Humorforschung:Witz als Waffe

Darf man über Hitler lachen? Eine Tagung am Münchner Institut für Zeitgeschichte beschäftigte sich wissenschaftlich mit dieser Frage - und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.

Von Hilmar Klute

Kurz bevor sich der österreichische Schriftsteller Ernst Weiß 1940 im Pariser Hotel Trianon in der Rue de Vaugirard die Pulsadern aufschnitt, hatte er ein Manuskript beendet, das er mit dem Titel "Der Augenzeuge" versah und zu seinen Papieren legte. Es ist ein großartiger Roman geworden, die Geschichte eines jungen Arztes, der im Ersten Weltkrieg einen etwa gleichaltrigen Hysteriker namens A.H. kennenlernt und ihn von seiner Blindheit heilt, die eine Folge seiner heillosen Überspanntheit ist.

In dem Buch steht der Satz: "Ich musste diesen Mann, der bei aller seiner Nüchternheit beim Wein in seinem Größenwahn ein hemmungsloser Phantast war, mit der Phantasie fassen."

Alles, was wir über Hitler wissen, alles was wir - auch heute noch - mit Hitler anstellen und er mit uns, es steckt in diesen Worten: die Enthaltsamkeit als Befeuerungsstimulanz eines Mannes, der sich in seinen Phantasmagorien die Brandsätze zurechtbastelt, die er später in die Welt schleudern wird; die Assoziationen, die wir jenseits der historischen Wahrheit bemühen, um diese immer noch unbesiegte Schreckensgestalt zu bannen. Mit Verachtung, Ekel, aber auch mit den Mitteln der Satire, der Albernheit und der Überzeichnung - als müssten wir seine Monstrosität zusätzlich dehnen, um besser mit ihm leben zu können.

Die Figur Hitler führt seit je ein zweites Leben als Artefakt, als ikonografisches Muster des Diktators und Weltenbrandstifters schlechthin - Chaplin machte ihn im "Großen Diktator" lächerlich, kurz davor zerschoss Ernst Lubitsch den Führerzauber in "Sein oder Nichtein". Die Frage, ob man über Hitler lachen dürfe, war damals noch eine, die über Tod und Leben entschied, weil der Spott ja einen direkten Adressaten hatte: Hitler selbst.

Zuvor "verfolgt, vertrieben, verlacht", brüllt er im Münchner Hofkeller 1942, er glaube nicht, dass diejenigen, die früher über ihn gelacht haben, heute auch noch über ihn lachen würden. Die Antwort war das infernalische Gelächter eines Publikums, das genau wusste, wo sich die Lachenden von damals nun befanden: in den Konzentrationslagern der SS.

Hitler und das Lachen, das Lachen über ihn - im Münchner Institut für Zeitgeschichte gab es dazu einen erhellenden Vortragstag. Und wie immer bei wissenschaftlichen Hilfsleistungen, bleibt die Frage, ob das Gelächter über den Führer moralisch vertretbar sei, offen. Martina Kessel, die Bielefelder Zeitgeschichtlerin, sieht im jahrelangen Aufstieg der Nationalsozialisten eine "Geschichte der Beschämten". Und dass Hitler selbst das Lachen als quälenden Soundtrack seiner Leidens- und Kampfjahre empfunden haben muss, mag erklären, warum er Goebbels schon bald nach der Machtübernahme angehalten hat, möglichst umgehend das "Kabarett der Komiker" zu verbieten und die nicht konforme Komik durch seine ganz eigene Art von Satire ersetzen zu lassen - das ruchlose Simplizissimus-Pendant "Die Brennessel" mit antisemitischen Zeichnungen und Texten.

Aber je mächtiger die Wahnidee von der Einheit der Arier wurde, desto weniger benötigte die Propaganda den Witz als Waffe. Die Nationalsozialisten wollten ihre Gegner vernichten und fanden dafür sehr bald wirksamere Mittel als den Spott.

Siebzig Jahre nach seinem Tod stolpert Hitler noch immer knödelnd durch die Humorwelten

Nun ist Hitler seit bald siebzig Jahren tot und stolpert immer noch knödelnd und kreischend durch unsere Witzwelten. Warum eigentlich, oder besser gefragt: wozu? Ihn selber trifft es nicht mehr, und seine aktuelle Anhängerschaft dürfte eher selten Kenntnis von satirischen Volten wie Dany Levys "Mein Führer" oder Timur Vermes' Wiedergänger-Roman "Er ist wieder da" erlangen. Es gibt den brennenden Wunsch vieler deutscher Humorarbeiter, Adolf Hitler in seiner angeblichen Banalität zu zeigen, und da möchte man zumindest nachfragen, ob ein Mann, der sechs Millionen Juden ermordet hat und zumindest darangegangen ist, die Welt anzuzünden, wirklich mit dem Begriff der Banalität abzufertigen sei.

Der Historiker Axel Drecoll fand dafür die handhabbare Formel: Die Banalität Hitlers und seine Qualifizierung als "absolute Null bergen nicht mehr Erklärungspotential als der Dämon Hitler. " Drecoll hat viel mit Lehramtsstudenten und Schülern zu tun; ihnen legte er Hitler-Karikaturen des Zeichners Achim Lenz vor. Die meisten konnten mit dem Begriff "entartet" nichts anfangen und vermochten zwar Hitler selbst, dessen prominenteste Mitarbeiter jedoch - Hess, Goebbels, Göring - nicht zu identifizieren.

Ernst Weiss' Roman "Der Augenzeuge" ging übrigens mit den anderen Manuskripten des Autors verloren und wurde erst 1963 aufgelegt, weil in einem amerikanischen Verlag eine Kopie des Textes gefunden wurde. Wenige Jahre später veröffentlichte Otto Basil seine Persiflage "Wenn das der Führer wüsste", ein Vorläufer von "Er ist wieder da". Hitler hat auch hier überlebt und verwaltet die Relikte seines Rassenwahns in naturkundlichen Museen. Die parallelgeschichtliche Konstruktion, Hitler habe das, was er angerichtet hat, lebend überstanden, ist für satirische Hitler-Phantasten bis heute die beliebteste Spielart. Mag sein, dass der Gedanke dahinter steht, man würde es ihm heute so richtig zeigen, denn wir wissen ja, was das für ein Hanswurst war.

Übrigens ein schöner Beleg für mangelnde Geschichts- und Medienkompetenz, die es zu Hitlers Zeiten auch gab und über die Stefan Zweig in "Die Welt von Gestern" schrieb: "Die wenigen unter den Schriftstellern, die sich wirklich Mühe genommen hatten, Hitlers Buch zu lesen, spotteten, anstatt sich mit seinem Programm zu befassen, über die Schwülstigkeit seiner Prosa." Mit Gelächter kann man keine Katastrophen aufhalten.

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