Im Gespräch: Frank Schätzing:"Ich wollte Popstar werden"

Knapp eine Million Mal hat sich Frank Schätzings Wälzer "Der Schwarm" verkauft, der neue Roman "Limit" startet mit Rekordauflage. Seine Erfolgsformel? "No risk, no fun."

G. Matzig

Ein schmales Stadthaus in Köln. "Schätzing" steht auf der Klingel neben der Tür. Einfach so. Heraus kommt ein 52-jähriger, sportlich wirkender Mann, der, wie er sagt, die "Verbirnisierung" des Körpers nicht hinnehmen will. Deshalb taucht, läuft und boxt er. Und er schreibt. Marathon nämlich: Am Montag erscheint nach dem Megaseller "Der Schwarm" das neue Buch von Frank Schätzing. Es umfasst mehr als 1.200 Seiten, heißt aber trotzdem "Limit" und erscheint mit 400.000 Exemplaren in der höchsten Startauflage in der Geschichte des Verlags (Kiepenheuer & Witsch). "Calm down" steht auf Schätzings Jeansjacke. Komm runter? Dabei jagt er im Buch seine Leser erst mal rauf zum Mond.

SZ: Wie lautet die Formel?

Frank Schätzing: Was meinen Sie, welche Formel?

SZ: Die Bestsellerformel. Von "Limit" sind schon jetzt Hunderttausende Bücher verkauft. Vorab.

Schätzing: 320 000 Stück, um genau zu sein. Es wurden schon 320 000 Exemplare verkauft, sagt jedenfalls der Verlag.

SZ: Und dafür, für die Herstellung von Pageturnern und Bücherstapeln am Kiosk, soll es keine Formel geben?

Schätzing: Das ist ja Unsinn. Es gibt keine Formel.

SZ: Darf ich Ihnen eine anbieten, abgeleitet aus Ihren eigenen Büchern?

Schätzing: Bitte. Nur zu.

SZ: Man nehme einen aktuellen gesellschaftspolitischen Hintergrund, zum Beispiel wie in "Limit" den Kampf um die Energieressourcen. Dazu kommt ein exotischer Schauplatz, zum Beispiel der Mond. Dann taucht ein attraktiver Held auf, der sich gut mit Wein auskennt. Dann steuert die Welt auf den Untergang zu - und nach 1000 Seiten: Happy End, während man alles über die bemannte Raumfahrt erfährt und über eine Frau, die "ihren Latinakörper räkelt".

Schätzing: Schon gut, ich denke, ich habe verstanden, worauf Sie hinauswollen. Aber es gibt trotzdem keine Formel. Das wird nicht richtiger, indem Sie es dauernd wiederholen. Würde ich nach einer Formel schreiben, käme kein Buch dabei heraus, sondern eine Suppe oder ein Möbelstück. Und auch kein Bestseller, sondern nur ein Flop. Das ist wie in der Werbung.

SZ: Wieso?

Schätzing: In der Werbung wird oft versucht, ein einmal gelungenes Rezept zu kopieren. Das geht fast immer schief. Du kannst genau die gleichen Zutaten nehmen für eine Kampagne, die gleichen Muster, die gleiche Technik, die gleiche Story: Es funktioniert trotzdem nicht. Meistens ist es so: Wenn alle auf den Zug aufspringen, ist der Trend schon wieder vorbei. Flops kann man so programmieren, Erfolge nicht. Ich bin kein Chemiker, sondern Autor. Überhaupt: Es kommt auch auf das Glück an oder auf den richtigen Zeitpunkt, auf beides wahrscheinlich. Ehrlich, es gibt keine Formel. Hätte ich eine, wäre ich jetzt sehr, sehr reich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum "Der Schwarm" kein Öko-Thriller ist.

Die Formel

SZ: Wie oft hat sich Ihr erstes Buch verkauft?

Schätzing: Bis heute knapp eine Million Mal.

SZ: Und "Der Schwarm" wird bald von Hollywood verfilmt?

Schätzing: Ja.

SZ: Das klingt ja geradezu ärmlich. Haben Sie überhaupt schon mal einen Flop gelandet?

Schätzing: Nein.

SZ: Also hatten Sie mit all Ihren Büchern Glück und alle sind zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Thema am richtigen Ort erschienen. Das ist entweder ein gottgewolltes Wunder oder das Ergebnis einer Strategie. Also: Was ist mit der Formel?

Schätzing: Meine Güte, sind Sie penetrant. Also gut, probieren wir es. Hier, die Formel: Sie müssen als Autor bereit sein, im wirklich großen Stil zu scheitern. Sie müssen so hoch zielen, dass Sie ganz tief fallen können. Dann, vielleicht, haben Sie Erfolg.

SZ: Oder man scheitert.

Schätzing: Oder man scheitert. Das ist der Preis. No risk, no fun.

SZ: Sagt jemand, der das Scheitern auf dem Buchmarkt vom Hörensagen kennt.

Schätzing: Ich sage ja, es gibt keine Formel.

SZ: Meine Güte, Sie sind auch penetrant. Ist "Limit" eigentlich wieder ein Öko -Thriller?

Schätzing: Wieso wieder, wieso Öko?

SZ: Weil "Der Schwarm" ein Millionenseller wurde - und zwar als Öko-Thriller.

Schätzing: "Der Schwarm" ist manches, aber bestimmt kein Öko-Thriller.

SZ: Das Meer erhebt sich, weil wir die Ozeane leerfischen und aus der Nordsee eine Art wässrigen Piccadilly Circus gemacht haben. Dann schlagen erst die Wale zurück, und die Yrr aus der Tiefsee legen sich mit dem amerikanischen Way of Life in Form eines Flugzeugträgers an, der versenkt wird. Kein bisschen Öko?

Schätzing: Mir ist es eher um Meeresströmungen gegangen.

SZ: Aber Öko verkauft sich trotzdem gut.

Schätzing: Von mir aus. Allerdings spielt mein erstes Buch, "Tod und Teufel", im Mittelalter. Und "Lautlos" ist ein Polit-Thriller.

SZ: In "Limit" geht es wieder um Ressourcen.

Schätzing: Aber auch ums Internet, um Ökonomie, Politik und um die Technologie der Zukunft.

Lesen Sie auf Seite 3, wie sich Frank Schätzing auf ein neues Buch vorbereitet.

Zu Ende gedacht

SZ: Woher haben Sie das Wissen um solche Dinge wie Aufzüge zum Mond? Sie schildern solche Utopien sehr detailliert.

Schätzing: Aus dem Internet, aus Büchern - und, ganz wichtig: Das Meiste erfahre ich aus Gesprächen mit Experten.

SZ: Sie schreiben ab!

Schätzing: Nein, ich verdichte.

SZ: Doch, Sie schreiben ab und erfinden einen trinkenden Detektiv und eine albinohafte Superfrau dazu. Fertig.

Schätzing: Sie sprechen schon wieder von der Formel. Ich schreibe nicht ab, aber ich spekuliere nicht über absurdes Zeug, sondern ich denke Dinge, die es jetzt schon gibt und einmal geben könnte, zu Ende. Das ist der Unterschied. Deshalb sind meine Bücher detailgenau. Man nennt es Recherche, auch Hausaufgaben machen. Vielleicht ist das ein Beitrag zur sogenannten Formel.

SZ: Wie lange haben Sie für "Limit" recherchiert?

Schätzing: Mehr als ein Jahr.

SZ: Wie muss man sich das vorstellen? Zettelkasten?

Schätzing: Eher als elektronisches Archiv. 150 Seiten Wissen sind in meinem Computer, allein über den Mond. Ich könnte eine Mondstation bauen.

SZ: Das ist jetzt übertrieben, oder?

Schätzing: Ein bisschen vielleicht, aber wenn ich etwas nicht komplett verstanden habe, dann schreibe ich auch nicht darüber.

SZ: Das heißt: Wenn Sie ein Buch schreiben, in dem der Mond vorkommt, dann studieren Sie erst mal die Geschichte der Mondfahrt, Astronomie und . . .

Schätzing: ...Orbitmechanik.

SZ: Was ist das denn?

Schätzing: Ein Teilgebiet der Physik, in dem es um die Gesetze der Umlaufbahnen geht.

SZ: Hört sich nicht nach einem Thriller an.

Schätzing: Falsch gedacht. Vielleicht sind wir jetzt wieder bei der Formel.

SZ: Spannend ist, was keiner versteht?

Schätzing: Spannend ist, etwas zu verstehen. Gut ist, etwas verständlich zu erzählen. Wissen ist spannend.

SZ: Und Sie wollen viel wissen?

Schätzing: Ich bin chronisch neugierig. Ich frage den Leuten Löcher in den Bauch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Frank Schätzing gegen den Vorwurf wehrt, die Gefühle seiner Helden seien banal.

Hemingway - ein Groschenheftautor

SZ: In Ihren Büchern geht es meist um Naturwissenschaft und Technik, aber es geht in Ihren Büchern auch oft um Philosophie und Psychologie.

Schätzing: Ja?

SZ: Das eine wird meisterhaft dargestellt.

Schätzing: Ja?

SZ: Mit Verlaub: Jenseits der Technik geht es oft um Küchenphilosophie und Frauenzeitschriftenpsychologie. Es ist banal, was Ihre Helden fühlen und sinnen.

Schätzing: Falsch, es ist real. Wenn die Befindlichkeiten der allermeisten Menschen nicht die Ansprüche des Feuilletons erfüllen, ist das wohl eher das Problem des Feuilletons. Wäre das Banale schlecht, dann wäre Hemingway ein Groschenheftautor.

SZ: Sie vergleichen sich mit Hemingway?

Schätzing: Nein, ich bin Frank Schätzing. Aber Hemingway schildert die Banalität der menschlichen Existenz knallhart und knapp. Hingegen Thomas Mann, was hat der mitunter rumgeschwurbelt. Banales aufgeblasen. Wird's dadurch weniger banal?

SZ: Immerhin hat Mann auch naturwissenschaftliche Zeitschriften studiert, das Ganze abgeschrieben und dann Held und Heldin dazu erfunden. Er ist ein Bruder in Ihrem Geiste. Er sprach vom "Abschreiben auf höherer Ebene".

Schätzing: Das macht es nicht besser: Geschwurbel. Vieles davon jedenfalls. Die höhere Ebene kann mir gestohlen bleiben.

SZ: Hört sich nach Kulturverdrossenheit an.

Schätzing: Das selbstbesoffene Kulturgequatsche hierzulande ist mir ein Gräuel.

SZ: Sie meinen nicht mich, oder?

Schätzing: Ich bitte Sie.

SZ: Ich dachte schon. Wie stellen Sie sich Ihre Leser vor. Mainstream-Publikum?

Schätzing: Warum nicht? Mainstream ist okay.

SZ: Und wenn Ihr Buch nun am Bildungsbürger-Pool gelesen wird, von Leuten, die einfach mal eine Pause von schwerer Kost brauchen?

Schätzing: Sehr gut. Sollen sie. Willkommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, inwiefern sich Schätzing als Entertainer versteht.

Kein gescheiterter Popstar

SZ: Würden Sie sich als "Entertainer" bezeichnen?

Schätzing: Selbstverständlich. Gute Unterhaltung ist eine große Kunst. In Amerika ist man als Entertainer angesehen, nur in Deutschland muss man sich Vorträge über E und U anhören.

SZ: Schon gut. Dann erklären Sie doch jetzt mal die Kunst der Unterhaltung. Wie erzählen Sie?

Schätzing: Sie dürfen nichts Unmögliches erfinden, sondern müssen das Mögliche plausibel machen. Und Sie müssen erzählerische Risiken eingehen. Vor allem aber: niemals versuchen, anderen zu gefallen.

SZ: Danke. Das ist zumindest der Anfang für eine Formel.

Schätzing: Ist es nicht - aber ich gebe jetzt auf: Halten Sie es doch einfach für eine Formel.

SZ: Ihr neues Buch hat mehr als 1.200 Seiten, das letzte hatte rund 1000. Sie steigern sich. Das ist wie mit den Hochhäusern in Dubai. Sie gelten als "Marathon-Man unter den Autoren".

Schätzing: Sagt wer?

SZ: Die FAZ.

Schätzing: Dann stimmt das bestimmt.

SZ: Und Sie gelten als "deutscher Michael Crichton".

Schätzing: Gutes Kompliment. Crichton mag ich.

SZ: Und als Autor, der "besser aussieht, als er schreibt".

Schätzing: Umgekehrt wäre es schlimmer.

SZ: Im Ernst?

Schätzing: Aber nein.

SZ: Als "gescheiterter Popstar" wurden Sie auch schon bezeichnet.

Schätzing: Vom wem?

SZ: Schätzing über Schätzing.

Schätzing: Unsinn. Ich wollte mal Popstar werden, bin aber keiner geworden, deshalb konnte ich auch nicht scheitern in dieser Disziplin.

SZ: Dennoch machen Sie Musik. Sie haben auch die Musik für die Hörbücher geschrieben. Und Sie spielen regelmäßig.

Schätzing: Zur Zeit richte ich mir sogar ein eigenes Tonstudio ein. Musik ist tatsächlich meine größte Leidenschaft.

SZ: Sie tauchen auch. Wie kann man noch ins Wasser gehen, wenn man weiß, dass die Yrr da unten darüber nachdenken, einen zu vernichten?

Schätzing: Ich habe kein Problem mit dem Wasser. Wenn die mir dumm kommen, drohe ich, sie im nächsten Buch zu vernichten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum für Schätzing Kitsch und Kunst keine Gegensätze sind.

Achtzig Prozent harte Arbeit

SZ: Was ist die schlechteste Szene, die Sie geschrieben haben?

Schätzing: Bitte?

SZ: Darf ich eine vorschlagen?

Schätzing: Bitte!

SZ: Die Sexszene im Park in "Lautlos".

Schätzing: Wieso?

SZ: Weil die so unfassbar kitschig ist.

Schätzing: Vorsicht mit Kitschkritik. Die ist oft selber ziemlich unfassbar kitschig. Wie finden Sie die Sex-Szene in der Schwerelosigkeit?

SZ: Besser, sagen wir schwereloser.

Schätzing: Was haben Sie nur gegen Kitsch?

SZ: Kitsch ist das Gegenteil von Kunst.

Schätzing: Warhol hätte sich totgelacht über den Spruch. Geben Sie's zu, Sie mögen Formeln und denken in Formeln. Können Sie eigentlich auch mal einfach was gut finden? Warum tut sich die Kultur hierzulande nur so schwer mit der Unterhaltung?

SZ: Der Reihe nach: erstens, das Gespräch in Ihrem neuen Buch am Pool über das Musical "9/11" als Parodie auf das Erinnerungsgeschäft mit der Attacke gegen das World Trade Center - das finde ich gut. Und zweitens: keine Ahnung.

Schätzing: Unterhaltung wird in Deutschland mit Seichtheit gleichgesetzt. Unterhaltung auf hohem Niveau gilt als Widerspruch in sich. Und Künstler sind immer Spezialisten, nie dürfen sie über ihren Tellerrand schauen. Und wenn man dann mal einen Bestseller schreibt, kommt gleich jemand und fragt nach der Formel.

SZ: Das klingt nach einer Tirade gegen "Verpisser und Jammerlappen". Zugunsten der "Anpacker". Das ist Ihre Typologie. Wozu rechnen Sie sich?

Schätzing: Wenn ich was anfange, ziehe ich es auch durch.

SZ: Sind Sie außer Anpacker eher Künstler oder Arbeiter?

Schätzing: Ein Buch besteht zu achtzig Prozent aus harter Arbeit. Alles ohne Formel. Und meistens ohne Genialität. Genie, das ist ein Begriff, der in Deutschland maßlos überschätzt wird. Das könnte Ihnen auch Thomas Mann bestätigen. Dann würden Sie es ja wohl endlich glauben.

Frank Schätzing wurde 1957 in Köln geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaften und ist Mitbegründer einer Werbeagentur. Eher nebenher begann er in den neunziger Jahren Novellen zu schreiben. Schon sein erstes Buch, der historische Roman "Tod und Teufel", wurde ein Erfolg. "Der Schwarm" wurde bis heute in 17 Sprachen übersetzt und soll demnächst verfilmt werden. Schätzing, vielfach ausgezeichnet mit Preisen, ist ein Garant für Quote und Auflage.

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