Ellen Ripley einem möglichen Androiden stellen, wenn sie nur noch eine übrig hätte?

"Bevor Sie Schauspieler wurden, waren Sie mal Breakdancer. Beherrschen Sie das noch?"

"Ob ich noch breakdance beherrsche? Die Fähigkeit verliert man nie. Ich habe bei einem Wettbewerb in Deutschland mal eine Trophäe gewonnen. Sie war eher klein. Ich finde bis heute, ich hätte den ersten Platz verdient."

DiCaprio aber wurde nur Zweiter.

Wie der Saturn. Er ist der zweitgrößte Planet unseres Sonnensystems.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: