Joe Wright:"Ich wollte sie auf keinen Fall sexualisieren"

Regisseur Joe Wright spricht über Actionkino, verlogenen Feminismus und seinen neuen Film "Wer ist Hanna?", in dem Cate Blanchett und eine kindliche Kampfmaschine die Hauptrollen spielen.

Anke Sterneborg

Bisher hat er Literatur von Jane Austen bis Ian McEwan verfilmt, demnächst wird er Tolstois "Anna Karenina" drehen. Dazwischen aber wagt der Brite Joe Wright einen Ausbruch: In seinem neuen Film "Wer ist Hanna?" arbeitet er zum ersten Mal mit einem Originaldrehbuch, das der Action-Phantasie von der weiblichen Killerin eine neue, beinah ätherische Dimension hinzufügt.

Der amerikanisch-englische Film 'Wer ist Hanna?' startet am 26. Mai

Hanna (Saoirse Ronan) wird in der Wildnis von ihrem Vater zur Agentin ausgebildet. Sie ist eine Art "Wolfskind", das, in der Zivilisation angekommen, gleich einen Kampf auf Leben und Tod austragen muss.

(Foto: Sony)

SZ: Mr. Wright, wie passt dieser Film zu Ihren ganzen Literaturverfilmungen?

Joe Wright: Da muss ich gestehen - das Ganze war gar nicht meine Idee. Meine 17-jährige Hauptdarstellerin Saoirse Ronan hat mir das Skript geschickt und mich als Regisseur vorgeschlagen. Sie hat ja schon in "Abbitte" für mich gespielt und dafür eine Oscarnominierung bekommen - so was verbindet natürlich. Actionszenen zu inszenieren, war Neuland für mich. Das hat mich zunächst stark beunruhigt. Dann habe ich einfach beschlossen, von etwas auszugehen, was ich kenne - das waren die Tanzszenen in meinen Literaturverfilmungen.

SZ: Trotzdem müssen Sie doch auch eine eigene Faszination für das Thema entwickelt haben?

Wright: Jeder Film ist ein Experiment. In diesem Fall haben mich die Herausforderungen interessiert, die sich durch eine Figur wie Hanna ergeben, die zugleich Kind und Kampfmaschine ist. Außerdem habe ich ein besonderes Faible für Kaspar-Hauser-Figuren wie Mr. Chance in "Being There" oder auch E.T. - diese Figuren, bei denen man den Eindruck hat, jemand habe sie ohne Vorwarnung und Vorbereitung in die Welt geworfen, weshalb sie diesen besonderen Blick für all die Absurditäten und Wunder unserer Zivilisation haben.

SZ: Die Erschaffung einer Welt durch die Wahrnehmung eines Helden...

Wright: Genau. Ich mache das natürlich nicht bewusst, aber mir wird langsam klar, dass es in all meinen Filmen jemanden gibt, der in gewisser Weise Außenseiter ist, der versucht, sich in der Welt zurechtzufinden, mit den Widersprüchen zwischen dem inneren und dem äußeren Leben klarzukommen.

SZ: Sehen Sie sich auch selbst in dieser Position - als Außenseiter?

Wright: Ich bin in einem Puppentheater in Islington aufgewachsen, an einem sehr magischen Ort. Theater und Werkstatt waren direkt in unserem Haus. Das war ein sehr abgeschlossenes, kleines Königreich, aus dem man sich selten herauswagte, weil es dafür gar keinen Grund gab - es war ja alles da. Als ich dann in dieser rauen Gegend in die Schule kam, war das ein ziemlicher Schock. Ich kam aus dieser behüteten Welt mit kreativen, liebenswerten und gutmütigen Menschen in die harsche Realität. In meiner Arbeit versuche ich wohl noch immer, diesen Widerspruch aufzulösen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Joe Wright wütend auf den Feminismus ist.

Politik der Geschlechter

SZ: Wie hat Ihre Jugend im Puppentheater Ihre Art geprägt, Geschichten zu erzählen?

Themendienst Kino: Wer ist Hanna?

Cate Blanchett als hexenhafte Geheimagentin Melissa in dem Thriller "Wer ist Hanna?" von Joe Wright.

(Foto: dapd)

Wright: Sehr stark. So habe ich zum Beispiel auch "Stolz und Vorurteil" als Märchen gesehen, die Ästhetik ähnelt der des Puppentheaters, und in "Abbitte" geht es in der Phantasiewelt des jungen Mädchens nur um Prinzessinnen und Ritter in glänzenden Rüstungen. Meine Filme spielen nie eindeutig in der Wirklichkeit, und bei den Charakterisierungen gehe ich immer von Archetypen aus. Ich überlege mir, welche Art Figur mein Vater aus ihnen geschnitzt hätte.

SZ: Woher kommt Ihr Faible für starke weibliche Helden?

Wright: Schon im Puppenrepertoire meines Vaters gab es Figuren wie die kleine Meerjungfrau oder Rapunzel, die mich immer sehr stark beeindruckt haben. Die Frauen waren in den Märchen immer viel interessanter und auch komplizierter als die Prinzen, die nur herumreiten und Drachen töten, aber im Grunde furchtbar langweilig und eitel sind. Ich möchte diesen Instinkt aber auch nicht zu stark analysieren, damit der Zauber nicht verfliegt.

SZ: Wie sehen Sie die oft harsche Moral des Actionkinos?

Wright: Die Jason-Bourne-Filme haben uns gelehrt, dass es möglich ist, Actionfilme zu machen, die ein soziales und moralisches Gewissen haben - nach all den testosterongetriebenen, menschenfeindlichen, rechtskonservativen Vorläufern. Ehrlich gesagt, war ich aber sehr viel stärker an der Politik der Geschlechter interessiert. Es war mir sehr wichtig, dass Hanna sich jenseits solcher Kategorien bewegt, dass sie nicht - wie so viele junge Frauen im Actionkino - zu einem Objekt der Begierde wird. Ich wollte sie auf keinen Fall sexualisieren, wie jene Actionamazonen, die mit ihrem verlogenen Feminismus dann doch wieder die alten Muster bedienen. Ich wehre mich dagegen, Sex als weiblichen Machtgewinn zu sehen. Meine Wut über das, was aus dem Feminismus geworden ist, der eigentlich die Welt verändern sollte, aber zu einer vorübergehenden Mode verkommen ist, ist ein wichtiger Auslöser dieses Films. Hanna hat in ihrem ganzen Leben noch keine andere Frau getroffen. Und weil sie völlig unbefangen ist, sieht sie die Probleme sehr viel klarer.

SZ: Cate Blanchett als Geheimagentin haben Sie fast zur Hexe stilisiert...

Wright: Diese Figur ist von einer Lehrerin inspiriert, die ich auf seltsame Weise sexy und zugleich auch erschreckend fand - und dann ging es nur noch darum, die beste Schauspielerin dafür zu finden.

SZ: Die Art, wie Hanna kämpft, hat man im Kino auch noch nicht gesehen.

Wright: Ihr Kampfstil sollte ihrem Charakter entsprechen. Saoirse und ich haben mit einem wunderbaren Kampftrainer gearbeitet. Er hat damit angefangen, ihren Schwerpunkt zu suchen, und hat davon ausgehend einen Kampfstil geschaffen, bei dem sie das Gewicht ihrer Gegner als Hebel benutzt. Wir haben die Figur sehr stark aus ihrer Körperlichkeit heraus entwickelt.

SZ: Sehen Sie Ihren Film auch als einen Kommentar zur Debatte um Genexperimente?

Wright: Die Frage, was das Menschliche ausmacht, ist jedenfalls eine essenzielle Frage des Films. Ich habe auch keine klare Antwort darauf, was anerzogen und was angeboren ist - aber ich sehe meine Filme ohnehin als Prozess, in dem ich Fragen stelle. Als frischgebackener Vater schaue ich auf meinen zehn Wochen alten Sohn - und bin fasziniert.

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