Hörbuchkolumne:Ohne Schwätzchen ist alles so elend traurig

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Burghart Klaußner erweckt Helden und Schurken der Renaissance zum Leben, Benjamin von Stuckrad-Barre genießt Abende mit Wasser, und August Diehl liest zum ersten Mal vollständig "Jakob der Lügner".

Von Jens Bisky

Gedrängt, aber nie karg, nie ärmlich ist die Prosa des historistischen Erzählmeisters Conrad Ferdinand Meyer, sie bietet eine dichte Folge starker Reize. Das ist nichts für Leser, die sich vor Effekten fürchten, und nichts für Schauspieler, die auf Effekte setzen. Sie würden sich nur blamieren vor Meyers Virtuosität.

1887 erschien als eines seiner letzten Werke die Renaissance-Novelle "Die Versuchung des Pescara". Italien im Jahr 1525: Der Feldherr Pescara, der die Schlacht bei Pavia für Karl V. gewann, soll zum Verrat an seinem Kaiser überredet werden. Ehren, eine Krone, Drohungen wie Schmeichelworte werden aufgeboten, ihn auf die Seite der Liga zu ziehen, die das "geliebte Italien" zu einen verspricht. Pescaras Frau, die schöne, gebildete Viktoria, in Literaturgeschichten als Vittoria Colonna bekannt, scheint schon für die italienische Sache gewonnen zu sein.

Über sie und ihre Dichtungen, über die historischen Hintergründe, die Conrad Ferdinand Meyer ausgiebig studiert hat, informiert wie immer bei Hörbüchern des Sinus-Verlags das sorgfältig gemachte Booklet.

Die Handlung schreitet im Wechsel von Dialogen und Bildbeschreibungen voran, bis am Ende der Held selber wie die Hauptfigur eines Freskos daliegt. Burghart Klaußner säuselt, wütet, schmeichelt, wiegelt auf, besänftigt. Er leiht jeder Figur Leben, den Szenen Prägnanz und Rhythmus, den vielen Kunstwerken, existierenden wie erfundenen, Präsenz. Nicht aus Fleisch und Blut, hieß es oft, seien Meyers Menschen, sondern "bloß" aus Marmor und Gips. Klaußners Kunst erledigt dieses Klischee. Im großen Drama seiner Lesung hat alles Tag und Licht, sinnliche Gegenwart bis zum letzten schwachen Schrei.

"Haben Sie auch Wasser?" Über diese Frage mag man nur mit Benjamin von Stuckrad-Barre nachdenken. Seit "Soloalbum" beschreibt er das Gesellschaftsleben der Gegenwart als einen Kampfplatz, auf dem man weniger die Gegner fürchten, vielmehr die vielen Fallen vermeiden muss, will man dem Absturz ins Peinliche entgehen. "Nüchtern am Weltnichtrauchertag" ist ein Nebenwerk, ein heiteres Seitenstück zu "Panikherz", dem autobiografischen Roman über Rausch, Sucht, Genesung. "Haben Sie auch Wasser?", fragt der Genesene die Kellner, während rings um ihn das abendliche Trinken vollzogen wird wie immer: ein wenig verklemmt, demonstrativ sozialverträglich, am Rausch meist nur nippend.

Benjamin von Stuckrad-Barre performt seinen Bericht sehr nüchtern, Fallhöhe wird erst einmal nicht angestrebt. Wehmütig fast klingt das Zählen der Zigaretten am Weltnichtrauchertag: von der ersten, der morgendlichen in "Notgemeinschaftsromantik" bis zur 21. Zigarette auf dem Balkon. Das trifft die Raucherexistenz genau: zwischen der Sehnsucht nach Rauchfreiheit und der Sehnsucht nach der nächsten Zigarette. Auch das eine Übung im Nicht-Dazugehören.

Jakob Heym hat ein Radio, nein, er lässt seine Freunde, die Mitgefangenen im Ghetto, glauben, dass er eines habe, damit sie den Lebenswillen behalten, damit sie ihm glauben, jetzt, da die Rote Armee nur noch einige Hundert Kilometer entfernt steht. Die Geschichte von Jakob, dem Lügner hatte Jurek Becker ursprünglich in einem Film erzählen wollen. Er schrieb ein Drehbuch für seinen Freund Frank Beyer, doch der fiel bei den DDR-Oberen in Ungnade. Daher verfasste Jurek Becker seinen ersten Roman, der dann später, 1974, erfolgreich verfilmt und für den Oscar nominiert wurde. Die Geschichte ging auf seinen Vater zurück. Nach dem Überfall auf Polen waren Jurek Becker und seine Eltern ins Ghetto Litzmannstadt deportiert worden.

Jurek Becker selbst hat Auszüge aus seinem Roman für eine Schallplatte vorgelesen. Die erste vollständige Lesung, man glaubt es kaum, ist diese mit August Diehl. Er erzählt die Geschichte von Jakob Heym, dessen Mitgefangenen, vom Ghetto, dem Radio und dem Tod ohne historische Patina, ohne Angebote an die Hörer, das Geschehen in irgendeiner Ferne zu entsorgen. Beherrscht, gewitzt spricht Diehl, kraftvoll durch Zurückhaltung, auch da, wo das Gesetz des Erzählens ausgesprochen wird: "Wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wie es sich für eine ordentliche Geschichte gehört. Ohne ein Schwätzchen ist alles so elend traurig."

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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