Horvath:Keine Angst vor den Toten

'Kasimir und Karoline' Thalia Theater

Unter einem Weihnachtsschmuck des Horrors begegnen sich die Gestrandeten aus zwei Horváth-Stücken.

(Foto: Krafft Angerer)

Im Hamburger Thalia Theater glückt es auf magische Weise: Zwei Depressionsstücke von Ödön von Horvath werden zusammengeführt an einem Abend.

Von Peter Laudenbach

Elisabeth steht etwas verzagt vor der Pathologie (und auf der leeren Bühne). Sie braucht dringend Geld, sie will ihren künftigen Leichnam schon zu Lebzeiten für 150 Mark verkaufen. Man darf sich nicht allzu viel wert sein, wenn die Zeiten hart sind. Wie Leichname, die nur aus Zufall noch ein bisschen am Leben sind, wirken viele der Figuren an diesem Abend. Als wollte sie sich selbst Mut machen, sagt Elisabeth (wunderbar unsentimental gespielt von Birte Schnöink), sie habe "keine Angst vor den Toten." Schließlich sind die Lebenden, denen sie begegnet, erschreckend genug. Über allen schweben bedrohlich riesige, silbern schimmernde Kugeln, als hätte Jeff Koons einen Weihnachtsschmuck des Horrors an den Bühnenhimmel gehängt. Ab und zu wird eine der Kugeln herunterkrachen. Es sieht aus, als wollte ein schlecht gelauntes Schicksal die Kleinbürger, Arbeitslosen, Lebensgierigen, Krisenprofiteure und Schmarotzer, die da durch ihr Leben und über die rotierende Drehbühne rennen, einfach zerquetschen.

Jette Steckel hat am Hamburger Thalia Theater zwei Wirtschaftskrisen-Volksstücke Ödön von Horváths aus den frühen dreißiger Jahren, die Oktoberfest-Depressionssause "Kasimir und Karoline" und die Arbeitslosen-Höllenfahrt "Glaube Liebe Hoffnung", zu einem Drei-Stunden-Abend ineinander montiert. Das klingt, auch wenn es im Horváth-Nachlass Entwürfe zu einem beide Stoffe verbindenden Stück gibt, zunächst wie ein typischer Dramaturgen-Einfall, also etwas konfus. Ist es aber nicht, und das nicht nur, weil sich die Figuren der beiden Stücke zu einem eisigen Tableau des Niedergangs und der gemütlichen Verrohung verbinden (Dramaturgie und Stückfassung, gemeinsam mit der Regisseurin: Julia Lochte).

Mit größter Selbstverständlichkeit sich durch sein Unglück bewegen

Die Montage verknappt die Stücke und schützt die Inszenierung vor Sentiment-Weichzeichnung. Steckels Inszenierung dürfte eine der klügsten, in der Lakonie eindringlichsten Horváth-Erkundungen der letzten Jahre sein - so trostlos und ab und zu verzweifelt komisch wie Marthalers Volksbühnen-Inszenierung von "Glaube Liebe Hoffnung", so nüchtern und illusionslos im Blick auf die Figuren wie Thalheimers "Geschichten aus dem Wiener Wald" am Berliner Deutschen Theater. Aber weil Steckel bei aller Nüchternheit nicht mitleidlos auf ihre Figuren blickt, entsteht etwas Schönes und im Theater eher Seltenes: Man schaut gleichzeitig berührt und sachlich dabei zu, wie diese Menschen sich mit größter Selbstverständlichkeit durch ihr Unglücksleben bewegen. Steckel, deren Inszenierungen sich auch mal im naiven Kitsch ("Romeo und Julia", Thalia Theater Hamburg) oder im sakral wabernden Tiefsinn ("Antigone", Burgtheater Wien) verheddern, ist hier ein atmosphärisch ungemein dichter, klug und klar erzählter Abend gelungen.

Die Inszenierung setzt die Figuren der dreißiger Jahre (oder der Gegenwart) auf der leeren Bühne aus wie Gestrandete, denen jeder Schutz einer Behausung oder eines sicheren Platzes in der Welt abhanden gekommen ist (Bühne: Florian Lösche). Dem Wirtschaftskrisenopfer Elisabeth kann man dabei zusehen, wie die Reste ihres Lebens und ihrer Würde zerbrechen. Bis sie dort landet, wo sie von Anfang an hin wollte - im Leichenschauhaus, als zu sezierende Wasserleiche nach ihrem Selbstmord. Mitten in der behaglichen Brutalität ihrer Mitmenschen hat sie sich, ganz unkitschig, eine reine Seele bewahrt. Das wird ihr zum Verhängnis. Der Leichenpräparator Schürzinger, den Sebastian Rudolph als hochkomische Karikatur einer geduckten Existenz spielt, umsabbert sie verschwitzt. Wie ein Spiegelbild dazu wirkt in der Stück-Montage der arbeitslose Kasimir (Mirco Kreibich). Ihm bleiben nur hilflose Posen gekränkter Männlichkeit, nachdem ihn seine Braut Karoline (Maja Schöne) entsorgt hat, um sich von Herrenreiter-Kavalieren als Oktoberfest-Vergnügen aushalten zu lassen. Kein Wunder, dass Kasimir mit dem kleinkriminellen Trinker-Pärchen Merklfranz (aberwitzig auf Highheels: André Szymanski) und Erna (Karin Neuhäuser, verlebt und kaputt, aber nie dumpf) im Alkoholnebel verschwindet.

Immer schneller treiben diese aus der Bahn Geworfenen auf der Drehbühne aneinander vorbei, als wollten sie sich in der Beschleunigung, im rasenden Stillstand betäuben. Anton Spielmann von 1000 Robota unterlegt diese depressive Hysterie, das freudlose Aufdrehen der Oktoberfest-Absturz-Opfer, mit einem Live-Soundtrack, der mal brutal hochenergetische Soundwälle auftürmt, mal fast spöttisch mit Folklore- und Vaudeville-Resten spielt und einen massiven, vielschichtigen Sog entwickelt. Bis am Ende die Figuren erschöpft, trist, ratlos und etwas dumpf übrig bleiben und wahrscheinlich immer weiter machen, etwas entleert, als hätte jemand die Luft rausgelassen, wie aus den Silberballons, die gemächlich in sich zusammensacken.

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