Historie:Leicht ist schwer

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Gegründet wurde das Gärtnerplatztheater von wohlhabenden Privatleuten als ein Unterhaltungsbetrieb, der bald pleite ging.

Von Egbert Tholl

Am 22. Juni 1863 berichtete das Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten an König Maximilian II., dass Großes im Gange war: Eine Vereinigung aus angesehenen Kaufleuten, wohlhabenden Bürgern, höheren Beamten sowie Künstlern und Literaten hatte sich zur Aufgabe gemacht, eine Pflegestätte der volkstümlichen Spielgattungen zu schaffen. Und zwar in genügendem Abstand zum königlichen Kulturboulevard Maximilianstraße, aber doch nicht zu weit weg vom Zentrum. Was sich heute abenteuerlich liest, damals aber keineswegs einem völligen Irrsinn entsprungen war: Der neue Theaterbetrieb sollte privatwirtschaftlich organisiert werden, 700 Bürger sollten Aktien zeichnen im Hinblick auf eine Dividende, die der Spielbetrieb ermöglichen sollte. Der König jedoch lehnte ab.

Die Geburt des Gärtnerplatztheaters vor 150 Jahren aus dem Selbstbewusstsein eines wirtschaftlich erfolgreichen Bürgertums heraus ist der Gründungsmythos des Hauses. Geschichten wie diese konnte man bereits vor zwei Jahren nachlesen, in dem opulent aufgemachten Buch "150 Jahre Gärtnerplatztheater - dem Volk zur Lust und zum Gedeihen", das eben zum Jubiläum des Hauses erschien, das zu dieser Zeit kaum ein Haus, sondern eine große Baustelle war. Stefan Frey, ein anerkannter Operettenspezialist, hat es herausgegeben, hat wunderbare Aufnahmen und diverse Textbeiträge dazu gesammelt. So kann man nun nachlesen, dass etwa das hehre Bürgerinteresse ambivalent war: Die Künstler hofften wohl wirklich auf das, worauf der Untertitel des Buches zielt: Das private Unternehmerkonsortium wollte einen neuen Stadtteil erschließen und mit dem Theater aufwerten - nicht anders als heutzutage kulturelle Zwischennutzung in Gebäuden, die noch auf einen Investor warten. Das Gärnterplatzviertel von damals sozusagen vergleichbar mit dem heutigen Werksviertel. Mit dem Unterschied natürlich, dass es am Gärtnerplatz nicht um eine kurzzeitige Zwischennutzung, sondern eine langfristige Investition ging.

Das neu gebaute Volkstheater am Gärtnerplatz 1865. (Foto: SZ Photo)

Dennoch lehnte dies Maximilian II. ab, wegen finanzieller Bedenken. Ein Jahr später war Ludwig II. im Amt, und der hatte gegen die Initiative nichts einzuwenden: "Meiner Hauptstadt darf der Besitz eines würdigen Volkstheaters nicht länger vorenthalten bleiben." Bis dahin gab es Max Schweigers Theater in der Isarvorstadt und das seines Onkels Johann in der Au. Bretterbuden, die gleichwohl der Gründung des neuen Theaters zunächst im Wege standen und per offizieller Konzessionskündigung von Stadt und Hof geschlossen wurden, verbunden mit Abfindungen und lebenslangen Renten für die Schweigers.

Am 25. August 1864, am Geburtstag des Königs, folgte die Grundsteinlegung, am 4. November des darauf folgenden Jahres die Eröffnung, am 9. Dezember 1868 war das Haus bankrott, am 21. Mai 1870 übernahm der König die Pachtrechte. Der Traum vom echten Bürgertheater währte also nicht lang, zumindest was die Geschäftsstruktur anbelangt. Die letzte Volte kam 1937, da kaufte die Bayerische Staatsregierung das Haus dem Wittelsbacher Ausgleichsfond ab und machte es zur "Staatsoperette", in der sich auch Adolf Hitler wohlfühlte.

Acht Mal besuchte Hitler die "Lustige Witwe" und war begeistert

Schaut man auf die Spielpläne der Anfangszeit, fällt auf, dass in den ersten Jahren tatsächlich das Volksschauspiel dominierte, mit 30, 40 Titeln pro Jahr, einer abenteuerlicher als der andere: "Wie denken Sie über Russland?" oder "Eine Vorlesung von der Hausmeisterin". Dann reduziert sich langsam die Anzahl der Produktionen, mit starker Dominanz der Operette. Nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich zeichnet sich immer mehr der Drang zur Oper ab, doch schon zuvor gab es hierin sensationelle Aufführungen wie 1928 ein Gastspiel der Wiener Produktion von Kreneks Jazz-Oper "Johnny spielt auf".

Der Intendant der Staatsoper hatte das Stück, das 1927 in Leipzig uraufgeführt wurde, abgelehnt, was Krenek mit "Rücksichtnahme auf lokalen Stumpfsinn" kommentierte. Hans Warnecke, Intendant des Gärtnerplatztheaters, bewies mehr Mut. Dieser führte zu Tumulten. Wie die Zeitungen damals berichteten, unterdrückte zwar die Polizei Ausschreitungen "nationalsozialistischer Gegner" im Theater selbst, doch wurden die Proteste auf den Platz davor verlegt. Die Premiere landete auf der Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten, deren Rezensent schrieb von "zynischen Frechheiten". Warnecke ging später pleite und beging 1933 Selbstmord. Zu dieser Zeit war das Gärtnerplatztheater längst "judenfrei" - vom 1. Mai 1932 an wurde es in seinem Personalstand bewusst unter dieser grässlichen Prämisse geführt - und Jahrzehnte später schaffte es "Johnny spielt auf" auf den Titel des Katalogs der Ausstellung "Entartete Musik".

Silvester 1938 spielte Johannes Heesters den Danilo in der "Lustigen Witwe" in einer Inszenierung des Intendanten Fritz Fischer. In Freys Buch ist ein Ausschnitt aus Fischers unveröffentlichten Erinnerungen wiedergegeben. Er, Fischer, hatte ein wenig Bammel, weil Heesters schließlich Holländer war und sich im völligen Rausch des eigenen Erfolgs befand. Nach der Aufführung ging er in der "Führerloge": "Hitler hat mich an beiden Schultern geschüttelt und zu Goebbels gesagt: ,Sehen Sie, Doktor, so muss man Operette machen.' Er ist noch sieben Mal ins Theater gekommen." Noch heute spricht man hausintern mit Humor und hohem Geschichtsbewusstsein von der "Führerloge".

1944 machte ein Bombentreffer das Haus unbespielbar. 1948 wurde es wiedereröffnet, im Mai 2012 wieder geschlossen, im Oktober 2017 wieder eröffnet. In dieser Zeit war es mal eine Art kleine Staatsoper, mal geliebter Mittelpunkt des Viertels, den man nicht unbedingt von innen sehen musste. Nun kehrt es zu seinen Anfängen von vor 150 Jahren zurück. Als eine Oper fürs Volk.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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