Hintergrund:Ist die Achse des Bösen jetzt Geschichte?

Hintergrund: Schlüsselfigur für das Verständnis der iranischen Verfassung: Ayatollah Montazeri (1922-2009), einst als Führer vorgesehen, dann in Ungnade gefallen.

Schlüsselfigur für das Verständnis der iranischen Verfassung: Ayatollah Montazeri (1922-2009), einst als Führer vorgesehen, dann in Ungnade gefallen.

(Foto: Vahid Salemi/AP)

In Iran geht der lange Kampf zwischen islamischem Klerus und Moderne jetzt in die nächste Runde.

Von Elisabeth Kiderlen

Am 16. Januar trat das Atomabkommen mit Iran in Kraft, und die internationalen Sanktionen wurden aufgehoben. Seitdem bestimmen nicht mehr ideologische, sondern juristische und wirtschaftliche Vokabeln den Verkehr zwischen der Islamischen Republik Iran und dem Westen. Gegenseitige Ächtungsformeln wie "Achse des Bösen" (Iran) und "Großer Satan" (USA) sind passé. Das Land ist wieder an die Konferenztische der Weltpolitik und die Bankschalter des globalen Geldverkehrs zurückgekehrt. Im Westen verblassen die Ängste und bedrohlichen Vorstellungen vom Land des schwarzen Tschadors. Und jetzt wurden auch noch bei den jüngsten Parlamentswahlen die Reformkräfte gestärkt.

Die hochdramatische, von endzeitlichen Visionen geleitete Geschichte der jüngsten der großen Revolutionen unserer Zeit gerät damit in den Hintergrund. Iran, vor Kurzem noch dem antiimperialistischen Kampf verpflichtet, drosselt die Affekttemperatur. Die Parole "Tod den USA" scheint zunächst einmal ausgedient zu haben. Zeit also für einen Rückblick.

Ein solcher Rückblick lässt sich als Geschichte der Mächtigen schreiben oder aus der Perspektive der Verlierer. Er lässt sich aber auch als zäher, mehr als hundertjähriger Kampf der Geistlichkeit gegen die "Gottlosigkeit" der materialistischen westlichen Moderne erzählen: als Krieg zur Verteidigung des Heiligen, des "Eigenen" und damit auch der zentralen Rolle der Kleriker in der iranischen Gesellschaft.

Seit der ersten Begegnung Irans mit der westlichen Moderne im 19. Jahrhundert stellte sich dem Klerus die bange Frage: Wie kann sich die Religion gegenüber der Moderne und Aufklärung behaupten? Auch bei den gebildeten Schichten wurde gefragt, wie sich die eigene Kultur und Lebensart vor der Verwestlichung, die bald als Krankheit bezeichnet wurde, schützen ließen; die einschlägige provokante Wortschöpfung "gharbzadeghi" bedeutet so viel wie "Westbefall".

Das Eigene der Kultur, das waren vornehmlich die atemberaubend schönen Moscheen, die Werke der alten und der zeitgenössischen Dichter, für die sich die Liebe zu Gott und die Liebe zu einem Menschen oft nicht trennen ließen ("Auf den Schwingen der irdischen Liebe sich aufschwingen zur göttlichen Liebe"), und die exquisite Kunst der Kalligrafie, mit der die Suren des Korans wie die Verse der Lyrik zu schmückenden Zeichen des Göttlichen wurden. Und natürlich die generelle Lebenseinstellung, die von der religiösen Tradition durchdrungen war. In der Frontstellung gegen die westliche Moderne kam es zeitweilig sogar zu einer Art Bündnis von Klerikern und Intellektuellen. Für weite Teile der Bevölkerung, für die ärmeren Schichten sowieso, bot der Islam ein stabiles und vertrautes Bollwerk. Der Schah hingegen galt als gekaufter Lakai der imperialen Mächte und als Verräter am "Eigenen".

In den Sechzigerjahren politisierten sich nicht nur die iranischen Studenten, von denen viele in Europa studiert hatten, sondern auch die traditionell quietistischen Kleriker. Großayatollah Chomeini dachte laut über die Aufhebung der Trennung von Religion und Politik nach, indem er auf die Zeit Mohammeds verwies: "Waren Religion und Politik etwa getrennt in der Zeit des Propheten? Gab es zu einer Seite eine Gruppe von Klerikern und auf der anderen eine Gruppe Politiker?" Die Abschriften seiner Vorlesungen machten in den Moscheen und Medressen die Runde.

"Erhabener Prophet Mohammed, du hast gesagt, ein Volk kann nicht ohne Gerechtigkeit sein." Mit dieser Zeile eines während der großen Anti-Schah-Demonstrationen sehr populären Liedes waren Religion und Revolution einen Moment lang eins geworden. Nach den euphorischen Hoffnungen, die Millionen auf die Straße holten und der Revolution zum Durchbruch verhalfen - und die auch manche im Westen begeisterten -, sollte nun eine islamische Verfassung die Revolution institutionalisieren.

Und hier kommt Großayatollah Montazeri ins Spiel, Aktivist der ersten Stunde und enger Freund von Revolutionsführer Chomeini, der ihm den Ehrennamen "Hohe Säule des Islam" verlieh. Über Montazeri ist gerade eine wissenschaftliche Biografie erschienen (Ulrich von Schwerin: "The Dissident Mullah. Ayatollah Montazeri and the struggle for reform in revolutionary Iran", Verlag I.B. Tsuris). Montazeris große Sorge war es, dass Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit sich einmal wieder durchsetzen könnten und das Heilige und der Glauben schutzlos blieben. Die neue Verfassung müsse also wetterfest sein, gefeit gegen alle Eventualitäten und zerstörerische Neuerungen und das für alle Zeiten. Montazeri setzte die bis heute geltende Doktrin des "velayat-e faqih" durch, das heißt die Herrschaft des Obersten Geistlichen Führers als unbeschränkte letzte Instanz bei allen politischen Entscheidungen. Nur eine Person konnte dieses Amt übernehmen: Revolutionsführer Chomeini.

Im Gegensatz zu Montazeri sah die große Mehrheit der Kleriker in der Institution des "velayat-e faqih" durchaus die Gefahr einer unkontrollierbar werdenden Autokratie und lehnte die "Verschmutzung" der Religion durch Vermischung mit der Politik und den prosaischen Geschäften des Alltags ab. Aber auch Montazeri sollten bald Zweifel befallen. Zwar war er kurz nach der Revolution zum designierten Nachfolger des hochbetagten Obersten Geistlichenn Führers Chomeini gewählt worden, doch die Hinrichtung von geschätzt 8000 (die genauen Zahlen sind nicht zu ermitteln) zumeist jugendlichen Gegnern in den Gefängnissen des Regimes im ersten Jahrzehnt seines Bestehens veranlasste ihn schon bald zu öffentlichem Protest und zu einer fundamentalen Selbstbefragung, die ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr losließ. 1989, kurz vor Chomenis Tod, wurde er als designierter Nachfolger abgesetzt, und statt seiner einigten sich die regierenden Geistlichen auf Ayatollah Chamenei als Obersten Geistlichen Führer. Und das ist er bis heute.

Mit der nun doppelt und dreifach gesicherten Islamischen Verfassung hat Montazeri seinen späteren Gegnern den Weg zur absoluten Herrschaft geebnet. Eine Ablösung der auf Lebenszeit angelegten Herrschaft des Geistlichen Führers kann sich per definitionem nur außerhalb der Verfassung durchsetzen (einzige Ausnahme: Der Expertenrat kann einen Führer wegen Krankheit oder Unzurechenbarkeit absetzen). Außerhalb der Verfassung aber heißt: durch eine Revolution. Eine zweite iranische Revolution aber wird kaum jemand wollen, der die erste mit all ihrer Gewalttätigkeit durchgemacht hat.

Ayatollah Montazeri wurde dann kaltgestellt, sein Haus angegriffen, dessen Eingänge wurden bis auf einen zugemauert. Er verbrachte viele Jahre seines Lebens unter Hausarrest, bis er 2009 starb. Aber im permanenten Kampf der Religiösen um Einfluss und um kulturelle Hegemonie verschwinden Ideen nie auf Dauer. Am 16. Oktober 2015 forderten zweihundert Geistliche mit einem offenen Brief, dass Montazeris Büro wieder eröffnet und seine nicht mehr zugänglichen Bücher zur Publikationen freigegeben werden, damit die Leserschaft daraus "Nutzen ziehen kann". Und Ayatollah Montazeris Sohn Ahmad hat Anfang Januar in Ghom eine öffentliche Tagung zum Thema "Menschenwürde und Menschenrechte aus Sicht von Ayatollah Montazeri" veranstaltet, an der mehrere bekannte Geistliche und Intellektuelle teilnahmen. "Dabei wurde sein Einsatz für die Meinungs- und Glaubensfreiheit und die Rechte Andersdenkender und religiöser Minderheiten sowie für die Verteidigung der Vorstellung der natürlichen Würde des Menschen gewürdigt", schreibt Ulrich von Schwerin.

Es ist ein spannendes Dreieck: persische Kultur, Religion und Öffnung zum Westen

Die Spannungen zwischen Religion und westlicher Moderne nehmen in der Islamischen Republik nicht ab. Im Gegenteil, sie wurden auch in den Klerus selbst hineinverlagert. Der Streit konzentriert sich auf die Frage, wie sie der gescheiterte Reformerpräsident Chatami (1997-2005) stellte: Welche Gepäckstücke wollen wir auf unserem Weg in die Moderne am Straßenrand liegen lassen, und welche sollten wir mitnehmen, damit unsere Seele keinen Schaden nimmt?

Chatami, auch er ein Geistlicher, konnte mit dieser Frage eine lebhafte Diskussion in Gang setzen, praktische Antworten indes nicht geben, denn der Widerstand gegen sein Reformpläne war seinerzeit zu groß. Nach Ende seiner Amtszeit kam dann zunächst die Gegenreaktion: der religiös-fundamentalistische Teheraner Bürgermeister Mahmud Ahmadinedschad gewann die Wahlen und erzwang ein Verstummen der Öffentlichkeit. Nach ihm kam dann wiederum der moderat konservative Geistliche Hassan Rohani, der als Präsident die Atomverhandlungen mit dem Westen zum Erfolg führte und eine Öffnung des Landes propagiert. Daran knüpfen sich auch jetzt die Hoffnungen, dass sich die neu gewählten Reformkräfte im iranischen Parlament gegen die konservativen Hardliner besser behaupten.

"In Iran haben wir die persische Kultur, die Religion des Islam und eine unaufhörliche Auseinandersetzung mit der Moderne", sagt der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush. In ebendiesem Spannungsdreieck geht jetzt der Kampf in die nächste Runde.

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