Hundertwasser-Geburtstag:Hundertmal berührt

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Gerade Linien und rechte Winkel waren für ihn "verboten": Der Künstler Friedensreich Hundertwasser wollte in seinem Werk Mensch und Natur zusammenführen. Beim Publikum beliebt, war er in der Architekturkritik und in Fachkreisen äußerst umstritten.

Christopher Pramstaller

"Die Malerei und die Skulptur sind frei, denn jedermann darf heute allerlei Gebilde produzieren und nachher ausstellen. In der Architektur besteht jedoch diese grundsätzliche Freiheit, die als Bedingung jeder Kunst anzusehen ist, noch immer nicht, denn man muss ein Diplom haben, um bauen zu können." So lesen sich die Anfangszeilen des " Verschimmelungsmanifests gegen den Rationalismus in der Architektur" von 1958. Der Autor: Friedensreich Hundertwasser (1928 -2000), den meisten Deutschen durch seine zwischen Jugendstil und anthroposophischer Architektur angelegten Bauten bekannt, würde an diesem Donnerstag 83 Jahre alt werden. Google ehrt den Künstler dafür mit einem Doodle - so bunt und rund wie seine Häuser, die unter anderem in Essen, Uelzen, Magdeburg, Darmstadt und natürlich auch in der Schweiz und in Österreich stehen, in seinem Geburtsland.

Hundertwassers Architektur orientiert sich an der "guten Kurve", dem Ornament, Buntheit, Vielfalt der Fassaden und Streben der Bewohner nach Schönheit durch eigene Gestaltung. Im Bild das Hundertwasserhaus in Essen. (Foto: dpa)

So bekannt Hunderterwasser im deutschsprachigen Raum mit seinem unverkennbaren Stilmix aus schrägen Wänden, begrünten Dächern und mosaikartig zusammengesetzten Fassaden geworden ist, so umstritten war er zu Lebzeiten vor allem in Architekturkreisen. Vom Publikum oft beifällig aufgenommen, war die Ablehnung in der Architektenschaft und der Fachkritik virulent. Besonders scharf geriet dabei der Ton Mitte der 1990er Jahre.

Hundertwassers geradezu dogmatische Abwendung von rechten Winkeln, geraden Linien und monochromen Flächen stellte die Arbeit seiner Kollegen radikal in Frage. Die Liste an Gebäude, die seiner Idee des Bauens, Wohnens und Lebens gerecht wurden, war dementsprechend klein: Gebäude von Gaudí in Barcelona, einige Gebilde des Jugendstils "The Tower of Watts" von Simon Rodia in einem Vorort von Los Angeles, "Le Palais Du Facteur Cheval" im Departement de la Drôme, Frankreich, die Elendsviertel in Großstädten, Bauernhäuser, Schrebergartenhäuser und holländische Hausboote gefielen ihm - weil sie um die Bedürfnisse der Menschen herum gebaut waren und nicht umgekehrt den Bewohnern Strukturen aufzwangen, die ihrem Leben nicht gerecht wurden.

Orientierung am Ornament

Beweglichkeit, organische Formen, Lebendigkeit und Farbigkeit waren Hundertwassers Vorgaben an eine lebensnahe Architektur - also sehr andere Maßstäbe als die meisten seiner Architektenkollegen bevorzugten.

Der Kunst- und Architekturansatz des 1928 in Wien geborenen und im Jahr 2000 vor der Küste von Neuseeland verstorbenen Künstlers grenzte sich deutlich ab von Moderne und Rationalismus. In seinem Manifest, das als grundsätzliche Stellungnahme gegen den Funktionalismus des modernen Bauens und gegen den "Kult des rechten Winkels" gelesen werden kann, entwickelte Hundertwasser Ansätze einer alternativen Bauphilosophie. "Die funktionelle Architektur hat sich als Irrweg erwiesen, genauso wie die Malerei mit dem Lineal. Wir nähern uns mit Riesenschritten der unpraktischen, der unnutzbaren und schließlich der unbewohnbaren Architektur", schreibt er dort.

Dagegen setzt er Begriffe wie die "gute Kurve", die Orientierung am Ornament, Buntheit, Vielfalt der Fassaden, Streben der Bewohner nach Schönheit, in dem sie ihr Haus mitgestalten. Hier finden sich auch schon erste Gedanken zu einem ökologischen Bauen und zu einer Einbindung der Architektur in die Natur. Bauen, Natur und Mensch müssten in Einklang gebracht werden, so Hundertwassers Credo - Jahrzehnte bevor mit der Partei der Grünen der ökologische Gedanke in der Öffentlichkeit verankert wurde. Hundertwasser hielt Vorträge über Ökologie und malte Plakate zugunsten des Naturschutzes, unter anderem gegen Kernenergie, zur Rettung der Meere und der Wale und zum Schutz des Regenwaldes. Er war auch ein Verfechter der Humustoilette: Für Hundertwasser waren Fäkalien nicht ekelerregend, sondern Teil des Kreislaufs der Natur. Davon zeugen sein Manifest "Die Heilige Scheiße" und eine Anleitung zum Selbstbau einer Komposttoilette.

Architektur
:Bunt, rund, Hundertwasser

Streng, gerade, Kastenform? Nicht mit Friedensreich Hundertwasser: Der Künstler ist berühmt für seine verspielten Bauten. Eines seiner letzten Werke steht in Niederbayern.

Seine eigenen Bauten waren von den Materialien her nach heutigen Kriterien noch wenig umweltverträglich - doch ihre Fassaden trugen den Gedanken des Unangepassten, Fröhlichen, Unbeschwerten und Organischen stets nach außen - und sie berührten die Menschen, ob positiv oder negativ. Hundertwasser schrieb: "Es muß gestattet sein, mit einem langen Pinsel - soweit er reichen kann - alles rosa zu bemalen, so dass man von weitem, von der Straße, sehen kann: Dort wohnt ein Mensch, der sich von seinen Nachbarn unterscheidet!"

1928 wurde Friedensreich Hundertwasser in Wien geboren. Im Alter von 71 Jahren verstarb er an Bord des Kreuzfahrtschiffes "Queen Elizabeth II." im Pazifischen Ozean an Herzversagen. (Foto: DPA)

Hundertwasser beklagte die Versklavung des Menschen durch das sterile Bauen und durch die Serienfabrikation einer mechanisierten Industrie. In seinem Architektur-Boykott-Manifest geißelt er die durch die Tradition des österreichischen Architekten Adolf Loos ("Ornament und Verbrechen") entstandene rationale, sterile Architektur, die in ihrer tödlichen Eintönigkeit mit verantwortlich sei für das Elend der Menschen. Daraus leitete er das Recht auf individuellen Bauveränderung ab - und prägte die Begriffe "Fensterrecht" und "Baumpflicht".

Kritiker hielten dagegen, Hundertwasser würde esoterische Ansätze vorantreiben und dem Fassadismus verfallen, also einem vorrangigen Interesse an der Oberflächengestaltung der Gebäude. Jahrmarktsästhetik wurde ihm ebenso vorgeworfen wie Populismus und bloßes "Aufhübschen".

Sein richtiger Name: Friedrich Stowasser

Zum "Achitekturdoktor" fühlte sich Hundertwasser also selbst berufen, zuvor hatte der österreichische Künstler, der mit richtigem Namen Friedrich Stowasser hieß, sich als Maler einen Namen gemacht. Er schuf Gemälde, Drucke und Radierungen und gestaltete Gebrauchsgegenstände wie Münzen und Briefmarken. 1953 verwendete er dabei zum ersten Mal die "Spirale", die zum bestimmenden Element seiner Malerei wurde, die er als "vegetativ" bezeichnete. Seine Arbeiten wurden unter anderem 1964 auf der dritten "documenta" in Kassel gezeigt; für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München entwarf er Plakate. Erst in den 1970er Jahren fing er an, Architekturmodelle zu entwerfen, 1983 gestaltete er sein erstes echtes Objekt: die Wohnhausanlage der Gemeinde Wien in der Löwengasse.

Ähnlich wie in seiner Architektur war in Hundertwassers Malerei der Umgang mit Farbe und Linienführung vor allem eines: intuituiv. Die intensiven, leuchtenden Farben und das Ablehnen von Regeln, was sich auch in seinen späteren Architekturen durchsetzte, ist nach Meinung einiger Kunsthistoriker bis heute singulär - und wohl auch in der permanenten Spannung und Angst begründet, die Hundertwasser als Sohn einer alleinerziehenden Jüdin in den Jahren 1938 bis 1945 durchleben musste.

Doch schon als Siebenjährigem wurde dem kleinen Friedrich auf der Montessori-Schule in Wien ein "außergewöhnlicher Formen- und Farbensinn" attestiert. Nach dem Abitur an einem staatlichen Gymnasium besuchte er drei Monate lang die Wiener Akademie der bildenden Künste, wo er anfing, sich den Künstlernamen Hundertwasser (Sto = Hundert in vielen slawischen Sprachen) anzueignen. Zur Umwandlung seines Vornamens entschloss er sich in den 60er Jahren, während er beruflich viel in Japan unterwegs und in zweiter Ehe mit einer Japanerin verheiratet war. Er übersetzte seinen Vornamen in die japanischen Schriftzeichen für die Begriffe "Friede" und "reich" und nannte sich von da an Friedensreich.

Am 19. Februar 2000 starb Friedensreich Hundertwasser an Bord der Queen Elizabeth 2 an Herzversagen. Er befand sich auf der Rückreise von Neuseeland nach Europa. Seinem letzten Wunsch entsprechend wurde er am 3. März 2000 auf seinem Grundstück in Neuseeland bestattet - in ähnlich außergewöhnlicher Form wie der Einzelgänger sein Leben verbracht und sein Werk gestaltet hatte: unter einem Tulpenbaum, ohne Sarg und nackt, eingehüllt in eine von ihm entworfene Flagge.

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