Homosexuellen-Denkmal:Entwertung der Geschichte

Der Streit um das Homosexuellen-Denkmal in Berlin zeigt, wie der Nationalsozialismus in der Ferne verschwimmt.

Stephan Speicher

Vor zwei Jahren, am 27. Mai 2008, wurde im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht. Die gesellschaftliche Zustimmung für das Projekt war zuletzt groß. Dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) den Initiatoren, der Initiative "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" und dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), ausdrücklich dankte, wurde als Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts mit Genugtuung vermerkt.

In der ästhetischen Beurteilung war sich die Öffentlichkeit weniger sicher, diese Frage trat hinter die politische Zufriedenheit zurück. Ist es ein gutes Denkmal, das Michael Elmgreen und Ingar Dragset errichtet haben?

Es ist jedenfalls ein merkwürdig gespaltenes. Einerseits schließt es sich an das Holocaust-Mahnmal von Peter Eisenman an. Es ist ihm eng benachbart, getrennt allein durch die Friedrich-Ebert-Straße - allerdings sprach für die Lage im Tiergarten auch, dass dieser ein bevorzugter Treffpunkt von Schwulen war und ist.

Vor allem aber nimmt es die Form des Holocaust-Mahnmals auf. Besteht dieses aus 2711 Betonstelen, so haben Elmgreen und Dragset eine Stele gebaut, größer, stärker geneigt als bei Eisenman, aber unverkennbar aus dessen Formenarsenal genommen.

Damit bezieht das Monument sich auf die Erinnerung an die ermordeten Juden. Zugleich aber springt es entschlossen in die Gegenwart. In die Stele ist ein Fenster gesetzt, in dem man auf einer Endlosschleife zwei junge Männer sieht, die sich küssen, ein besonders properes Paar und unbedingt heutig.

Der erläuternde Text zum Denkmal bringt die zwei Absichten auch zur Sprache: "Mit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wach halten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen."

Die Konkurrenz dieser zwei Absichten sorgt nun für scharfen Streit. Zur Idee des Denkmals gehört es, den kleinen Film alle zwei Jahre auszutauschen und damit Gelegenheit zu schaffen, auch "Bilder von Frauen" zu zeigen. Jetzt ist also ein neuer Film fällig.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, woran die Diskussion krankt.

Vergangenheit, die nun vergehen will

Der Wettbewerb ist ausgeschrieben, wieder soll es eine gleichgeschlechtliche Kuss-Szene sein. Und was das wichtigste ist: Beiträge, die "geeignet sind, ein Zeichen gegen die Ausgrenzung von Lesben in der Gegenwart zu setzen" werden willkommen geheißen.

In einem offenen Brief haben Aktivisten der Schwulenbewegung und Leiter wichtiger Gedenkstätten dagegen Widerspruch erhoben und von einer "Verzerrung und Verfälschung der Geschichte wie des Andenkens an die Verfolgten" gesprochen. Es sei historisch nicht zu belegen, "dass lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien".

Das ist in der Tat wissenschaftlicher Konsens, er beruht weitgehend auf der Dissertation von Claudia Schoppmann, "Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität" (1991). Als 1935 der Paragraf 175 Strafgesetzbuch verschärft wurde, der die Strafbarkeit männlicher Homosexualität regelte, befasste sich die amtliche Strafrechtskommission auch mit der Frage, ob nicht die lesbische Liebe gleichfalls verboten werden solle.

Der Kommission schien das inopportun, aus einem traditionell männlichen Blick auf die Geschlechterrollen. Frauen waren demzufolge sexuell weniger aktiv, leichter bestimmbar und also durch lesbische Erfahrungen nicht unbedingt verloren für die Sache der Reproduktion. Zudem fürchteten die nationalsozialistischen Juristen eine "Verfälschung des öffentlichen Lebens" durch den homosexuellen Mann, dem sie Motive und Verhaltensweisen weiblicher Art unterstellten, die nicht leicht zu erkennen seien. Dies Problem stellte sich bei Frauen nicht, sie spielten in der Öffentlichkeit ja keine bestimmende Rolle.

So blieb die lesbische Liebe straffrei. Selbst das "gesunde Volksempfinden" wurde von den Strafgerichten hier nicht mobilisiert. Das, so Schoppmann, bewahrte lesbische Frauen nicht davor, "unter dem Vorwand anderer Delikte kriminalisiert zu werden, doch ist dies ...nur in Ausnahmefällen nachweisbar".

Aber wird diese historische Bestimmung überhaupt noch als relevant angesehen? Eine Podiumsdiskussion zum Thema in Berlin weckte da Zweifel. Wohl versuchte Chantal Louis von der Zeitschrift Emma mit Beispielen verfolgter Lesbierinnen ihre Position historisch ein wenig zu stärken. Aber an der weit schlimmeren Verfolgung männlicher Homosexueller zweifelte auch sie nicht. Trotzdem wünschte sie sich im kommenden Film für die Stele ein lesbisches Paar neben einem schwulen; ein heterosexuelles könne aber auch mitmachen. Denn entscheidend für sie war Gegenwart und Zukunft, der aktuelle Kampf für die Rechte sexueller Minderheiten.

Unvermeidliche Folge

So sah das auch Claudia Lohrenscheit vom Deutschen Institut für Menschenrechte, sie sprach von der "Systematik" der Menchenrechtsverletzungen, die das Denkmal im Tiergarten darstellen solle. Allein Günther Morsch, Leiter der Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen, hielt am historischen Unterschied und an der sich daraus ergebenden Bestimmung des Denkmals fest.

Vermutlich sind 50000 Männer im "Dritten Reich" wegen Homosexualität verurteilt worden, 10 000 bis 15 000 in ein KZ deportiert worden; die Mehrheit kam dort ums Leben. Das waren schreckliche Erfahrungen auch für diejenigen, die unentdeckt blieben. Terror ist eine Frage der Zahl.

Unter den älteren Schwulen im Publikum wird es solche gegeben haben, die Männer kannten, die den Nationalsozialismus überlebt haben, im Lager oder auch nicht, aber gewiss von Angst verfolgt. Wer dagegen die wenigen Frauen aufbietet, die - wenn überhaupt - wegen lesbischer Neigungen verfolgt wurden, oder von den Zeitschriften, die verboten wurden, der muss sich gegen historische Eindrücke stark gepanzert haben. Oder, was wahrscheinlicher ist: Sie müssen ihm egal sein.

Eine Iranerin aus dem Publikum sprach von den Verfolgungen lesbischer Frauen in ihrer Heimat. Soll das Berliner Denkmal auch ein Ort für sie sein? Für die Mehrheit des Podiums war klar: Ja, das ist auch ihr Ort. Selbst Klaus Müller, Repräsentant des United States Holocaust Memorial Museum, stimmte dem zu.

Damit aber stehen wir an einem Wendepunkt in unserem Verhältnis zum Nationalsozialismus. Die Erinnerung an das, was geschehen ist, verdämmert, der Platz im Licht gehört den aktuellen Anliegen.

Auch wer den Rang dieser Anliegen nicht verkennt, muss die Entwertung der Geschichte zur Kenntnis nehmen. Gewiss gibt es Gedenken nicht ohne den Blick aus dem Heute, es ist ein moralisches Tun und hat darin etwas allgemein Verbindliches, wirkt also auch auf die Gegenwart. Aber es verschieben sich die Gewichte.

Der Historikerstreit, der die alte Bundesrepublik so aufwühlte, endete mit einem sehr deutlichen Ergebnis: Das Land akzeptierte die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen, genauer: der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Das ist nun fast 25 Jahre her.

Jetzt sollen die Verbrechen - jedenfalls die an den Homosexuellen - nur noch ein Beispiel sein, ein exemplarischer Fall in einer allgemeinen Systematik der Menschenrechtsverletzung, eine Etappe im verlustreichen Kampf um Emanzipation, ein Instrument im guten Kampf. Das mag nicht die Absicht sein derer, die für die Integration der lesbischen Liebe in das Homosexuellendenkmal kämpfen, aber es ist die unvermeidliche Folge.

Eine lesbische Iranerin, ein schwuler Jamaikaner, die im Tiergarten vor dem Denkmal stehen und dort Trost oder Ermutigung schöpfen - wer wollte sie wegschicken? Aber das Denkmal auf sie und ihre Erfahrungen zuzurichten, das heißt: die deutsche Geschichte zurücktreten zu lassen ins ewige Kontinuum von Unrecht und Gewalt.

Das Homosexuellen-Denkmal bezieht sich auf das Holocaust-Mahnmal, es spricht darin auch die Erinnerung der Nation an die aus ihrer Mitte begangenen Verbrechen aus. Das Regime im Iran ist eine andere Sache.

Günther Morsch wies darauf hin, dass die Entwertung der Geschichte und ihrer Spezifik sich ereignet, während die letzten Überlebenden sterben. Ihre Stelle nehmen nun Verbände und Politiker ein. Denen macht das Freude. Die Öffentlichkeit wird merken, dass Substanz verloren gegangen ist.

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