Hollywood vor der Oscar-Nacht:Boulevard der perfekten Illusionen

Produzenten diskutieren über ihre Favoriten, Schauspieler sind nervös - und ein kleiner Junge hält die Trophäe schon mal in der Hand.

Tanja Rest

Möglich, dass der Oscar am Sonntag die Namen von Martin Scorsese und Helen Mirren um den Globus katapultieren wird, doch am Dienstag um 14 Uhr Ortszeit befindet er sich in den Händen eines dicklichen Highschool-Kids namens Ralph Finch.

"Meet the Oscars!" heißt die Ausstellung im Hollywood & Highland Centre. In Vitrinen glimmen 24 von 25 Statuetten vor sich hin, alle noch ungraviert bis auf den Ehrenoscar für Ennio Morricone. Oscar Nr. 25 steht auf einem Podest und darf vom Volk berührt werden, dafür hat Ralph eine halbe Stunde angestanden.

Hinterm Camcorder entfahren der Mutter beglückte Kiekser: "Say somethin', Ralphiiie!" Ralph umklammert nervös den Oscar, er dankt seiner Oma und seinem Terrier Fluffy. Er sieht aus wie einer, der soeben Teil der größten Show der Welt geworden ist.

Aber da täuscht er sich.

Vor der Tür liegt Oscar Country. Auf 250 Metern Hollywood Boulevard: das Kodak Theatre, Schauplatz der 79. Academy Awards, Grauman's Chinese Theatre mit den Hand- und Fußabdrücken der Stars, der Walk of Fame mit seinen ins Pflaster eingelassenen Sternen und unzählige schäbige Souvenir-Shops. Oscar Country sieht aus wie eine abgegriffene Grußpostkarte aus den Achtzigern, ist in Wahrheit aber die perfekte Illusionsmaschine. Die Illusion, die hier produziert wird, heißt: Nähe.

Man kann auf dem Hollywood Boulevard eine Tour zur Villa von Leonardo DiCaprio buchen oder sich mit einer Sharon Stone aus Pappe fotografieren lassen. Man kann den echten Oscar anfassen und einen Plastikoscar für 9,99 Dollar kaufen, auf dem "Best Secretary" steht.

Nähe und Distanz

Man kann mit Darth Vader sprechen - vor dem Chinese Theatre versucht eine TV-Reporterin aus Tokio, dem Dunklen Lord die Worte "Mögen die Oscars mit euch sein" auf Japanisch beizubringen. Nebenan küsst eine geliftete Blondine den Stern von Tom Cruise.

Die Menschen lieben die Stars, weil sie strahlend und unerreichbar weit weg sind; gleichzeitig wollen sie sie vom Himmel holen, in ihr eigenes Leben hinein. Auf diesem Widerspruch gründet Hollywood - und nirgendwo anders als hier, zur Oscar-Zeit, kann man besser beobachten, wie perfekt das funktioniert. Wie die Maschine den Ralph Finches dieser Welt Nähe vorgaukelt und sie gleichzeitig auf Distanz hält.

Vor dem Kodak Theatre hat sich in der Zwischenzeit der Mann von Channel 7 aufgebaut und macht einen Aufsager für die Kamera. Sandy Kenyon erzählt den Zuschauern, was sie dann später hinter ihm im Bild sehen können: dass die Scheinwerfer gerade installiert werden, die Tribünen links und rechts vom roten Teppich bereits stehen, der Teppich selbst zwar noch nicht da, aber das Wetter schon mal super ist.

"Fat chance for sunshine at the Oscars!" Sein Enthusiasmus klingt professionell, doch als die Kamera abgeschaltet wird, bleibt die Begeisterung an. Er gestikuliert rüber zur Eingangszone, wo drei schwitzende Arbeiter gerade den Kran für die Kameras installieren. "Nicole Kidman, Scarlett Johansson, Halle Berry!", juchzt Kenyon. "So viel Charisma auf so kleinem Raum - das ist wie eine nukleare Explosion."

Boulevard der perfekten Illusionen

Am Rand der Tribüne schiebt ein mexikanischer Straßenkehrer den Besen übers Pflaster; in seinem Gesicht liegt die Ausdruckslosigkeit des Stundenlöhners, der am Ende des Tages eine Handvoll Dollar nach Hause tragen wird. Gern hätte man von ihm gewusst, ob auch er einmal Sharon Stone im Arm halten oder den Oscar berühren will.

Ob er vielleicht auch manchmal träumt von dieser nuklearen Explosion. Aber er zuckt nur mit den Schultern und schüttelt den Kopf. "Español." Er schlurft weiter, sein Besen kratzt über den Walk of Fame. "W. C. Fields" . . . "Andy Garcia" . . . "Carole Lombard". Und schließlich: "Arthur Cohn".

Produzentenlegende mit Dauerreservierung

Ein paar Kilometer weiter im Beverly Hills Hotel sitzt der leibhaftige Arthur Cohn beim Frühstück. Das Beverly Hills ist ein nostalgischer rosa Prachtkasten in einem Dschungel aus Grün und eine Hollywood-Legende für sich. Marilyn Monroe und Yves Montand waren Gäste, als sie "Let's Make Love" drehten, Elizabeth Taylor hat sechs ihrer acht Ehemänner hier vernascht, Marlene Dietrich ließ in Bungalow 11 ihr eigenes Bett aufbauen. Howard Hughes zog 30 Jahre lang ein und wieder aus und wurde allmählich verrückt.

Seit 1995 gehört das Hotel dem Sultan von Brunei, und weil der den Staat Israel nicht anerkannte, blieben die jüdischen Besucher weg. Arthur Cohn, Produzent aus der Schweiz und Stammgast, hat die jüdischen Filmemacher damals ins Beverly Hills zurückgeholt, und zum Dank ist in der Polo Lounge immer Tisch 3 für ihn reserviert. Es ist einer von insgesamt sechs Tischen, an denen die Schwergewichte der Branche seit Ewigkeiten ihre Deals einfädeln - aber der wichtigste, wie er beteuert.

Cohn ist ein genialer Networker, der Freundschaften unterhält bis in die innersten Zirkel Hollywoods hinein. "Mein Hauptkapital in dieser Stadt", sagt er, "sind zwei Dinge: Erstens, ich bin integer und die Leute wissen das. Zweitens: Ich bin vielleicht kein Intellektueller, aber ich habe eine große Intuition." Den Oscar hat er sechs Mal gewonnen.

Die Qualität der nominierten Filme in diesem Jahr sei nicht unbedingt die beste, findet er. Mit einem Regie-Oscar für Scorsese rechnet er allerdings fest, ebenso mit Helen Mirren. "Und trotzdem hören alle anderen nominierten Schauspielerinnen von jedem, dem sie in diesen Tagen begegnen, dass sie bestimmt gewinnen werden. Ist das nicht ulkig? Jeder weiß, dass es nicht wahr ist, aber sie glauben trotzdem dran!"

Das Rennen um den besten Film? Offen, sagt er. ",Little Miss Sunshine' hat eine gute Außenseiterchance, 'The Departed' und 'Babel' liegen Kopf an Kopf."

Cohn ist nun in seinem Element. Die Academy hat ihm 1970 den Oscar für "Die Gärten der Finzi Contini" (in der Regie von Vittorio de Sica) gegeben, ein krasser Außenseiter, der noch keinen Verleiher gefunden hatte und nur in einem einzigen New Yorker Kino gespielt wurde. "Die Mitglieder der Academy sind ehrenwerte, enthusiastische Filmbegeisterte", sagt er also mit Überzeugung. "Wenn die Academy einem guten Film zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen kann, dann wird sie auch für ihn stimmen."

Boulevard der perfekten Illusionen

In diesem Moment kommt Ed Pressman in die Polo Lounge, Cohn springt auf. Pressman hat "American Psycho" und "Wall Street" produziert, man klopft sich ausführlich gegenseitig auf die Schulter. Auch Steve Scheffer trifft ein, ein freundlicher, unauffälliger Mann mit Lederjacke, der als Programmchef des Kabelsenders HBO Serien wie die "Sopranos" und "Sex and the City" auf der Kappe hat.

Wer geht auf welche Party?

Das Gespräch dreht sich weniger um die Oscars als darum, wer wann auf welche Warm-up-Party geht. Am Freitagabend feiert Warner mit Scorsese, gleichzeitig lädt Cohn einige handsortierte Leute ins Beverly Hills; Ehrengast ist der 90-jährige Kirk Douglas.

Schnell noch zu den Chancen der Deutschen, und da wird Cohn wieder streng. "Alle reden in Deutschland vom Oscar, aber sie vergessen, dass noch vier andere Filme nominiert sind! 'Pan's Labyrinth' ist ein großartiger Konkurrent, man darf sich nicht schämen, gegen ihn zu verlieren." Kurze Pause. "Ich kann mir aber trotzdem vorstellen, dass der Film des jungen Donnersmarck siegen wird."

"Es geht nicht die Welt unter, wenn wir nicht gewinnen", sagt Sebastian Koch. Er sitzt im Standard Hotel am Sunset Boulevard auf der Terrasse und stochert in seinem Thai-Salat herum. Kochs Gesicht ist in Deutschland berühmter als sein Name. Er war Andreas Baader, Richard Oetker, Stauffenberg. Er war Albert Speer. Seit ein paar Wochen ist er außerdem der, der in dem nominierten Film "Das Leben der Anderen" eine Hauptrolle spielt.

Koch ist mit seinem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck jetzt seit Anfang Januar in den Staaten, außer für den Oscar-Kandidaten wirbt er hier auch noch für "Black Book", ein Weltkriegsdrama von Paul Verhoeven. Man fragt, was ihn in dieser Zeit am meisten beeindruckt hat. Die Antwort ist nicht das, was man erwartet hat.

Er war bei den Golden Globes, er hat seine Heldin Meryl Streep getroffen und ein paar Worte mit ihr geredet; er hat so viele Screenings besucht und Publikumsfragen beantwortet und Interviews gegeben, dass er hier in Los Angeles schon auf der Straße erkannt wird. Aber er sagt: "Death Valley".

Zwölf Tage lang ist er mit seiner Freundin, der Schauspielerin Carice van Houten, durchs Land gefahren, sie waren in San Francisco, Las Vegas, am Grand Canyon. Im Death Valley merkte er, wie die Leere der Landschaft etwas in ihm zur Ruhe kommen ließ. Und nun wird die Stadt um ihn herum immer fiebriger, während er selbst ganz bei sich ist.

Eine Stadt ohne Wurzeln

Immer mal wieder bekommen sie die Aktien zugespielt. Fifty-fifty, heißt es in den USA, zwischen "Lives of Others" und "Pan's Labyrinth". Aber was bedeutet das schon? Hauptsache sei doch, dass der Film in den Staaten gut ankomme, sagt er. "Es ist ein wahnsinniger Erfolg für den Florian, die liegen ihm hier alle zu Füßen." Er erzählt von der ersten Begegnung mit Donnersmarck, bei einer Filmpremiere. Wie dieser junge Typ ihn auf den Film "Der Mann mit der Maske" angesprochen habe, den Koch Jahre zuvor gedreht hatte. Wie Donnersmarck ihm seine Figur in diesem Film so detailliert beschrieben habe, dass er mehr verblüfft war als geschmeichelt.

2004 bekam Sebastian Koch die Rolle des ostdeutschen Dramatikers Georg Dreyman im "Leben der Anderen", und er verliebte sich so sehr in die "Sonate vom guten Menschen", die er darin zu spielen hat, dass er vier Stunden täglich mit einem Lehrer am Klavier saß. Und nun gehen sie zusammen zu den Oscars, Donnersmarck, seine Frau, Ulrich Mühe und er. Sie wollen es genießen. "Ich bin nicht hier, um irgendeiner Sache nachzujagen."

Unten liegt Downtown Los Angeles im Mittagsdunst. Keine Stadt, wo er leben möchte. Eine Stadt ohne Wurzeln. "Schon die Häuser sind aus Holz und Pappe, die Palmen bloß so reingesetzt. Und kaum alte Menschen." Um sich herum sieht er nur Höhenflüge und Abstürze, "ich bin jetzt lange genug hier um zu merken, wie relativ das alles ist." Er sagt, dass er viele Filmleute in dieser Stadt getroffen hat, und er wisse nicht recht. Es sei ein Gefühl der Einsamkeit um sie herum.

Zurück am Hollywood Boulevard, Nacht. Über der Fassade des Hollywood & Highland Centre spannt sich das Megaplakat der 79th Annual Academy Awards. Goldbuchstaben auf schwarzem Grund: "I'm the King of the World!" Leonardo DiCaprio, überm Bug der Titanic schwebend . . . James Cameron auf der Bühne des Kodak Theatre, als er an jenem Abend seinen elften "Titanic"-Oscar entgegennahm. Unten auf der Straße ist der hundert Meter lange und zwölf Meter breite rote Teppich inzwischen verlegt worden und sogleich hinter riesigen Trennwänden verschwunden.

Von den Königen der Filmwelt wird das Volk nicht mal die Schuhspitzen zu sehen bekommen.

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