Hiphop-Star Jay-Z:"Geh' schlafen, Baby!"

Das gibt es wirklich: Ein Hiphop-Mogul dankt ebenso freiwillig wie vorzeitig ab, macht sein musikalisches Testament und setzt noch eine Autobiografie ab. Jay-Z meint es also wirklich ernst.

MARC FISCHER

New York, Halloween: Draußen auf der Straße stolpern dir betrunkene Werwölfe, Superhelden und Krankenschwestern über die Füße, aber unter den Journalisten, die hinter der Tür des "Baseline"-Studios in der 127 West 26th Street sitzen, herrscht eine Andacht, als würde gerade ein König gekrönt. Er ist ja auch eine Art König, ein Hiphop-König: Shawn Carter alias Jay-Z alias Jay Hova alias Jiggaman - 15 Millionen verkaufte CDs, dazu Besitzer des Firmenimperiums "Roc-A-Fella", das Filme, Musik, Designer-Klamotten und eine Wodkamarke vertreibt. Er hat seiner Mutter ein Haus gekauft, in dem sie sich verlaufen kann, er hat Angestellte, die ihm Chipstüten hinterhertragen, einen Club, in den sie dich mit Turnschuhen nicht reinlassen, und auf dem Studio-Parkplatz steht sein hellblau-dunkelblau lackierter 500 000-Dollar-Maybach mit laufendem Motor, damit der Chauffeur beim Fernsehen warme Füße hat.

Hiphop-Star Jay-Z: Herr mit Hut tut selten gut. Ihr schon: Sängerin Beyoncé Knowles tanzt nicht nur professionell zusammen mit Jay-Z, sondern auch privat. Aber, psssst!, darauf darf man ihn auf gar keinen Fall ansprechen.

Herr mit Hut tut selten gut. Ihr schon: Sängerin Beyoncé Knowles tanzt nicht nur professionell zusammen mit Jay-Z, sondern auch privat. Aber, psssst!, darauf darf man ihn auf gar keinen Fall ansprechen.

(Foto: Foto: AP)

Aber um all diesen Rapperquatsch mit den dicken Dollarbündeln und den fetten Autos geht es heute gar nicht. Heute geht es darum, wie es klingt, wenn ein König seine Krone absetzt. Es geht darum, wie es sich anhört, wenn jemand auf dem Gipfel seines Erfolgs einfach aufhört. Denn Jay-Z, 33, macht Schluss mit dem Hiphop - natürlich nicht, ohne noch einen letzten Schlag zu landen, den Doppelschlag in schwarz: "The Black Album", sein Testament in Sachen Rap. Sollte eigentlich am 28. November erscheinen, dem "Black Friday"-Nationalfeiertag der Schwarzen, wurde aber vorverlegt, weil wieder irgendwelche Irren die Masterkopie ins Netz gestellt haben. Ein paar Wochen später dann, um die Sache rund zu machen: "The Black Book", seine Autobiografie, ein Ghetto-Entwicklungsroman.

Schwarz, das ist hier das Leitmotiv: In Jays Büro im achten Stock ist alles schwarz, die Möbel, der Fußboden, das Klo, selbst der Belag des Billardtischs im Konferenzraum ist schwarz, nicht grün, und überall in den Gängen stehen große, schwere Jungs, ebenfalls schwarz, und sie spielen, kein Witz, Blackjack.

Jay selbst, eher schmal in seiner braunbeigen Roc-A-Wear-College-Jacke, ist der Mann, der auf den Knopf drückt, um den Journalisten seinen Abschied zu präsentieren, und das, was aus den Boxen kommt, ist gewaltig: Zwölf Stücke, produziert von neun verschiedenen Produzenten - fast jeder, der Rang und Namen hat, ist dabei: Eminem, Timbaland, The Neptunes, Rick Rubin . . . Und jedes Stück klingt, als wäre es ein ganzes Album. Das Lustige, die Überraschung: "The Black Album" klingt so gar nicht nach Abschied, und wenn es wirklich ein Testament sein soll, dann ist es sehr lebendig geworden - ein Epos, eine Enzyklopädie des Hiphop. Die Themen sind die guten alten: "Ich hab' 99 Probleme, aber die Schlampe ist keins davon", rappt Jay Z in einem Lied zu Gitarrenriffs und den Beats von Rick Rubin, und die einzige weibliche Journalistin im Raum notiert ergriffen auf ihrem Zettel: "Schöne Old-School-Nummer, geht gut ab, sehr tanzbar."

Alle lieben ihn, alle: Die Schwarzen, weil er trotz seiner Dealer-Vergangenheit nicht der typisch dumpfe Gangster-Rapper ist, der seine Verbrecherkarierre glorifiziert, er aber trotzdem das Repertoire des Hiphop beherrscht - und die Sache mit den Mädchen, den Villen und den Juwelen. Die Weißen lieben Jay-Z, weil er schlau und wendig ist und seine Musik Swing und Melodie hat. Außerdem ist er ein Glückskind: Vor Jahren hat ein Freund nach einem Streit aus nächster Nähe drei Kugeln auf ihn abgefeuert, alle drei verfehlten ihr Ziel. "Seitdem fühle ich mich wie Samuel Jackson und John Travolta in ,Pulp Fiction'. Du weißt, wo dieser Typ mit der Knarre aus der Wand springt und . . ."

Wissen wir, Dicker. Wie ein Heiliger eben.

Dann steht er vor dir, der Heilige, und das erste, was du ihn fragst, ist natürlich: "Warum denn, um Gottes Willen?" Und er sagt: "Wegen der Kuschelecke."

"Wegen was, bitte?"

"Wegen der Kuschelecke: Seit zehn Jahren rappe ich jetzt, so gut wie kein anderer, auf diesem Gebiet gelingt mir alles, es ist meine Polsterwiese. Wer sich dort aber zu lang aufhält, wird blöd im Kopf, und darum muss ich da raus."

"Wo ist es denn weniger kuschelig?"

"In Hollywood. Hollywood ist das Ziel allen Strebens in der amerikanischen Gesellschaft, es ist unser Mekka, jeder will nach Hollywood. Der kleine Jay-Z will mit den Großen spielen, den Big Boys, und sehen, was dabei herauskommt."

"Will der kleine Jay Schauspieler werden, will er Drehbücher schreiben, will er Regie führen, will er produzieren?"

"Um ehrlich zu sein: Ich will all diesen Quatsch ausprobieren. Nur eins will ich nicht: Mich selber spielen, das hab' ich schon genug getan. Ich will mich neu erfinden, in ROLLEN, wenn du weißt, was ich meine. Ich will . . ."

Das Telefon klingelt, eine Frauenstimme. "Dauert noch, Baby", sagt er sanft. "Geh' doch schon schlafen, ich komme nach."

"Beyoncé?", fragst du dann etwas schüchtern, weil dir alle Leute, die Süße aus der Promo-Abteilung und die schweren Bodyguards sowieso, gesagt haben, dass du alles fragen kannst, was du willst, nach dem Ruhm, dem Geld, dem Lieblingswodka, nur eben auf diese Sache mit der Sängerin Beyoncé Knowles solltest du den König UM GOTTES WILLEN nicht ansprechen, denn die Strandfotos, die irgendein Magazin von dem gemeinsamen Urlaub der beiden an der Cote d'Azur gemacht hat, sind noch nicht verdaut, und ebenfalls nicht verdaut ist, dass, sollten sie wirklich heiraten, wie es angeblich geplant ist, der Hiphop sein erstes echtes Royal Wedding zu feiern hätte, nachdem aus Jennifer Lopez und P. Diddy nichts wurde. Und davor haben alle Angst: die Familien, die Agenten, die Plattenfirmen - weil es dann so eine Art Beckham & Posh in Schwarz gäbe und keine Geschäftsstrategien mehr, keinen Masterplan, sondern nur noch Klatsch in Supermarktblättern und weltweite Trauermärsche der Teenager darüber, dass Beyoncé nicht mehr zu haben ist.

"Äh - was bitte?"

"Beyoncé - ist sie auch eine Kuschelecke?"

"Lass uns Billard spielen", sagt Jay-Z, sagt Jay Hova, sagt der Jiggaman. Er geht an den Tisch, den schwarzen, er legt die Kugeln aus und fängt an, und schon nach ein paar Minuten ist es vorbei, und die schwarze Acht ist versenkt. "Man muss gar nicht so gut sein beim Billard", sagt er und lächelt, "es geht nur darum, den Gegner nicht zum Schuss kommen zu lassen."

Irgendwie scheint das für sein ganzes Leben zu gelten. Und selbst dann, wenn die anderen mal zum Schuss kommen, treffen sie ja eh nicht.

"Warum ist hier alles schwarz, Jay Z?"

"Schwarz ist ein Mythos, ein mächtiger Mantel, den man sich umlegen kann."

Schön gesagt, und vielleicht ist es ja wirklich so, vielleicht war es nie anders: Der Hiphop als schützender Ledermantel, der aus dem Drogendealer den Firmenchef gemacht hat - und jetzt, da der kleine Jay Z rausgewachsen ist aus dem Mantel, schaun wir mal, was die Verkleidungs- und Gesichtsverleiherindustrie Hollywoods noch so zu bieten hat. Insofern wäre Jay Z, mehr noch als P. Diddy, der erste Hiphopper, für den Wachstum nicht einfach eine weitere Anhäufung von Statussymbolen bedeutet - noch mehr Brüste, Villen und Sportswearkollektionen -, sondern den logischen Aufstieg zum Wirtschaftsmogul. Der erste wahre Rap-Geschäftsmann also, oder sagen wir ruhig: ein Donald Trump, ein Rock-e-feller.

Draußen jedenfalls, inmitten des Halloween-Wahns von New York, steht immer noch der Maybach. Der Motor läuft seit vier Stunden, der Chauffeur ist hinter den Vorhängen eingeschlafen, auf dem Nummernschild steht: POWER.

Wohl die einzige Kuschelecke, die Jay- Z in nächster Zukunft nicht verlassen wird.

Der Autor ist Journalist und Schriftsteller. Zuletzt erschien der Roman "Jäger" bei Kiepenheuer & Witsch.

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