Im Gespräch: Frank Stella:"Sex ist okay..."

"...aber am Ende geht es um Liebe. Und um Leidenschaft." Der Künstler Frank Stella über die Energie von schnellen Autos und großer Kunst.

Eva Karcher

Hockenheim. Ein schmaler Mann im hellen Rennanzug steigt aus einem quietschbunten Oldtimer-Rennauto. Strahlend posiert Frank Stella, der große amerikanische Künstler, vor dem BMW-Art Car, das sein Freund Andy Warhol einst bemalte. Jemand reicht ihm eine Flasche Wasser. Stella ist noch ein bisschen atemlos, er spricht heller und schneller als sonst. Heiter steigert sich der 73-Jährige in eine Art geistigen Geschwindigkeitsrausch, der wunderbar zum Thema passt.

Im Gespräch: Frank Stella: "Wenn man jung ist, hat man zu allem mehr Lust", erinnert sich der 73-jährige Frank Stella.

"Wenn man jung ist, hat man zu allem mehr Lust", erinnert sich der 73-jährige Frank Stella.

(Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Mr. Stella, 1958 bis 1960 malten Sie eine Serie existentialistisch schwarzer Bilder. Warum dieser Blackout?

Frank Stella: So nennen Sie das? Nicht schlecht! Ja, es handelte sich um eine Art Verdunkelung. Eine Form der Rebellion gegen die Überväter meiner Generation, Barnett Newman und Mark Rothko.

SZ: Weil diese Schwarz als heilige Farbe mystifizierten?

Stella: Okay, wohl auch deshalb benutzte ich Anstreicherfarbe. Mit ihr füllte ich Raster aus dünnen, hellen Rautenlinien aus. Diese Muster setzten sich unendlich fort, ohne Anfang und Ende.

SZ: Wie Sehlabyrinthe ohne Perspektive? Der Kunsthistoriker Robert Rosenblum nannte diese Arbeiten einmal Ihre Poker Faces.

Stella: Ja, ich erinnere mich. Da hatte er recht!

SZ: Sie kräuseln die Mundwinkel so schelmisch. Was wollten Sie dem Betrachter denn mitteilen? What you see is what you see? So lautet der Satz, mit dem Ihr Werk am meisten zitiert wird: Was man sieht, ist, was man sieht.

Stella: Meine Bemerkung damals zielte auf das Verhältnis zwischen Bild und Betrachter. Darauf, dass ich nicht beeinflussen kann, was jemand sieht. Meine Gründe, ein Werk so oder so zu gestalten, haben nicht die geringste Wirkung auf die Wahrnehmung eines anderen. Jeder nimmt sich, was er braucht.

Kräftemessen, das typische Männerspiel

SZ: Mit anderen Worten: Die Summe aller Energien bleibt gleich. War Ihre schwarze Phase auch eine Phase der verdüsterten Stimmung?

Stella: Im Gegenteil! Es war ein Kräftemessen mit den älteren, erfolgreichen Kollegen, Sie wissen schon, das typische Männerspiel. Ich hörte dabei am liebsten Jazz von dem großartigen blinden Pianisten und Komponisten Lenny Tristano, Bebob und Cool Jazz. Da war nichts traurig.

SZ: Sie arbeiten also mit Musik? Ist der heulend durchdringende Sound von Rennwagen auch Musik in Ihren Ohren? Gerade drehten Sie ja im Art Car, das Andy Warhol 1979 im Auftrag von BMW bemalte, einige Runden auf dem Hockenheimring.

Stella: Genau. Am Steuer saß Jochen Neerpasch, der den M1, diese wunderbare Rennflunder, erfunden hat. Aber ob Sie es glauben oder nicht: Das irre Sirren der 470 PS hatte ich total ausgeblendet. Ich war derart auf das Fahren und die Kurven konzentriert und darauf, wie extrem schnell uns die Straße immer wieder entgegenkam.

SZ: Jetzt also die unvermeidliche Frage: Lieben Sie Geschwindigkeit?

Stella: Haaaahaha, Sie hören mich lachen. Geschwindigkeit ist ein sehr schwieriges Gefühl. Man steigert sich langsam, es ist ein intuitiver Gewöhnungsprozess. Die Gefahr besteht darin, zu schnell zu werden, denn dann verliert man die Kontrolle und damit das Rennen. Diese Balance zu finden, darin liegt die Herausforderung. Natürlich auch in einem gewissen Nervenkitzel.

SZ: Den Sie früher auch in Ihrem Ferrari Testarossa genossen. Sie besaßen einen schwarzen, wie ich gelesen habe.

Stella: Genau. Keinen roten! Denn dann verfolgt einen ständig die Polizei. Einmal hatte ich auch einen grauen. Mit ihm fuhr ich in Watkins Glen...wissen Sie, wo das ist?

"Rennpferde sind wie Kinder"

SZ: Im Staat New York?

Stella: Ja. Mein Freund Hurley Haywood begleitete mich, ein Rennass, dreimal gewann er Le Mans und fünfmal Daytona.

SZ: Hatten Sie Angst?

Stella: Erst am nächsten Tag. Dann erst wird einem der Ausnahmezustand bewusst, in dem man sich befindet.

SZ: Machten die Ferraris Spaß?

Stella: Nicht so viel, wie Sie vielleicht glauben. Es ist extrem mühsam und aufwendig, sie zu warten und zu pflegen. Sie sind sehr schöne, sehr teure und sehr kapriziöse Spielzeuge. Eines Tages sehnt man sich nach einem robusteren Auto, um das man sich nicht ständig kümmern muss.

SZ: Sind die Rennpferde, die Sie züchten, auch Spielzeuge?

Stella: Nein. Sie sind eher wie Kinder. Lebewesen, Geschöpfe, deren Wachsen man begleitet. Man reproduziert eine Art. Irgendwann laufen sie dann für mich.

SZ: Und gewinnen?

Stella: Manchmal. Aber ich besitze nur sechs Pferde, andere 600. Meistens laufen sie im New Yorker Vermont Park.

Lesen Sie auf Seite 2, was Frank Stella über Flitzer, Photoshop und Futuristen denkt.

Schreiend laut bis zur Vulgarität

SZ: Wann begann Ihre Leidenschaft für Geschwindigkeit?

Stella: Das war 1976. Neerpasch bat mich drei Jahre vor Warhol, ein Art Car zu bemalen. Ich war der Zweite nach Alexander Calder. Mindestens genauso wie das Tempo hat mich allerdings die durchgeknallte Welt der Formel 1 fasziniert. Sie war so völlig anders als die Kunstszene. Eine Befreiung für mich!

SZ: Sie entwarfen für das Auto ein schwarzweißes Rasterdesign, das Sie wie Rechenpapier auf die Karosserie legten. Sehr graphisch und diszipliniert.

Stella: Vergessen Sie nicht die breiten Wellenlinien, die ich über die Quadrate fließen ließ! Es war ziemlich hart, dieses Design zu entwerfen. Heute würde ich es am Computer mit Photoshop in zehn Minuten machen. Aber damals schnitten und klebten und klebten und schnitten wir, bis es irgendwann passte. Es war Maßarbeit.

SZ: Und eine neue Erfahrung für Sie?

Stella: Sehr neu. Die Oberfläche ist ja eine völlig andere als eine Leinwand. Es ging hier um ein Objekt, das ausschließlich durch sich selbst definiert war. Man musste sich also anpassen. Sich seiner Realität unterordnen.

SZ: Das war die Herausforderung?

Stella: Ja. Das Design zu einem Bild werden zu lassen. Normalerweise sind diese Flitzer ja mit Anzeigen beklebte Werbeflächen. Sie bestehen aus lauter bunt zersplitterten Logos. Im Kontrast dazu wollte ich eine betont kühle Optik entwickeln. Weil ich an die Fotos dachte, die in den Zeitungen damals noch schwarz-weiß gedruckt wurden. Und tatsächlich war mein Auto, als es in Le Mans vorfuhr, das am meisten geknipste des Rennens. Es hob sich total von allen anderen ab!

SZ: Andy Warhols Art Car dagegen, in dem Sie jetzt saßen, ist quietschbunt wie ein Papagei.

Stella: Klar. Pop muss schreiend laut sein bis zur Vulgarität. Ich mochte Andy sehr, 1962 trafen wir uns. Damals lebte er noch bei seiner Mutter. Als er dann Filme machte, verloren wir uns aber leider allmählich aus den Augen.

SZ: Und die anderen Jungs, Roy Lichtenstein...

Stella: ...und Bob, Robert Rauschenberg, Jasper Johns - die lernte ich Anfang der sechziger Jahre alle bei Leo Castelli, unserem gemeinsamen Galeristen, kennen. Später kam noch Jim, James Rosenquist, dazu.

SZ: Was unterscheidet die Szene von der heutigen?

Stella: Vor allem, dass sie winzig war und damit sehr überschaubar. Und wir hatten mehr Spaß. Obwohl, heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir wirklich mehr Spaß hatten. Oder ob es einfach daran lag, dass wir jünger waren. Wenn man jung ist, hat man zu allem mehr Lust.

SZ: Und ist deshalb energetischer?

Stella: Ich glaube schon. Jaaa, auf jeden Fall. Lassen Sie es mich in der Sprache unseres Themas sagen: Inzwischen habe ich einen oder zwei Gänge heruntergeschaltet. Ich bin ein bisschen tauber geworden und vielleicht hat auch meine Konzentration ein wenig nachgelassen. Die Gehirnwindungen schaffen nicht mehr so viele Umdrehungen.

SZ: Das klingt, als wäre der Körper eine Maschine.

Stella: Das ist er ja auch, auf einer bestimmten Ebene. Aber eben auch viel mehr, ein Organismus, ein Wunderwerk der Natur.

SZ: Das jetzt etwas schwächer wird?

Stella: Well...Andererseits bin ich viel effektiver geworden. Wofür ich früher acht Stunden brauchte, dafür genügen mir jetzt vier. Aber dann bin ich erschöpft, das muss ich zugeben.

Der Kern seiner Kunst: Energie

SZ: Woran arbeiten Sie gerade?

Stella: An neuen Skulpturen. Wir bauen dafür Modelle aus Kohlefaser, einem Stoff, der auch im Rennsport eine wichtige Rolle spielt. Kohlefaser und Edelstahl. Es gibt ein Verfahren, das sich rapid prototyping nennt. Auf diese Weise kann man schnell komplizierte Prototypen konstruieren. Das Verfahren habe ich übernommen. Das nennt man kreativen Austausch.

SZ: Fühlen Sie sich der Welt des Rennsports geistesverwandt?

Stella: Hm. Ja. Der Kern meiner Kunst ist Energie. Bewegung und Vitalität. Die meisten Gemälde sind statisch. Es gibt da diese Binsenweisheit, dass alle Kunst Illusion sei. Damit meinen die Leute, Kunst müsse die Illusion von Realität erzeugen. Mir aber ist es im Gegenteil wichtig, die Illusion von Dynamik, von Energie zu erzeugen. Auch Kreativität ist nichts anderes als eine Form von Energie.

SZ: Also sind Ihnen die italienischen Futuristen nah, die Geschwindigkeit verherrlichten?

Stella: Nicht so nahe wie die Generation vor ihnen, Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch und Piet Mondrian. Sie sind für mich die Avantgardisten der ersten Stunde. Meine Helden, wenn Sie so wollen, deren Radikalität immer Vorbild für mich war.

Lesen Sie auf Seite 3, warum Heinrich von Kleist rasanter ist als viele Actionsfilme.

Die Wellen und Wogen des Wals

SZ: Sie selbst haben italienische Wurzeln - ein Hinweis auf mehr Temperament?

Stella: Lustig, dass Sie das so sehen. Stimmt, wir sind die dritte Generation von Einwanderern aus Sizilien und Kalabrien. Aber nur mein Sohn Peter Patrick spricht Italienisch. Inzwischen ist er auch schon 26. Die Zeit rast...

SZ: Wir bleiben beim Thema. Wollte eines Ihrer Kinder je Künstler werden?

Stella: Nein. Immerhin, Rachel ist Galeristin in Paris, es gibt also eine bestimmte Nähe. Michael dagegen ist Arzt. Mediziner wie mein Vater, der Gynäkologe war. Und meine zweite Frau ist Kinderärztin. Was unsere beiden jüngsten, ingesamt sind es fünf, machen werden, ist noch offen. Sie haben gerade das Haus verlassen.

SZ: Wie sieht Ihr Tagesrhythmus heute aus?

Stella: Ich vergeude nicht gerne Zeit. Wenn ich einmal mit etwas angefangen habe, dann bewege ich mich relativ schnell. Entscheidungen zu treffen, ist eine Sache von Sekunden. Zögern und Zweifel sind mir eher fremd.

SZ: Wie passt dann der deutsche Dichter Heinrich von Kleist, dem Sie eine Serie von Arbeiten gewidmet haben, in Ihren Biorhythmus?

Stella: Kleist! Er ist ein Genie. Ganz einfach. Die Handlungen seiner Stücke besitzen einen tollen Drive. Sie spielen sich in Höchstgeschwindigkeit ab, high tuned, und sie sind rasanter als viele Actionfilme.

SZ: Trifft das auch auf den Schriftsteller Herman Melville zu, dessen Roman "Moby Dick" Sie in einem üppigen Gemäldezyklus huldigten?

Stella: Es sind insgesamt 138 Bilder, zu jedem Kapitel eines. Nein, hier lagen die Gründe anders. Melville ist einer der amerikanischen Literatengötter, ähnlich wie Ernest Hemingway. Was mich an dem Stoff am meisten fesselte, war, dass er 1851 die Globalisierung der Jahrtausendwende um über 150 Jahre vorwegnahm! Der weiße Pottwal wird vom einbeinigen Kapitän Ahab um die ganze Erdkugel gejagt. Auf diese Weise konnte Melville alle, wirklich alle Regionen, Kulturen, Philosophien und Themen des gesamten Kosmos einschließen. Und für mich waren die Schilderungen des Meeres und des Wals eine höchst willkommene Gelegenheit, endlich meine Routine der geraden Linien und der geometrischen Formen aufzugeben und Wogen und Kurven und Wellen zu malen.

SZ: Um damit den Sexappeal von Geschwindigkeit, oder besser, Energie zu zeigen?

Stella: Geschwindigkeit finde ich nicht unbedingt sexy, Energie schon. Heute verbinden die Leute ja jede Art von Aufregung und Nervenkitzel mit Sex. Sex ist okay. Aber am Ende geht es um Liebe. Und um Leidenschaft.

SZ: Ist Leidenschaft auch eine Art von Intensität, in der sich Zeit verdichtet, eine Form von Geschwindigkeit?

Stella: Ja. Die Sache mit dem Sex und den Reizen, denen wir so sehr nachjagen, weil sie uns angeblich anturnen, ist doch folgende: Beide haben keinen Bestand. Sie dauern nicht. Doch genau darum geht es in der Kunst. Man gibt sich diesem sehr aufregenden Prozess, Kunst zu machen, hin, man kämpft und scheitert immer wieder beinahe. Am Ende genügt einem zwar selbst das Ergebnis, aber trotzdem weiß man nie, ob es standhält. Bei jedem neuen Werk ist es wieder dasselbe. Die besten Arbeiten sind die, mit denen man lange leben möchte. Entscheidend ist die sustainability.

SZ: Wir übersetzen dieses Wort mit Nachhaltigkeit. Bei Umweltschützern und in vielen Unternehmen ist es derzeit ein Schlüsselwort.

Stella: Zu Recht. Es geht um die sustainability unseres Planeten, um sein Überleben. Auch das ist eine Energiefrage, ganz klar. Dasselbe gilt für die Kunst.

SZ: Energie summiert sich zu Geschwindigkeit. Glauben Sie, dass Autorennen Männern eher Spaß machen als Frauen?

Stella: Ich meine schon. Auch Frauen fahren heute Rennen, aber es sind immer noch viel weniger als Männer.

SZ: Kann es sein, dass das mit der traditionell eher maskulinen Idee zusammenhängt, um (fast) jeden Preis siegen zu wollen?

Stella: Richtig. Gewinnen ist ja tatsächlich definiert durch Geschwindigkeit. Der Schnellste ist der Erste, der Mächtigste undsoweiter. Konkret entscheiden in der Formel 1 Bruchteile von Sekunden. Es sind absurde Maßeinheiten, aber genau darum geht es.

SZ: Geht es Ihnen ebenfalls darum, zu gewinnen?

Stella: Ich wünschte, ich könnte das bestätigen. In der Kunst bedeutet es wenig, zu sehen, was deine Kollegen machen. Da stehe ich im Clinch mit dem Besten, zu dem ich imstande bin. Ich muss mich ausschließlich vor mir selbst bewähren.

SZ: Wenn Sie auf Ihr bisheriges Leben zurückblicken: Fühlen Sie sich als Sieger?

Stella: Ich war früher Athlet. Ringkämpfer. Siege und mehr noch, Niederlagen sind mir vertraut. Gewinnen wird ja erst dann interessant, wenn man jemanden schlägt, der sich mindestens auf demselben Niveau befindet wie man selbst. Eigentlich ist das Wesen von Wettbewerb die Achtung vor seinem Konkurrenten. In einem fairen Wettkampf befeuert man sich gegenseitig. Am Ende gewinnen beide, wenn man es genau betrachtet.

Frank Stella wurde 1936 in Malden/Massachusetts geboren. Der älteste Sohn eines Gynäkologen studierte Kunst und Geschichte, ging anschließend 1958 nach New York und fiel mit einer Serie "Schwarzer Bilder" sofort auf. Leo Castelli, der legendäre Entdecker der Pop-Heroen, nahm ihn unter Vertrag und zeigte ihn neben Andy Warhol, Jasper Johns und Roy Lichtenstein. Inzwischen sind seine arabesken Monumental-Reliefs ebenso bekannt wie die zum Teil riesigen Skulpturen; zahlreiche Preise und zwei Retrospektiven im New Yorker Museum of Modern Art festigten den Weltruhm des Künstlers zusätzlich.

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