Horrorfilm:Vorsicht, Hexe

Ein geniales Konzept, das über die Schauwerte des Kinos triumphiert: der US-amerikanische Wackelkamera-Horrorfilm "The Blair Witch Project" und seine Fortsetzung.

Von Tobias Kniebe

Ein großes Studienobjekt, was die übernatürlichen Kräfte des Kinos bewirken können, ist immer noch "The Blair Witch Project" aus der Zeit der Jahrtausendwende. Dazu sollte man sich kurz einen Campingtrip in die Wälder Marylands vorstellen, aufgenommen von drei Filmstudenten: amateurhafte Bilder, fahler Himmel, instabile Handkamera, Bäume und noch mehr Bäume, grüngrau, braungrau und graugrau, die Clips stur aneinandergehängt, selbst die Protagonisten grüngrau bis braungrau und etwas nervig. Schauwert also insgesamt: nahe null.

Wie bringt man nun zahlende Kinogänger dazu, sich dieses traurige Gewackel anzuschauen, und das sogar anderthalb Stunden lang? Hier die Antwort: Man erkläre per Schrifttafel am Anfang, keiner der Filmenden sei aus den fraglichen Wäldern je zurückgekehrt. Gezeigt werden könne hier nur ihr Material, das ein Jahr später aufgefunden wurde. Sodann lasse man die Abenteurer selbst vor der Kamera erklären, sie wollten der Legende von der "Blair Witch" auf den Grund gehen, einer Hexe, die angeblich seit zweihundert Jahren in diesen Wäldern spukt. Schließlich ein paar dämonische Geräusche nachts auf der Tonspur, seltsame Zeichen im Gebüsch, außerdem das Gefühl, den Rückweg nicht mehr zu finden, wachsende Panik in den Gesichtern, am Ende der Weg in ein verfallenes Haus, ein Schlag, Filmabbruch, fertig.

Blair Witch; Film Blair Witch

Die Wälder der "Blair Witch" betritt man auf eigene Gefahr: Hexenjäger James (James Allen McCune).

(Foto: Studiocanal)

Bis heute schwören viele sonst eher unhysterische Menschen, dies sei die furchterregendste Kinoerfahrung ihres Lebens gewesen. Und Millionen blieben atemlos dran - allein auf seiner ersten Reise um die Welt spielte der Film, der kaum 500 000 Dollar gekostet hatte, sagenhafte 250 Millionen ein. Das Beste aber war die Tatsache, dass tatsächlich bis zum Ende keine Hexe zu sehen war und auch sonst keinerlei Spukwesen. Für alles hätte es irgendwie auch noch rationale Erklärungen geben können, oder anders gesagt: Das Null-Schauwert-Konzept wurde durchgezogen bis zum allerletzten, finalen, düster verwackelten Frame.

Wer an dieser Stelle nicht von der Macht des Kinos beeindruckt ist, der ist vermutlich gar nicht zu überzeugen. Oder spricht das alles eher für die Macht eines Konzepts? Hintergrundgeschichte, waldspezifische Urängste, Wackelkamera, Amateurästhetik, Casting, Schauspielführung und ein Kult des Minimalismus fanden hier in traumhafter Harmonie zusammen - so einzigartig, dass auch den beiden Machern des Films, Daniel Myrick und Eduardo Sánchez, nie wieder Vergleichbares gelingen sollte.

250 Millionen

Dollar hat das Original des Hexenjäger-Homemovies, "The Blair Witch Project" von 1999, weltweit eingespielt. Gekostet hat der Dreh kaum 50 000 Dollar, und selbst das Budget der finalen Kinoversion betrug nur eine halbe Million.

Das Erzählprinzip aber, das sie da zum Welterfolg geführt hatten, wird nach der Idee des aufgefundenen Materials "Found Footage" genannt. Es trug in den Folgejahren und bis heute reiche Früchte: Filme wie "Cloverfield", "Rec", "Paranormal Activity" und "The Bay" übertrugen die Methode erfolgreich auf Storys um Godzilla, Zombies, Exorzisten und Virenausbrüche. Inzwischen ist jede denkbare Geschichte, bei der am Ende alle tot sind, wahrscheinlich durchgespielt.

Wenn es nun viele Jahre später wieder einen "Blair Witch"-Film gibt, verfilmt vom aufstrebenden Horror-Musterschüler Adam Wingard und irgendwie auch mit dem Segen von Myrick und Sánchez selbst, denkt man an Möglichkeiten und Gefahren zugleich. Möglichkeiten, weil die Idee des Selberfilmens seither zum Massenwahn avanciert ist: kein Teenager mehr ohne eigenen Youtube-, Instagram- oder Facebook-Live-Kanal, kein Amateurfilmer mehr ohne GoPro-Kopfkamera oder fliegendes Drohnen-Auge.

Die Gefahren lassen sich eher kürzer zusammenfassen: Ohne ein neues Konzept, das man wieder in wunderbarer Konsequenz bis zum Ende durchziehen kann, wäre das alles so sinnlos wie der Kropf einer zweihundertjährigen Hexe. Was man sich aber - da ist der erste Film noch lebendig genug - wirklich nicht wünscht.

Wenn also auch diesmal gleich am Anfang eine Schrifttafel erklärt, keiner der hier Filmenden sei aus den Wäldern von Maryland je zurückgekehrt, gezeigt werden könne nur das aufgefundene Material - dann sinkt die Laune gleich erheblich. Denn damit ist klar, dass die Macher sich entschieden haben, die Grundidee des Originals einfach zu wiederholen - was die möglichen Optionen sogleich drastisch einschränkt. Die Laune steigt dann wieder, wenn man die Crew sieht, die erneut in die Wälder aufbrechen will. Denn zumindest der Anführer hat ein starkes Motiv: Die verschwundene Frau aus dem Trio von damals war seine (sehr viel ältere) Schwester. Es gibt immer noch Bilderjäger, die der "Blair Witch" auf der Spur sind, und ein neu aufgefundenes Tape suggeriert nun, diese Schwester könnte wie durch schwarze Magie noch am Leben und in den Wäldern gefangen sein. Drei Freunde begleiten den Suchenden, dazu zwei lokale Teenager, die ebenfalls "Blair Witch"-Jäger sind. Wirklich alle haben Kameras, zum Teil sogar an den Kopf geschnallt, die immer mitlaufen, und ja, eine Filmdrohne haben sie auch. Es passt zur Bildergier der Zeit, dass sie die Aufnahmen auch dann nicht stoppen, wenn irgendjemand entnervt eine Auszeit fordert, und allein ihre Zahl erhöht die Möglichkeiten, sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen - die Hexe, das sind wir selbst.

Das Prinzip Steigerung, der Fluch aller Fortsetzungen, verlangt: mehr Hexe!

Schnell aber wird das erste Problem sichtbar: Weil alle ständig drehen, gibt es viele verschiedene Kameraperspektiven, zwischen denen auch eifrig hin- und hergeschnitten wird. Dazu sind die Kameras recht lichtstark und hochauflösend - sprich, nach kurzer Zeit wirkt alles wie ein ganz normaler Spielfilm, der nur an den Übergängen aufdringlich knackst und flackert. Das aber fühlt sich nicht mehr authentisch amateurhaft an, sondern wie ein mühsames Konstrukt.

Sodann verlangt das Prinzip der Steigerung, der Fluch aller Fortsetzungen, an allen Fronten nach mehr: mehr dämonische Geräusche in der Nacht, diese dann bitte jetzt auch dreimal so laut, am ersten Morgen Dutzende Hexenzeichen im Gebüsch, am nächsten morgen schon Hunderte, mehr falscher Alarm, mehr Irrwege, Verletzungen, Streitgespräche, mehr verschwundene Mitstreiter, und so fort. Auch das wirkt überanstrengt, führt schließlich aber zum ebenso logischen wie fatalen Schluss. Denn dann heißt es plötzlich auch: mehr Hexe.

Wenn Bäume von übernatürlichen Kräften umgestürzt und Zelte von unsichtbaren Mächten in die Luft gerissen werden, verliert das Geschehen seine Ambiguität, verabschiedet sich aus der Physik und betritt Horrorland. Wer diese Grenze überschreitet, sollte besser auch bereit sein, mit der Mutter aller Schrumpelhexen aufzuwarten, und zwar in höchster Auflösung. Um den Rest des Desasters kurz zu machen: Davor scheut der Regisseur Wingard dann doch zurück, und alles mündet in ein sinnlos verwirrendes Finale, das der Legende überhaupt nichts Neues hinzufügt.

Was man als Zuschauer des alten "Blair Witch Projects" erfahren konnte, war am Ende vielleicht gar nicht so sehr die übernatürliche Kraft des Kinos. Eher war es die Macht der Konsequenz. Vielleicht entwickeln Regisseure, die ein größeres Ziel im Blick haben und die richtigen Mittel wählen, um dorthin zu kommen, ohne sich im Geringsten beirren zu lassen, allein durch ihre Entschlossenheit eine alles mitreißende Energie - stärker als schreckliches Gewackel, stärker als fades Braungrau und nicht vorhandene Schauwerte. Dieses Remake aber zeigt nur, wie rar solche Filmemacher sind und wie sehr sie im Augenblick wieder fehlen.

Blair Witch, USA 2016 - Regie: Adam Wingard. Buch: Simon Barrett. Kamera: Bobby Baumgartner. Mit Valorie Curry, Callie Hernandez, Brandon Scott, James Allen McCune. Verleih: Studiocanal, 90 Minuten.

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