Hofer  Filmtage:Mädchen mit Blues

Hofer  Filmtage: Ein Flüchtlingsdrama zur Eröffnung - Benjamin Sadler in Christian Züberts "Ein Atem".

Ein Flüchtlingsdrama zur Eröffnung - Benjamin Sadler in Christian Züberts "Ein Atem".

(Foto: Verleih)

Eine Griechin in Deutschland zur Eröffnung, Flüchtlinge und Neurotiker, und ein Porträt eines "Little Girl Blue": Janis Joplin.

Von Julia Weigl

Auch die Hofer Filmtage, eine der wichtigsten Plattformen des deutschsprachigen Filmnachwuchses, kamen in ihrer 49. Ausgabe, die soeben zu Ende ging, nicht am großen Reizthema dieser Tage vorbei: Integration.

Viele der in diesem Jahr vertretenen Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme setzten sich mit Eingliederungsfragen auseinander. Der etwas spröde Eröffnungsfilm "Ein Atem" von Christian Zübert etwa porträtiert eine junge, gebildete Griechin, die sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen möchte. Am eindringlichsten von der Flucht nach Deutschland erzählte aber Daniel Carsenty in "After Spring Comes Fall". Der Film handelt von einer Syrerin, die vor dem grausamen Krieg in ihrem Land flüchtet und in Deutschland zwischen die Fronten des syrischen Geheimdienstes und der syrischen Opposition gerät. Der Frankfurter Regisseur inszeniert nicht nur ein Flüchtlingsschicksal, vielmehr spinnt er ein irritierendes Netz aus Spekulationen und politischen Komplexen. Genau das ist das Spannende an diesem Film - es muss nicht immer alles auf Fernsehfilm-Niveau bis ins kleinste Detail aufgelöst werden. Vielmehr sind es die unbeantworteten Fragen, die hier illustrieren, wie knifflig Integration sein kann und wie schnell der Traum von einem besseren Leben in der neuen Heimat den Protagonisten zum Albtraum wird.

Im diesjährigen Programm stach auch ohne vordergründige Integrationsaspekte der junge österreichische Regisseur Constantin Hatz, Jahrgang 1989, mit seinem Langfilmdebüt "Fuge" hervor. Darin folgt er in starren, perfekt komponierten Momentaufnahmen seiner namenlosen Protagonistin - quälend minutiös: Sie steht stoisch vor einem Supermarktregal, liest penibel die Zutaten auf der Packung laut vor, mit Punkt und Beistrich. Immer wieder. Zunächst ist die zierliche junge Frau nur von hinten zu sehen, bis sie endlich mit ihren starren großen Augen direkt in die Kamera blickt. Ein stiller Hilfeschrei, aus dieser zwangsgesteuerten Welt ausbrechen zu wollen.

"Fuge" ist das Porträt des repetitiven, ritualisierten Alltags einer neurotischen Klavierstudentin, die unter ihrer dominanten Mutter leidet und langsam versucht auszubrechen. Dabei verlässt der Film die muffigen vier Wände des Plattenbaus kaum. Er selbst sei in so einer tristen Vorstadtsiedlung aufgewachsen, das habe ihn für sein Leben geprägt, sagte Hatz im Gespräch nach der Vorführung. Er wurde für seinen radikalen, mutigen Film mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet.

Eine amerikanerische Jazzsängerin aus Wien auf Spurensuche in New Orleans

Noch nie wurden in Hof so viele Dokumentarfilme gezeigt wie 2015. Auch sie widmen sich, wie "Fuge", vor allem der Musik und starken Außenseiterinnen. In "Janis: Little Girl Blue" zeichnet die amerikanische Regisseurin Amy Berg ein sensibles Porträt von Janis Joplin. Ganz klassisch inszeniert Berg die widerspenstige Bluessängerin mal auf der Bühne, mal in intimen Privataufnahmen, zum Beispiel in Brasilien. Im Hintergrund laufen Joplins eingängige Klänge, während immer wieder die Sängerin Cat Power aus dem Off Joplins intime Briefe vorliest. Ein kluger Kniff, denn kaum eine andere Musikerin könnte den Schmerz, den Joplins Korrespondenz artikuliert, mit ihrer zartrauen Stimme so ehrlich vortragen wie Cat Power.

Ein weiteres Dok-Musik-Porträt zeigte der Österreicher Stephanus Domanig. In "For my Sisters" folgt er der Jazzsängerin Carole Alston auf ihrer persönlichen Spurensuche nach ihren großen Vorbildern Sarah Vaughan, Alberta Hunter und Nina Simone - ein großes Stück Musikgeschichte. Die Amerikanerin Alston, die seit mehr als zwanzig Jahren in Wien lebt, besucht New Orleans, das Mississippi Delta, New York. All die Orte, an denen ihre Vorgängerinnen ihre Emotionen in eigensinnige Melodien verwandelt, für Bürgerrechte gekämpft, ihre Identität als "black female" neu erfunden haben. Den in diesem Jahr zum ersten Mal verliehenen Dokumentarfilmpreis gewann schließlich "Where to, Miss?" von Manuela Bastian, Jahrgang 1987. Auch dieser Film erzählt die Geschichte einer rebellierenden Frau: Devki lebt in Indien und möchte Taxifahrerin sein, doch die Familienkultur lässt das nicht zu. Erst der Vater, dann der eigene Mann und der Stiefvater wollen verhindern, dass Devki frei und unabhängig ist. Man muss nicht erst seine Heimat verlassen, um Integrationsprobleme zu bekommen.

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