Im Gespräch: Lambert Wilson:Wunderschön und unendlich schwach

"Wir leben in einer Zeit, in der uns unsere Regierungen sagen, wir sollten einander fürchten": Schauspieler Lambert Wilson über den verführerischen Lebensrhythmus der Mönche im prämierten Drama "Von Menschen und Göttern".

S. Vahabzadeh

Lambert Wilson wurde Anfang der Achtziger bekannt, mit Fred Zinnemanns "Am Rande des Abgrunds", Andrzej Zulawskis "Die öffentliche Frau". Seither hat er die unterschiedlichsten Filme gedreht - "Der Bauch des Architekten", "Matrix Reloaded", "Catwoman", Muscials und Melos mit Alain Resnais ("On connaît la chanson", "Herzen"). Sein neuer Film "Von Menschen und Göttern" über die Ermordung von sieben Mönchen in Algerien hatte in Frankreich mehr als drei Millionen Zuschauer. Nicht weit vom Drehort, im Garten des Palace Es Saadi während des Filmfests in Marrakesch, wo "Von Menschen und Göttern" lief, erzählt er von der Arbeit mit Xavier Beauvois.

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"Jedes Gefühl von Sicherheit ist mir völlig fremd": Lambert Wilson, aktuell im Drama "Von Menschen und Göttern" zu sehen, hat auch nach siebzig Filmrollen fortwährend Angst um seinen Job.

(Foto: AFP)

SZ: Haben Sie sich eigentlich auf den ersten Blick in das Projekt "Von Menschen und Göttern" verliebt?

Lambert Wilson: Nein, gar nicht. Das erste Drehbuch, das ich las, war sehr konventionell, und Xavier Beauvois war für die Regie noch nicht im Gespräch. Dann hat er erst mal das Buch umgeschrieben - und als ich mich mit ihm traf, wusste ich: Das wird ein starker Film.

SZ: "Von Menschen und Göttern" geht mit dem Thema Islamismus sehr vorsichtig und ohne Angriffslust um - während der Film im Herbst in Frankreich der Publikumsrenner wurde, war in Deutschland Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" der Bestseller, entfachte eine ungemein aggressive Debatte.

Wilson: Da zitiere ich am besten Xavier Beauvois: Wir leben in einer Zeit, in der uns unsere Regierungen sagen, wir sollten einander fürchten; diese Mönche stehen für das Gegenteil. Wir sollen in Frankreich vor den Roma Angst haben, vor den Afrikanern. Dass es in dem Film darum geht, eine andere Kultur zu umarmen, kam aber in Frankreich gut an.

SZ: Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?

Wilson: Um Himmels willen, nein. Das hat jeden überrascht. Ich musste mir für den Film alles über den Fall erst anlesen. Xavier hat jedem Schauspieler einen Stapel Bücher zum Thema in die Hand gedrückt. So setzte sich für mich das Bild zusammen. Das ist schön an der Schauspielerei, man kann einen kulturellen Flickenteppich erarbeiten - für ein paar Monate voll in ein Thema einsteigen, als Nächstes macht dann etwas ganz anderes. Ich habe mich danach aufs 16. Jahrhundert gestürzt, für Bertrand Taverniers "La Princesse de Montpensier". Da tat sich eine Gemeinsamkeit auf - in beiden Filmen geht es um Religionskriege.

SZ: Und in beiden spielen Sie jemanden, der sich diesen Kriegen verweigert.

Wilson: Ich hatte Angst, mich zu wiederholen. Beide Figuren sind Intellektuelle, für die der Glauben eine große Rolle spielt. Aber für die "Prinzessin" musste ich viel Reiten und Fechten üben, das verändert den Körper. Glauben kann ich spielen, da weiß ich, dass ich das in mir habe; aber an dem Körper eines Kriegers musste ich ganz schön hart arbeiten. Bei der Vorbereitung zu "Von Menschen und Göttern" haben wir sehr viel gesungen. Das Singen als eine physische Umsetzung des Gebets. Die Vorbereitung war einfach: Wir - die Schauspieler, die die Mönche darstellten - wurden in zwei Gruppen ins Kloster geschickt, wo uns ein Chorleiter, der auf Kirchenmusik spezialisiert ist, Mönchsgesänge beibrachte. Ich habe eine Gesangsausbildung.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Lambert Wilson bei den Dreharbeiten verzweifelte.

Geweint, gelacht und heilig dreingeschaut

SZ: Sie sind in einigen Musicals aufgetreten, haben auch Platten gemacht ...

Wilson: Ja, und hier musste ich nun lernen, völlig anders zu singen.

SZ: Musik spielt in "Von Menschen und Göttern" eine große Rolle - an ihrem letzen Abend hören die Mönche "Schwanensee", eine herzzerreißende Szene.

Wilson: Anfangs war das im Drehbuch nur als letztes Abendmahl vorgesehen. Aber Xavier wusste, dass dies der Höhepunkt des Films werden muss. Wir haben die Szene am 31.Dezember gedreht. Er wollte einfach nicht aufhören. Noch mehr Nahaufnahmen von allen, von allen Seiten, Stunde um Stunde. Irgendwann hassten wir alle "Schwanensee" und baten, eine andere Musik hören zu können, dann hörten wir Bachs Matthäuspassion, bis sie uns zu den Ohren herauskam. Ich habe jeden Gesichtsausdruck versucht, den ich im Repertoire habe - geweint, gelacht, hoffnungsvoll, verzweifelt und heilig dreingeschaut -, ich wusste nicht mehr, was ich noch tun sollte. Wir haben irgendwann nichts mehr gefühlt. Und Xavier brüllte: Ihr werdet gefilmt wie noch nie zuvor in eurem Leben!

SZ: Vielleicht spürt man das in der Szene - Erschöpfung und Ratlosigkeit.

Wilson: Das stimmt. Xavier wusste genau, was er aus uns herausholen wollte. Aber die Musik war auch ansonsten immer präsent. Wir mussten ja üben, und ich habe so was noch nie erlebt - Schauspieler, die in den Drehpausen die ganze Zeit singen. Meine Lieblingsszene ist die, in der wir mit den Armeehubschraubern singen - das ist natürlich ein wenig melodramatisch, aber ich mag dieses Lied besonders gern, "Father of Lights".

SZ: Haben Sie eine Erklärung für diesen enormen Erfolg in Frankreich?

Wilson: Ich denke, da kommen verschiedene Dinge zusammen. Der Film war in Cannes ein Erfolg, und die Ermordung der Mönche 1996 hat Frankreich an einem empfindlichen Punkt getroffen. Aber der Film selbst bringt die Zuschauer in Kontakt mit Werten, nach denen sie sich verzweifelt sehnen - Liebe, Altruismus, Spiritualität. Es geht darum, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, Humanismus im philosophischen Sinn. Der Film funktioniert wie die griechische Tragödie: Man weiß, dass sie sterben werden, aber der Weg dorthin ist bewegend. Ich denke, dass der Lebensrhythmus der Mönche sehr verführerisch ist. Xavier Beauvois hat nicht versucht, die Geschichte schneller und sexier zu machen, wie es vielleicht ein amerikanischer Filmemacher getan hätte - die täglichen Verrichtungen, das konzentrierte Leben, das nicht vorbeirauscht, wie sonst bei den meisten von uns. Ich denke, da berührt der Film den Kern unserer Existenz. Als ich ihn das erste Mal fertig gesehen habe, wollte ich den ganzen Tag heulen - weil der Mensch an sich wunderschön ist und unendlich schwach. Als meine Figur neben dem toten Terroristen betet ...da liegt ein Mensch, eine große Geste. So was bricht mir das Herz.

SZ: Man möchte ein besserer Mensch werden, wenn man aus dem Kino kommt.

Wilson: Genau: Wir haben einen freien Willen - wir könnten so sein.

Erfahren Sie auf Seite 3, warum sich Lambert Wilson für einen intellektuellen Snob hält.

"Ich denke nie über mich selbst hinaus"

SZ: Was, glauben Sie, ist damals wirklich passiert?

Wilson: Man weiß es ja nicht, ich glaube, dass die Mönche wahrscheinlich zusammen mit einer Gruppe von Terroristen versehentlich von der Armee erschossen wurden, die Gegend war damals eine Hochburg von Islamisten und wurde per Helikopter überwacht. Es gibt die Theorie, dass die Armee nur die Köpfe dort abgelegt hat - mehr wurde von den Mönchen ja nicht gefunden -, damit man das nicht anhand der Schusswunden in den Körpern beweisen kann.

Die Terroristen in den Bergen waren von der Armee infiltriert, es gab definitiv Doppelagenten.

SZ: Gedreht haben Sie nicht in Algerien, sondern in Marokko.

Wilson: Der Set-Designer hat hier in Marokko ein Kloster aufgetan, das fast genauso aussieht. Hier sind auch die Filmtechniker sehr gut - echte Profis. Es werden generell viele französische Filme hier gedreht. Mal abgesehen davon, finde ich die Marokkaner zauberhaft, in der Gegend, in der wir drehten, sind die Menschen sehr sanftmütig.

SZ: Sie haben einen Ihrer ersten großen Erfolge hier gedreht, "Sahara" mit Brooke Shields ...

Wilson: Ein blöder Film! Ich habe dann gemerkt, dass es fürs amerikanische Kino zu früh ist und mich erst mal aufs französische Kino verlegt, drehte "Rendez-Vous" mit Téchiné und einen kleinen Film namens "Rote Küsse".

SZ: Eine Kommunisten-Liebesgeschichte, wundervoll ...

Wilson: Ja, der war ein großer Erfolg bei jungen Mädchen!

SZ: Haben Sie sich als Schauspieler von Anfang an als Allround-Entertainer begriffen?

Wilson: Dass ich wirklich alles machen kann - ich bin zehn Abende an der Scala aufgetreten! -, ist erst jetzt so. Ich bin in England auf die Schauspielschule gegangen, ich sah dort Schauspielern zu, die Shakespeare auf der Bühne spielten, einen Film machten und dann in einem Musical auftraten. So wollte ich auch sein. Ich wollte inszenieren, wie mein Vater, Georges Wilson, der Regisseur und Schauspieler war. Gerade war ich mit einer Marivaux-Inszenierung von mir beim Stuttgarter Europa Theater Treffen. Ich wollte Theater und Film, auf Englisch, auf Französisch, Regieführen, Musicals - ich denke, meine Karriere als Schauspieler war deswegen nicht immer so effizient wie die vieler anderer Leute.

SZ: Haben Sie wirklich das Gefühl, Sie waren nicht effizient? Sie sind 52 und haben an die siebzig Filme gedreht.

Wilson: Ich hatte keine klare Linie. Außerdem kann ich ein fürchterlicher intellektueller Snob sein - ich habe eine Weile berühmte Regisseure gesammelt.

SZ: Eine beachtliche Kollektion - Zinnemann, Téchiné, Resnais, Chabrol ...

Wilson: ...Wajda, Greenaway. Ich habe mich nicht für Filme, sondern für Regisseure entschieden. Den Lafayette in "Jefferson in Paris" habe ich nicht angenommen, weil ich die Rolle interessant fand, sondern nur, weil ich James Ivory am Set erleben wollte.

SZ: Hat diese Sammelwut angefangen, weil Sie gleich Ihren ersten Auftritt bei Fred Zinnemann hatten?

Wilson: Ja. Und das war Glück. Ich hatte eine Szene mit Jane Fonda in seinem Film "Julia" (1977) - Zinnemann hat sich an mich erinnert, als er "Am Rande des Abgrunds" besetzte. Der Casting-Agent sagte: Er will dich haben, ich denke, du solltest dich als Schweizer Bergführer anziehen, wenn du ihn triffst, passend zur Rolle. Es war Frühling und schon sehr warm. Ich wusste nicht, dass es um die zweite Hauptrolle ging, zog mir Cordhosen an und einen dicken Anorak, und schminkte mir falsche Sonnenbräune ins Gesicht - ich hatte solche Angst, dass er das sieht. Ich komme also in sein Büro, und er guckt mich mit diesen stahlblauen Augen an und sagt: Lambert, ist es kalt in Paris? Ja, sagte ich, es schneit, was gar nicht stimmte. Und dann gab er mir die Rolle, ohne mich vorsprechen zu lassen. Ich war 22 Jahre alt und spielte mit Sean Connery. Gott, hatte ich eine Angst.

SZ: Fühlen Sie sich heute sicher?

Wilson: Jedes Gefühl von Sicherheit ist mir völlig fremd. Ich bin immer noch überrascht, wenn mir jemand eine Rolle anbietet. Jeder Job ist ein Wunder. Ich kenne so viele Leute, die mit mir angefangen haben und gar keine Filme mehr drehen. Das ist ein beängstigender Beruf. Ein Marathon, bei dem nur wenige ins Ziel kommen. Damit hatte ich als Teenager, als ich mich auf einer großen Leinwand sehen wollte, nicht gerechnet - dass ich auch, wenn ich auf der Leinwand ankomme, nie sicher sein kann, dass ich dort bleibe. Ich habe das bei meinem Vater erlebt, eines Tages bekam er keine Filmangebote mehr. Dabei war er im Alter, wie jeder Schauspieler, besser denn je: Wenn man ein ganzes Leben in die Waagschale wirft. Im Moment bin ich in Frankreich erfolgreich - in sechs Monaten haben alle das vergessen.

SZ: rchten Sie auch, dass es deswegen mal weniger Rollen gibt, weil das Kino sich verändert?

Wilson: Nein! Ich denke nie über mich selbst hinaus. Nein, im Ernst: Ich bin mir der Privilegien des subventionierten Kinos in Frankreich durchaus bewusst. Aber ich denke, insgesamt ist das Kino nicht totzukriegen. Die Menschen sind besessen davon. Sie wollen die große Leinwand, das Gemeinschaftserlebnis. Als ich die langen Schlangen vor den Kinos in Paris sah für "Von Menschen und Göttern" - das lässt einen doch hoffen.

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