Historienfilm:Pocken sind wie Rosen

Historienfilm: Jean-Pierre Léaud ist eine merkwürdige Besetzung für Ludwig XIV - man sieht immer noch das verletzte, trotzig um Freiheit ringende Kind in ihm.

Jean-Pierre Léaud ist eine merkwürdige Besetzung für Ludwig XIV - man sieht immer noch das verletzte, trotzig um Freiheit ringende Kind in ihm.

(Foto: grandfilm)

Albert Serra inszeniert den "Tod von Ludwig XIV." - als absurdes Theater des Siechtums unter schweren Perücken.

Von Juliane Liebert

Man will ja nicht allzu oft jemandem beim Sterben zuschauen, außer vielleicht ab und an dem DHL-Boten, wenn er wieder nicht geklingelt hat, obwohl man definitiv zu Hause war. In "Der Tod von Ludwig XIV" bleibt einem keine Wahl. Man sieht den französischen Sonnenkönig, gespielt von der Nouvelle-Vague-Ikone Jean-Pierre Léaud, zwei Stunden lang beim Sterben zu, eingesperrt mit ihm in seinem Gemach. Man ist ganz nah dabei, wie er isst, wie er schläft, sich wälzt, auf den Tod wartet. Man sieht den Ärzten zu, die über seinen Zustand verhandeln. Ursprünglich hatte der Regisseur Albert Serra den Film als zweiwöchige Theateraufführung konzipiert. So kann man fast froh sein, dass das Leiden des Monarchen jetzt nach zwei Stunden zu Ende ist.

Jedes der vielen Rituale, die der Königshof verlangt, wird hier zu einer Tortur

Die Ruhe und Unerbittlichkeit, mit der hier der Tod heranrückt, erinnert daran, dass der Film eine gewalttätige Kunstgattung ist, die im dunklen Raum auf der hellen Leinwand mit manipulativer Montage und Kadrage ihre Traumwirklichkeit erzwingt. Serra verwendet für dieses Experiment den Kostümfilm - "verwendet", weil "Ludwig" nur dem Äußeren nach ein Kostümfilm ist. Während der Kostümfilm ja oft eher Stilmittel der Farce ist, das betreffende Jahrhundert einebnet und verflacht, lassen hier die unter dem Puder faltigen Gesichter, die Perücken, ihr Kontrast zu den Vorgängen des Sterbens das langsame Verfaulen des königlichen Körpers noch realer erscheinen.

Jedes der vielen Rituale, die so ein Königshof verlangt, wird zu einer Tortur, zum ins Schmerzhafte verlangsamten Spektakel in einer surrealen Szenerie. Die nummerierten Glasaugen des Königs, die sorgsam eingesetzt werden müssen. Das unerträgliche Schmatzen, mit dem er die Eier isst, die ihm zum Abendessen gereicht werden. Der Hofstaat, der jedes Mal applaudiert, wenn er aufgegessen hat.

All diese Abläufe waren schon damals eine Aufführung, im Film werden sie zur Aufführung einer Aufführung. Nur inzwischen digital ausgeleuchtet. Selbst, als der König, sich in den Nächten vor Schmerzen windend, den Diener nach Wasser ruft, wird die Etikette fortgeführt: Er schickt den Bediensteten noch einmal zurück, da dieser das Wasser im falschen Glas gebracht hat.

Jean-Pierre Léaud ist eine merkwürdige Besetzung für diese Rolle. Man sieht immer noch das verletzte, trotzig um Freiheit ringende Kind aus "Les quatre cents coups" in seinen Augen, oder den kindisch mutwilligen, selbstverliebten jungen Mann. Und kann nicht sagen, ob man ihm gerade deshalb jede Regung eines alten, schon zu Lebzeiten legendären Königs abnimmt - oder einfach nur irritiert ist.

Serra zwingt dem Zuschauer hier das Warten auf, die Regungslosigkeit, die Absurdität. Die Sätze, die während der Beratungen der Ärzte gesprochen werden, übersetzen das in die Sprache: "Pocken sind wie Rosen, die im Sommer blühen und glücklich sind. Im Winter sind sie traurig", sagt einer der Heiler. Erst die Krankheit macht den Menschen schön.

Als der wirkliche Ludwig starb, freuten sich die Menschen, es gab "kleine Zelte, wo das Volk trank, sang und lachte". Das wurde gemeinhin als Zeichen gedeutet, dass das Volk des Königs überdrüssig war; allerdings schreibt der Soziologe und Philosoph Roger Caillois in "Das Fest" über den Königstod an sich: "Konzentriert sich das Leben der Gesellschaft und der Natur in der sakralisierten Person eines Königs, dann wird die Stunde seines Todes zum kritischen Zeitpunkt und löst rituelle Freizügigkeit aus. Das Sakrileg gehört zur Sozialordnung. Es wird auf Kosten der Majestät, der Hierarchie und der Macht begangen. (...) Auf den Hawaii-Inseln werden von der Menge, die vom Tode des Herrschers erfährt, lauter Akte begangen, die normalerweise als verbrecherisch betrachtet Würden: Es wird gebrandschatzt, geplündert, getötet, und die Frauen sind gehalten, sich öffentlich der Prostitution hinzugeben."

Auch das spürt man in diesem Film, in seinen gedeckten Farben. Die Anspannung kurz vor einem Umbruch, die Ungeduld des fast unbeweglichen Hofstaates unter den Perücken. Ein paar Jahrzehnte später werden die Franzosen den Leichnam des Königs aus seinem Grab zerren und in den Schmutz werfen. "Ludwig" anschauen ist, als sähe man so lange auf ein Gemälde, bis es sich zu bewegen beginnt - bis die Abgebildeten zu sprechen beginnen, seufzen und reden und sich beraten. Doch wenn man kurz wegschaut und dann wieder hin, ist es, als wäre nichts geschehen. Oder doch?

La mort de Louis XIV, Frankreich 2016 - Regie: Albert Serra. Buch: Albert Serra, Thierry Lounas. Kamera: Jonathzan Ricquebourg, Julien Hogert, Artur Tort. Musik: Marc Verdaguer. Mit Jean-Pierre Léaud, Patrick D'Assumcao, Marc Susini, Irène Silvagni. Verleih: Grandfilm, 120 Minuten.

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