Im Gespräch: Hannelore Elsner:"Das Leben ist ums Verrecken schön"

Die Schauspielerin Hannelore Elsner hat ihre Autobiographie geschrieben. Darin erzählt sie von ihrer Kindheit, ihren Ehen und Verlusten. Ein Gespräch über das Alleinsein und warum hinter jedem Löwenzahn das Grauen lauert.

Kerstin Holzer

SZ: Nicht, dass man's Ihnen ansähe, aber Sie scheinen sehr müde zu sein.

Hannelore Elsner findet das Wort 'Promi' haesslich

"Jetzt, wo mein Buch herauskommt, fürchte ich mich auch": Soeben erscheinen Hannelore Elsners Erinnerungen Im Überschwang.

(Foto: dapd)

Hannelore Elsner: Es war ein langer Abend gestern. Wir haben uns getroffen, Familie und Freunde von Bernd Eichinger, zu seinem Geburtstag. Wir waren erst alle zusammen an seinem Grab, dann zu Hause, haben geweint und gelacht und getrunken.

SZ: Sie und Eichinger waren drei Jahre zusammen und fast 30 Jahre befreundet.

Hannelore Elsner: Ach! Bernd war der treueste Freund, den man nur haben kann.

SZ: Beim Lesen Ihrer Erinnerungen hat man den Eindruck, dass sich Verlust wie ein roter Faden durch Ihr Leben zieht. Handelt Ihr Leben eigentlich vom Alleinsein?

Hannelore Elsner: Auch, ja. Aber diese Sichtweise alleine gefällt mir nicht, das klingt schon gleich so traurig! In dem Zwiespalt war ich auch beim Schreiben. Ich habe mit dem Buch ja schon vor sieben, acht Jahren angefangen. Nach dreißig Seiten dachte ich: Nein, das ist mir alles viel zu nah und zu intim. Ich habe es erst einmal zur Seite gelegt. Ich bewundere zum Beispiel die Schriftstellerin Siri Hustvedt ungemein; wie offen die über privateste Dinge sprechen kann. Aber gut, die ist auch keine Schauspielerin. Der passiert es nicht, dass ihre Aussagen falsch zitiert und montiert werden. Jetzt, wo mein Buch herauskommt, fürchte ich mich auch.

SZ: Erinnerungen geben nun mal etwas über den Verfasser preis. Wovor genau fürchten Sie sich denn?

Hannelore Elsner: Falsch verstanden zu werden. Wenn ich etwa erzähle, dass mein Bruder und mein Vater so früh gestorben sind, meine Mutter auch, dass mein Sohn drei Monate zu früh geboren wurde und ich um sein Leben fürchtete, habe ich gleich die Schere im Kopf, es könnte heißen: die Arme! Und das stimmt ja so nicht. Ich bin kein Opfer, nur weil ich mich lange Phasen meines Lebens allein gefühlt habe.

SZ: Vielleicht gilt Alleinsein heute, wo jeder Hunderte Facebook-Freunde um sich schart, sogar schon als suspekt?

Hannelore Elsner: Facebook ist seltsam. Aber es gab immer, in jeder Generation, Menschen, die nicht allein sein können. Ich kann es halt.

SZ: Sie beschreiben Ihre Kindheit äußerlich als leuchtendes, bayerisches Idyll. . .

Hannelore Elsner: Ich erinnere mich an Wiesen und Bäche und den Waginger See, in dem ich als sechsjähriges Mädchen mit meinem Vater geschwommen bin. An meine Oma, die so bäuerlich und liebevoll war und uns Zwetschgendatschi gebacken hat. Verstecke im Heuschober. Sommergewitter. Und hinter jedem Löwenzahn lauerte das Grauen, wie in jeder Idylle.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Hannelore Elsner mit dem Tod ihres Bruders umging.

Ein Verlassensein im Herzen

SZ: Ihr Bruder starb mit knapp fünf Jahren bei einem Tieffliegerangriff. Da war der Krieg schon fast vorbei.

Hannelore Elsner: Ich war zwei Jahre jünger als Manfred und sehr mit ihm verbunden. Er war mein Anführer, mein großer Bruder. Meine Mutter hatte gerade unseren kleinen Bruder auf die Welt gebracht, und Manfred war mit einem Nachbarmädchen auf dem Weg zu unserer Großmutter von Burghausen nach Neuötting. Während der Fahrt wurde der Zug bombardiert. In seinem Körper fand man sechs Patronen, die meine Mutter später in einem Leinensäckchen aufbewahrte, zusammen mit zwei winzigen Holzpferdchen, die Manfred immer bei sich hatte. Dieses Leinensäckchen besitze ich immer noch. Meine Erinnerungen sind verblasst, aber die Gefühle sind da. Ein unglaubliches Verlassensein in meinem Herzen. Es war ein unsagbarer Schmerz in der Familie. Und gleichzeitig totale Sprachlosigkeit.

SZ: Man sprach zu Hause nicht darüber?

Hannelore Elsner: Moderne, aufgeklärte Eltern würden das heute tun. Damals tat man das nicht. Der Verlust war im Hinterkopf, immer da. Man fühlte ihn. Später, als ich über den Holocaust und den Krieg las, kam in mir sogar das Gefühl auf, wir hätten gar kein Recht gehabt, darüber zu trauern. Was bedeutete vor diesem Hintergrund so ein kleines Kind? Auch, als mein Vater so jung starb - da war ich acht Jahre alt - sprach meine Mutter nicht mit uns darüber. Die innige Beziehung hatte ich mit meiner Großmutter, und die verloren wir auch zu früh. Mein anderer Bruder und ich wissen auch ohne viele Worte, dass wir beide einsam waren und etwas sehr Trauriges durchgestanden haben.

SZ: Und dann kamen Sie auch noch auf ein Kloster-Internat.

Hannelore Elsner: Ich empfand es als normal, auch wenn ich nie verstanden habe, warum ich von Schulwechsel zu Schulwechsel geschubst wurde. Immer war ich die Fremde. Aber irgendwann war ich auch stolz darauf. Es gab einfach kein trautes Heim mit einem gütigen Vater und einer fürsorglichen Mutter. Es hatte keinen Sinn, davon zu träumen, das habe ich mir nicht angetan. Da wäre ich ja total unglücklich geworden. Und es war mein Glück, dass ich so lebensbejahend war und immer auch das Schöne sehen konnte.

SZ: Kirchliche Internate sind zuletzt in Verruf geraten. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Hannelore Elsner: Natürlich ist man geschlagen worden, na klar. Mit dem Stock. Ohrfeigen und so kleine Rüffler, die waren völlig normal. Beim Klavierspielen in dem kalten Saal hat die Nonne manchmal mit dem Stock auf meine Finger gehauen. Das hat sehr wehgetan. Nachts hat man sich oft nicht auf die Toilette getraut, aus Angst vor der Aufpasserin im Schlafsaal. Und all die Phantasien, die wir Mädchen hatten: Dass die Nonnen etwas mit den Priestern hätten, oder dass sie ihre Babys in den Klostermauern vergraben hätten. Ist das normal, dass man sich als Kind damit beschäftigt? Oder lag da doch so etwas in der Luft?

SZ: Haben Sie Ihrer Mutter vorgeworfen, Sie fortgeschickt zu haben?

Hannelore Elsner: Nein. Ich glaube, sie dachte, dass sie mir etwas Gutes tut. Ich habe ihr gegenüber eher dauernd ein schlechtes Gewissen.

SZ: Weswegen?

Hannelore Elsner: Auch weil ich so böse über sie geschrieben habe. Dass sie mir auf die Nerven ging mit ihrer überfreundlichen Art. Mit ihrem lächerlichen Stolz auf mich. Ich habe auch ein schlechtes Gewissen, dass ich eine so ruppige, schwierige Tochter war. Ich konnte erst später begreifen, dass meine Mutter es selbst so schwer hatte mit uns Kindern, die sie alleine durchbringen musste, mit den Geldsorgen, mit Beziehungen, die nie von Dauer waren.

SZ: Und am Ende keine Aussprache.

Hannelore Elsner: Nein. Kurz bevor sie starb, gab es einen Moment, wo wir uns verabredet hatten zum Gespräch. Daraus wurde nichts; an dem Tag, an dem wir uns treffen wollten, starb sie ganz plötzlich an Herzversagen. Mit 59 Jahren. Nicht, dass wir verkracht gewesen wären, aber wir waren uns fremd geblieben. Ich habe mich als elternloses Kind gefühlt, irgendwie.

SZ: Walter Kohl beschreibt in seinem Buch die Aussöhnung mit seinem abwesenden Vater Helmut Kohl als Prozess, der auch einseitig funktioniert. Geht das?

Hannelore Elsner: Aber ja! Ich habe später als Mutter bei meinem Sohn Dominik sicher vieles anders gemacht, aber nicht bewusst. Ich kann meine Liebe eben besser zeigen. Es liegt in meiner Natur, zu füttern und zu umsorgen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum Hannelore Elsner kein Partymädchen war.

"Ich habe mich nie benutzen lassen"

SZ: Sie haben einen ganz seltenen Sprung geschafft: Vom Unterhaltungsfilm zu einer der profiliertesten Film- und Fernsehschauspielerinnen Deutschlands. Wie haben Sie sich Ihre Karriere als Teenager ausgemalt?

Hannelore Elsner: Vor allem romantisch. Die Nouvelle Vague hat mich ganz sehnsüchtig gemacht, ,Jules und Jim' oder ,Außer Atem'. In solchen Pariser Wohnungen wollte ich leben. Diese Lässigkeit, den ganzen Tag Zigaretten rauchen und Rotwein trinken, reden und nachdenken, dabei gestreifte T-Shirts tragen und diese wilden Haare, dieser Müßiggang, dieses zugleich Schwere und Leichte. . . So wird man automatisch Künstlerin, hab' ich gedacht.

SZ: Stattdessen: Schauspielschule und erste Drehs mit Hans-Joachim Kulenkampff und Freddy Quinn.

Hannelore Elsner: Ach Gott, das war halt alles so frivol und bieder zugleich. Papas Kino eben. Ich habe mich damals eigentlich dauernd geschämt, so was zu spielen. Aber ich hatte in meiner frühen Berufszeit keinen Mentor, der mich unterstützte. Es gab damals keine tollen Förderungen, man wurde nicht eingeladen auf die Berlinale oder den Deutschen Bundesfilmpreis.

SZ: Lief für ehrgeizige junge Mädchen damals alles über die Besetzungscouch?

Hannelore Elsner: Nicht bei mir. Ist es heute anders? Einmal war ich mit anderen jungen Schauspielerinnen bei einem Abend für König Hussein von Jordanien eingeladen, da wurden die Minister ziemlich aufdringlich. Ich beschwerte mich, andere nicht.

SZ: Eine Frage der Moral?

Hannelore Elsner: Ja, natürlich, aber meiner eigenen. Ich habe mich nie benutzen lassen. Gleichzeitig fühlte ich mich frei von moralischen Zwängen. Das erzähle ich ja auch in meinem Buch, wie ich mit einem Wildfremden mitgegangen bin, um etwas auszuprobieren. Und das habe ich nicht nur einmal gemacht. Aber ich war immun gegenüber Erpressungsversuchen von Produzenten oder Regisseuren, weil ich einfach kein Partymädchen war. Und mit Pausen von einem halben oder einem Jahr war ich immer in festen Beziehungen. In dieser Hinsicht war ich nie lange allein.

SZ: Davon liest man aber nichts in Ihrem Buch!

Hannelore Elsner: Na, ich habe die natürlich nicht alle brav aufgeschrieben.

SZ: Sie finden innige Worte für die Männer Ihres Lebens: für Ihre erste Liebe Fritz. Für den Filmemacher Alf Brustellin. Für den euphorischen, zuverlässigen Bernd Eichinger. Über Dieter Wedel, den Vater Ihres Sohnes, verlieren Sie drei Sätze .

Hannelore Elsner: Drei? Ich dachte, es seien weniger.

SZ: Sie nennen ihn ,den Anderen', mit dem Sie ein vages Verhältnis haben, und der bei der Geburt des Kindes nicht erreichbar war. Haben Sie sich bei der Wahl des Vaters Ihres Kindes vertan?

Hannelore Elsner: Sinnlos, so zu denken. Ich hätte meinen Sohn Dominik um keinen Preis der Welt umtauschen wollen. Sicher hatte ich mir das alles anders vorgestellt. Schon die Geburt. Ich hatte zur Vorbereitung ein Buch gelesen, ,Protest gegen die Technik im Kreißsaal', in dem es hieß, die Geburt müsse ganz natürlich und harmonisch verlaufen, sonst könne man das Kind gleich wegschmeißen. Und dann kam mein Sohn drei Monate zu früh, wurde mir entrissen und kämpfte auf der Intensivstation um sein Leben. Ohne die Technik wäre er verloren gewesen, das habe ich da brutal erfahren.

SZ: Sie haben ihn dann alleine großgezogen.

Hannelore Elsner: Ich habe für uns gesorgt und Geld verdient. Ja und?, kann ich da nur sagen! Für mich war das selbstverständlich. Ich war sehr glücklich mit meinem Kind.

SZ: Sie waren zweimal verheiratet. Glauben Sie noch an die Ehe?

Hannelore Elsner: Ich wollte nie unbedingt geheiratet werden. Aber ich wurde gefragt, und ich habe Ja gesagt. Ich glaube schon an die Ehe, es ist ein schönes Fest, die Krönung einer Liebe. Es ist das Ideal: zu zweit sein.

SZ: Trotzdem schreiben Sie: Man soll sich auf andere nicht verlassen - und kann es auch nicht.

Hannelore Elsner: Es wäre auch eine Zumutung. Andere Menschen können das gar nicht leisten.

SZ: Eine ziemlich resignative Weltsicht.

Hannelore Elsner: Aber nein! Das Leben ist schön - um's Verrecken. So hat meine Oma es mir beigebracht. Hätte ich hadern sollen: Warum ich? Soll man denken: Lieber der Andere? Dazu bin ich zu katholisch. Man muss froh sein, dass man noch da ist und die Begabung hat, das Schöne zu sehen.

SZ: Wie macht man das?

Hannelore Elsner: Das muss man sich erkämpfen. Die Dinge sind nicht von alleine schön. Manchmal, wenn mir alles über den Kopf wächst, wenn alle was wollen und keiner akzeptiert, dass ich vielleicht mal zu Hause sein muss oder Zeit für mich brauche, dann lüge ich auch. Dann sage ich zum Beispiel: Ich muss jetzt ein Interview geben. Das ist nämlich Arbeit, das wird respektiert. Dann gehe ich einfach ein paar Stunden spazieren, Kruzifix noch mal.

Hannelore Elsner wurde am 26.8.1942 im oberbayerischen Burghausen geboren. Sie absolvierte in München die Schauspielschule, ihr Kinodebüt gab sie mit 17 Jahren. Zu ihren Erfolgen gehören die Rollen in "Die Kommissarin", "Die Unberührbare", "Mein letzter Film" oder auch "Hanami - Kirschblüten". Sie erhielt das Bundesverdienstkreuz, den Deutschen Filmpreis sowie den Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises für ihr Lebenswerk. Ihre Erinnerungen "Im Überschwang" erscheinen soeben im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Ab 2. Juni ist sie in Hans Steinbichlers Film "Das Blaue vom Himmel" im Kino zu sehen. Hannelore Elsner lebt in Frankfurt.

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