Hirst-Versteigerung in London:Der große Rock-'n'-Roll-Schwindel

Wie man Picasso übertrumpft: Damien Hirst gibt dem Kunstmarkt, was er will - und bricht damit Auktionsrekorde.

Andrian Kreye

Damien Hirst kam nicht zu seiner Auktion. Während sich die Bieter, Fans und Kunstmarktanalysten in den cremefarbenen Sälen von Sotheby's drängten, verbrachte der Rekordkünstler den Abend beim Billardspielen.

Er überließ das Feld seinem Manager Frank Dunphy, der letztlich dafür verantwortlich war, die Auktion als Befreiungsschlag zu inszenieren: indem er die Galeristen und Kunsthändler umging.

Umgerechnet 140 Millionen Euro spielten die auf zwei Tage verteilten drei Auktionen allein ein - das höchste Ergebnis eines Einzelkünstlers seit der Rekordauktion mit 88 Werken Picassos, die 1993 "nur" 14 Millionen Euro einbrachten.

Was Dunphy nicht kalkulieren konnte, war die dramatische Kulisse, vor der sich die Rekordauktion abspielte. Nur wenige Kilometer vom Auktionshaus an der Bond Street entfernt hatte man am Canary Wharf mitansehen können, wie frisch gefeuerte Bankangestellte ihre privaten Habseligkeiten in Pappkartons über die Straße trugen, sich weinend umarmten, in Schockstarre in die Kameras der Fernsehteams blickten. Im ersten Stock bei Sotheby's aber bewiesen sich die Superreichen, dass sie selbst gegen historische Weltwirtschaftskrisen immun sind.

Zwei Jahre lang hatten die Mitarbeiter in Hirsts Werkstätten an 223 neuen Werken gearbeitet. Zehn Säle füllte die Vorab-Ausstellung mit dem Titel "Beautiful Inside My Head Forever". Das wirkte in dieser Wucht und Fülle wie die Retrospektive eines Lebenswerkes. Genau das war der gewünschte Effekt. Denn Damien Hirst weiß sehr gut, wie er mit der triebhaften Kauflust seiner Kundschaft umzugehen hat. Ein ganzes Museum zum Leerkaufen ist der Wunschtraum jedes Milliardärs, der auch sonst immer bekommt, was er will. Und doch zwang Hirst hier das große Geld in die Knie.

Wahre Größe

Aufgeregt schlichen die Reichsten der Reichen am Morgen vor der Auktion durch die zehn Säle. Etwas unsicher bewegte sich das neue große Geld da auf dem Parkett der Hochkultur. Denn die Demographie derer, die achtstellige Summen für ein Kunstwerk bezahlen können, hat sich in den letzten Jahren gewaltig verändert. Da sind die Sprösslinge des alten Geldes, die jungen Herren mit den mediterranen Akzenten in Jeans und Seidenschal. Die kommen in Rudeln, feixen, nehmen sich in den Schwitzkasten und kichern über die eine oder andere Provokation des Künstlers.

Da sind die Gattinnen erfolgreicher Schwellenlandmagnaten in ihren bunten Hosenanzügen, streng dreinblickende Herren aus Asien, breitbeinig stapfende Herren aus Russland mit Jagdfieber im Blick. Linkisch plauderten sie mit den freundlichen Angestellten des Auktionshauses, umschwärmten den Starauktionator Tobias Meyer. Denn bei den Bietgefechten spielt der Auktionator die Rolle des Schiedsrichters. Wenn er den Hammer fallen lässt, ist das Los verkauft.

Damien Hirst versteht sich allerdings auch in den Details seiner Einzelwerke darauf, diese Kundschaft zu begeistern. In seinen Schlüsselwerken muss man ihm wahre Größe zugestehen. Das zentrale Stück der Auktion, "The Golden Calf", ist eine grandiose Skulptur von enormer Ausdruckskraft. Ein präparierter weißer Bulle, Hörner und Hufe in Gold, auf der Stirn ein goldener Spiegel, steht scheinbar schwerelos im schimmernden Blau des Formaldehyds zwischen den goldenen Kanten des Tanks.

Schwächen werden verziehen

Auch die konservierten Haifische in "The Kingdom" und "Theology, Philosophy, Medicine, Justice" haben nichts von der Kraft eingebüßt, mit welcher der ikonische Tigerhai in "The Physical Impossibility Of Death In The Mind Of Someone Living" Hirst 1992 seinen Platz in der Kunstgeschichte sicherte. Das funktioniert selbst dann, wenn Hirst das Kalauern anfängt: wenn er ein Ferkel mit Flügeln versieht und das Werk "Pigs Might Fly" nennt oder für "After the Flood" eine weiße Taube mit einem Zweig im Schnabel in einem Formaldehydtank schweben lässt.

Man verzeiht ihm auch Schwächen. Als Hirst im Frühjahr 2005 in der New Yorker Gagosian Gallery 30 Gemälde ausstellte, die mit monumentalem Fotorealismus um die Themen Drogensucht, Pathologie und Tierexperimente kreisten, war das ein Scheitern auf hohem Niveau - eine Sackgasse im Werk eines Künstlers, der seine Faszination mit Tod und Vergänglichkeit bisher immer mit dem Gestus eines Rockstars und nicht mit dem morbiden Blick des Nekrophilen umgesetzt hatte.

Der Vergleich mit dem Rockstar passt sicherlich auf keinen Künstler so gut wie auf Hirst. Keiner hat die Qualitäten der Rockmusik so verinnerlicht wie er. Sein gesamtes Werk besteht aus "Riffing", den immer gleichen Variationen einiger weniger Motive, die doch immer wieder zünden.

Selbst seine Bilder mit den immer wiederkehrenden geometrischen Anordnungen von Farbkreisen haben nichts an Frische eingebüßt. So war die Party bei Sotheby's am Freitag auch vom Glamour der echten Rockstars bestimmt. Bryan Ferry war da, Bono, die Talking Heads, und Amy Winehouses Produzent Mark Ronson legte Platten auf. Es war, als ob das ewige Spannungsfeld zwischen Rockszene und Kunstschulen der Stadt in der Erwartung eines fulminanten Triumphes über die Welt der Hochkultur kulminierte.

Pure Verachtung

Doch wenn Hirst in vielen seiner neuen Werke ganz offensichtlich einen Kunstmarkt bedient, der sich von Ornamentik und Status blenden lässt, zeigt er sich von einer zynischen Seite, die sich selbst Andy Warhol nicht zugestanden hätte. Da sind zum einen die Schmetterlingsbilder. Lustlos sind ein paar präparierte Schmetterlinge auf gelackte Leinwände aufgebracht. Da kann man dann zwar schon für 150.000 Euro in die Auktion einsteigen, doch die schlampige Massenfertigung ist nicht zu übersehen. Auch die Mosaiken, in denen bunte Schmetterlingsflügel wie Glassteine eines Kirchenfensters monumentale Ornamente bilden, sind nicht mehr als Fleißarbeiten seiner rund 100 Assistenten.

Pure Verachtung für seine Käufer aber zeigt Hirst mit seinen "Spin Paintings", Leinwänden, die auf Drehscheiben zum Rotieren gebracht werden, wodurch sich die in die Mitte gekleckste Farbe in explosionsartigen Farbmustern nach außen verteilt. Das ist die Sorte Kunsthandwerk, die gescheiterte Hippiekünstler an Urlaubsstränden verkaufen.

Stierherzen, von Dolchen durchstoßen, mit Flügeln versehen

Wie wenig Mühe sich Hirst mit solcher Konfektionsware gibt, illustrieren die Titel der Bilder. "Beautiful Minty Fresh Painting" heißt da ein Bild. Da hat der Künstler nicht mehr als einen kurzen Blick auf das Muster in grellen Neonblaus und -grüns verschwendet. Und selbst seine Formaldehyd-Skulpturen dient er dem Publikumsgeschmack an. Seine Stierherzen, von Dolchen durchstoßen, mit Flügeln versehen oder Stacheldraht umwickelt, sind nicht mehr als jene plumpe Rock-'n'-Roll-Ikonographie, mit der die T-Shirt-Firma Ed Hardy derzeit bei Teenies und Harleyfahrern Erfolge feiert.

Doch der große Rock-'n'-Roll-Schwindel gelingt. Nur der umgekehrte fünfzackige Stern voll aufgeklebter toter Fliegen und die beiden Tanks mit den vier Haien finden keine Käufer. Fast 13 Millionen Euro bringt "The Golden Calf", die großen Schmetterlingsbilder bringen um eine Million. Große Spin Paintings gehen zwischen 350.000 und knapp 900.000 Euro weg. Fast alle Werke übersteigen die geschätzten Endpreise.

Als das Gesamtergebnis verlesen wird, gibt es Applaus. Doch nicht der Rock 'n' Roll hat triumphiert. Es ist der trotzige Applaus einer hermetischen Welt, die der Realität der Zeitläufte in den Räumen von Sotheby's eine klare Absage erteilt hat.

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