Hertzkammer:Der Archäologe

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Tom Wieland sucht an entlegenen Stellen nach spannenden Grooves

Von Kaline Thyroff

Das Netz ist mittlerweile der größte Plattenladen der Welt. Ein Kosmos, in dem es nahezu jeden Song der Musikgeschichte zu hören gibt, aber auch einer, in dem vor allem das wahrgenommen wird, was Algorithmen und Hypes an die Oberfläche spülen. Wer etwas anderes entdecken will, braucht Glück, Ausdauer, ein gutes Näschen oder so jemanden wie Tom Wieland.

Der Wahl-Wiener mit Augsburger Wurzeln nennt sich selbst einen Musik-Archäologen, und seine Ausgrabungen beginnen oft ganz analog. Als Wieland Mitte der Neunziger im Rahmen des Studiums in Moskau zu Gast war, hat er in einem Plattenladen erstmals osteuropäischen Jazz aus den Sechzigern und Siebzigern gehört. Kiloweise Platten hat er gekauft, so dass er sie für den Heimtransport auf die Koffer der Kommilitonen verteilen musste.

Was in Moskau angefangen hat, wurde nach ausführlicher Recherche und langen Streifzügen über ungarische Flohmärkte und durch weitere Plattenläden eine Compilation. "Anthology - Rare Jazz Jams from Hungarian Vaults" ist eine erstaunliche Sammlung warmer Jazz-Fusion-Grooves, die es zur Zeit ihrer Entstehung nie in den Westen geschafft haben. Der Musikarchäologe Wieland hat sie wieder verfügbar gemacht und später unter anderem mit einer Zusammenstellung seltener experimenteller Funkstücke aus Kuba ("Revolucion - Original Cuban Funk Grooves 1967-1978") und einem Best-Of unbekannter Underground-Disco-Perlen aus den Achtzigern ("Elaste Vol. 2 - Space Disco") nachgelegt.

Dass Tom Wieland seit gut 20 Jahren nicht müde wird, sich durch die Nischen der Musikgeschichte zu wühlen, liegt nicht nur daran, dass er sie vor dem Vergessen bewahren will. Mit seinen Projekten 7 Samurai, Panoptikum und Les Gammas war und ist er immer auch auf der Suche nach Samples für seine eigenen Tracks. Techno, Jazz, Dub, Soul, Afro - es gibt kaum ein Genre, das Wieland noch nicht bearbeitet hat. Während seiner Touren und DJ-Gigs, die ihn durch die ganze Welt geführt haben, hat er nicht nur seine eigene Plattensammlung vergrößert, sondern auch ein weites Netzwerk zu anderen Sammlern, DJs, Veranstaltern und Radiomachern geknüpft, die ihn wiederum auf neue Sounds und Ideen gebracht haben. Musik ist unendlich, und auch jenseits des Netzes gibt es immer noch viel zu entdecken. Gut, dass es Musik-Archäologen gibt, die diese Schätze kontinuierlich ausgraben, abstauben und andere so selbst zu Entdeckern werden lassen.

Tom Wieland , Fr., 19. Juni, 23 Uhr, Milla,Holzstr. 28

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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