Hörbuch:Götterspuk

Belphégor im Ohr: Jens Wawrczek erweckt "Das Phantom des Louvre" zum Leben.

Von Jens Bisky

Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Juliette Gréco in "Belphégor ou le Fantôme du Louvre" zehn Millionen französische Fernsehzuschauer begeisterte, unter ihnen Charles de Gaulle. Ein Straßenfeger wurde die Serie auch in Deutschland, wo aus den vier Episoden dreizehn kürzere gemacht worden waren. Die Jagd nach Belphégor, das Ineinander von Gier, Liebe und Überraschungen begeisterte viele, nur der Erfinder des Phantoms blieb hierzulande im Schatten seines Geschöpfes. Erst 2013 erschien eine deutsche Übersetzung des Romans, in dem das Gespenst seinen ersten Auftritt hatte. Damals war es ein Zeitgenosse, ein Wesen der Zwanzigerjahre in Paris. Die Handlung des Romans beginnt im Mai 1925.

Als "Belphégor" 1927 erschien, war dessen Verfasser, Arthur Bernède (1871-1937), bereits 56 Jahre alt, hatte Theaterstücke, Drehbücher und Libretti verfasst, Zeitungsartikel geschrieben und sehr viele Romane. Die Geschichte des Phantoms wurde sein größter Erfolg, dass sie mehrfach verfilmt und weitergesponnen wurde, hätte Bernède gewiss gefreut. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte er gemeinsam mit Kollegen die "Société des Cinéromans" begründet.

Hörbuch: "Stehen bleiben oder ich schieße!"

"Stehen bleiben oder ich schieße!"

(Foto: Hans Hillmann/Avant-Verlag)

Wie es sich gehört, hat das Phantom des Louvre seinen ersten Auftritt als Gerücht, und der Wärter, der über den Spuk im Saal der barbarischen Götter plaudert, wird bald darauf tot aufgefunden. Der Frage, was geschehen ist, wer hinter Spuk und Verbrechen steckt, gehen neben anderen der Journalist Jacques Bellegarde sowie der König der Detektive nach, der - beinahe überflüssig, es zu erwähnen, eine ebenso kluge wie reizende Tochter hat.

Es ist ein Glücksfall, dass der Schauspieler Jens Wawrczek sich des Romans angenommen hat. Mit der Souveränität des erfahrenen Sprechers verleiht er den vielen Figuren, Museumswärtern, Polizisten, Damen, Verliebten, Gaunern, dem Detektiv wie dem Phantom akustische Individualität. Sie alle bekommen den ihnen angemessenen Auftritt. Und in der Schilderung von Auftritten liegt die Stärke des Romanciers Bernède, dessen Figuren typisiert, mit wenigen Strichen gezeichnet, mit einigen Attributen bezeichnet sind. Sie spielen klar umrissene Rollen im Louvre-Drama. Ob sie in der Tat sind, was zu sein sie vorgeben, oder eine Maske tragen, ist die Frage, die Journalist, Detektiv und Tochter klären müssen. Die Auflösung hat etwas Plattes, besticht aber durch charmante Einblicke in die erotische Anziehungskraft der Bösartigkeit. Auch mit Geschlechterrollen wird hier gespielt.

Die TV-Serie "Belphégor" war ein Straßenfeger, das Buch ist hierzulande kaum bekannt

Verkleidungen, Lügen, überraschende Nachrichten, ein Buckliger, ein Mann im Overall, all die dramaturgischen Kniffe zur Spannungserzeugung, sind uns wohl zu gut vertraut, um ihren Zweck noch zu erfüllen. Dass man sich dennoch nicht langweilt, hat mehrere Gründe. Der Roman beschwört eine Welt, die unserer ähnelt, aber technologisch antiquiert ist. Die Rohrpost bringt Briefe, Journalisten diktieren, Zeitungen werden gesetzt - und gelesen. So stellt sich beim Hören das Behagen ein, von Schrecken und Schaudern zu erfahren, die weit entfernt sind. Man fühlt sich den Figuren ein wenig überlegen. Was ihnen unheimlich war, ängstigt uns nicht mehr. Zugleich befriedigt die Geschichte das Grundbedürfnis nach Spiel, Wettbewerb, Duell. Es entscheiden das richtige Wort, die treffende Geste, Intuition oder Scharfsinn. Tun und Ergehen stehen in klarem Zusammenhang, was unserer alltäglichen Erfahrung widersprechen mag, aber moralisch und ästhetisch ungemein befriedigen kann.

Zu Beginn der Lesung singt Jens Wawrczek, wie einst Juliette Gréco das Chanson "Belphégor". Das wirkt auf den Hörer, als werde der Vorhang aufgezogen. Sofort ist man in der passenden Stimmung für diese vergnügliche Geschichte.

Arthur Bernède: Belphégor. Das Phantom des Louvre. Aus dem Französischen von Heribert Becker. Gelesen von Jens Wawrczek. Gekürzte Fassung. Edition Audoba, Hamburg 2015. 4 CDs, 330 Minuten, 15,95 Euro.

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