Hörspiel:Der Ton des Trottoirs

Joachim Ringelnatz tut so, als ließe er in seinem ". . . liner Roma. . ." Anfang und Ende seines "Berliner Romans" aus - aber der hat dann doch Hand und Fuß.

Von Jens Bisky

Wenn es stimmt, dass in den großen Städten keiner Zeit hat, alle hetzen, hasten, eilen und das Ganze nicht zu überblicken ist, warum sind dann Großstadtromane meist recht umfangreich? An Themen, Milieuschilderungen und Seiten? In der Antwort, wenn man denn eine versuchen wollte, "Manhattan Transfer" oder "Berlin Alexanderplatz" in der Hand, würde es wahrscheinlich um das Nebeneinander des Verschiedensten, um Totalität und Techniken epischen Erzählen gehen.

Aber es gibt ein Gegenbeispiel von schwer zu unterbietender Kürze: 53 Seiten hatte die Erstausgabe von " . . . liner Roma. . . ", des Berliner Romans von Joachim Ringelnatz. Er erschien "mit zehn Bildern von ihm selbst" 1924 in Hamburg. Mag der Titel auch auf Eile deuten, den fragmentarischen Charakter betonen, dem Leser wird dennoch ein Gesamtbild des "schmählich weltverhassten Berlin" mitten im Nachkriegselend geboten. Als er es skizzierte und hier und da ausmalte, hatte Joachim Ringelnatz wilde Abenteurerjahre hinter sich, war Schiffsjunge, Leichtmatrose, Bibliothekar und vieles mehr gewesen, hatte eine Existenz als Kabarettist und Schriftsteller begründet. In jenen Zwanzigerjahren, die im Rückblick immer so unterhaltend und amüsant erscheinen, wie sie es nie waren, wohnte er in München, trat viel in Berlin auf, reiste als Vortragskünstler herum. Aber was er auch tat, die Geldnot blieb bei ihm.

Die Großstadt treibt das Geschehen so, wie man es früher dem Schicksal nachsagte

"Und was bedeutet liner Roma?", wird im Roman ziemlich weit hinten gefragt, (wenn man bei 53 Seiten überhaupt von "weit hinten" reden kann). "Da fehlt was vorn und was hinten", lautet die Antwort: "Ich hab' mir's ergänzt ,Berliner Romane'. Berliner Romane haben meist keinen ordentlichen Anfang und kein rechtes Ende".

Das klingt überzeugend, trifft aber auf den Berliner Roman des Joachim Ringelnatz nicht zu. Er beginnt mit einer Kleinstadtszene und endet mit einem Knalleffekt.

Literaturbeilage

Erzählt wird in kürzeren Szenen von Gustav, der einige Affären hat, der schreibt und auf literarische Erfolge hofft, der sich durchschlägt, Freundschaften schließt, Berlin kennt und durchschaut, der immer noch auf Erfolge als Schriftsteller hofft. Die Großstadt, Verkehr, Wirrwarr und Idylle zugleich, ist die Heldin des Romans. Sie treibt das Geschehen so, wie man es früher dem Schicksal nachgesagt hat. Als ordentliche Geschäftsführerin der Vorsehung sorgt sie beispielsweise dafür, dass Gustav und der Balte Deeters sich befreunden. Umschlungen und alkoholbezaubert taumeln sie den Tauentzien entlang: Deeters, der Hüne, packt vorübergehende Männer am Arm und fragt dann seinen neuen Freund, "Gustav Gastein, soll ich den (oder die) für dich verprügeln?" Er soll erst einmal nicht zuschlagen.

Die Szene ist bezaubernd knapp, unverbraucht, wirkt lebensnah und stilisiert in einem. Ringelnatz beherrscht die Andeutung von Explosionen ebenso wie das Emporpfeilern von Gefühlen. Manches erinnert an expressionistische Novellen, daneben aber steht Sachlichkeit, finden sich Fetzen von Zeitungsschlagzeilen, Nachrichten, Anzeigen: "Welche edeldenkende, energische robuste Dame verhilft jungem kriegsverarmten Manne zu einem Paletot? Heirat nicht ausgeschlossen". Details des Stadtplans sind genau erfasst, Straßen- und Kneipenszenen virtuos choreografiert. Die Stadt selber wird mal mit dem Meer, mal mit den Alpen verglichen - und im Moment, indem dies gesagt wird, ist klar, dass kein Vergleich ganz passt, jeder nur einen vorübergehenden Eindruck erfasst. Einige der erzählerischen Kniffe kennt man aus "Berlin Alexanderplatz", Döblins Roman aber erschien fünf Jahre später und entfaltet dann doch ein ganz anderes Bild der Großstadt. "Berlin Alexanderplatz" kennt jeder, ". . . liner Roma. . . " kennen die wenigsten und haben also eine Entdeckung vor sich.

Der Erzähler führt durch das Geschehen wie jemand, der sich über gar nichts wundert

Wie frisch die Revue des Berliner Daseins und Aberwitzes gelieben ist, demonstriert schlagend die behutsame, vom RBB-Kulturradio produzierte Hörspielinszenierung. Thomas Gerwin hat zum Glück auf Zwanzigerjahre-Folklore verzichtet und folgt stattdessen dem Rhythmus des Textes. Die Musik - auch sie stammt von Gerwin - drängt sich anfangs etwas vor und auf, klingt, als wolle sie uns ein Volksstück nach der Art Ödön von Horváths schmackhaft machen. Doch kaum haben Gustav und der baltische Hüne Freundschaft geschlossen, tritt sie zurück und wird eine der Stimmen dieses urbanen Reigens.

Hörprobe

Einen Auszug aus dem Hörbuch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Der Erzähler, Michael Mendl, führt durch das Geschehen wie jemand, der sich über nichts wundert, aber auch nicht weiß, wie es weitergehen könnte oder sollte. Er berichtet im Ton eines talentierten, nie marktschreierischen Reporters. Der Gustav des Florian Lukas hat das Patente, Gewitzte, das nach landläufigem Vorurteil zu Berlin gehört. Aber nur im Umgang mit den Mädchen, den Frauen und Damen nützt ihm sein Geschick ein wenig. Naiv und verschlagen zugleich klingt die sehr junge "Nuscha vom Nebentisch" (Mira Partecke); resolut, aber nicht gefühllos die Leistung fordernde Gönnerin Frau Purmann (Lena Stolze).

Den Frauen wie den Männern scheint der Boden unter den Füßen fortgezogen zu sein, doch sie eilen, hasten, hetzen weiter, und machen sich weiter ihren Reim auf die Welt: "wie ganz anders, unvergleichlich besser man in Augsburg lebte". Ob Gustav dann doch Erfolg hat? Ob Deeters tatsächlich ein berühmter Maler wird? Ob einer Nuscha heiratet? Wie es ausgeht, kann man jetzt nachhören in diesem Hörspiel nach dem wahrscheinlich kürzesten Berlin-Roman überhaupt.

Joachim Ringelnatz: . . . liner Roma . . . Hörspiel. Bearbeitung, Regie und Komposition: Thomas Gerwin. Sprecher: Michael Mendl, Florian Lukas, Lena Stolze, Wanja Mues, Mira Partecke u.a. Der Hörverlag, München 2016. 1 CD, ca. 53 Min., 14,99 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: