Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelleben mit Uniform

Bischof, Geisha, General: Es ist ihre Berufskleidung, die ihnen eine Identität verleiht. Die Fotokünstlerin Herlinde Koelbl zeigt in einer Sammlung von Doppelporträts in Dresden, wie Uniformen Menschen verwandeln.

Burkhard Müller

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Blick in die Ausstellung "Kleider machen Leute" von Herlinde Koelbl

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Quelle: David Brandt

Bischof, Geisha, General: Es ist ihre Berufskleidung, die diesen Menschen eine Identität verleiht. Die Fotokünstlerin Herlinde Koelbl zeigt in einer Ausstellung in Dresden in einer Sammlung von Doppelporträts, wie die Körper der Abgebildeten durch Uniformen zu Staturen werden.

Kann man eine Gesellschaft, dieses so abstrakte wie reale Ganze, das unser aller Leben bestimmt, ins Bild fassen? Gibt es so etwas wie eine fotografische Soziologie? In den zwanziger Jahren hat August Sander sein Riesenwerk produziert: ein Porträt Deutschlands in Fotos der Berufstätigen. Sieht man es heute an, staunt man über die völlige Einheit des Menschen mit seiner Arbeit auch dann, wenn er ruht, über das ständisch Einleuchtende dieser Bildnisse.

Alle diese Grobschmiede, Schauerleute und Bauernknechte sind es durch und durch, mit Leib und Seele; man möchte sagen, ihre Arbeitsseele leuchtet aus dem Leib. Ja sogar der Industrielle beglaubigt sich, indem er die Hände in den Schoß legt, ganz unbildlich, oder vielmehr ganz bildlich, denn man sieht es. Und selbst die Revolutionäre, die all dieses Klassen- und Zunftwesen in die Luft sprengen wollen, bilden eine physiognomisch so unverwechselbare Zunft, dass man darüber lachen muss.

Text: Burkhard Müller/SZ vom 08.05.2012/mahu

Alle Bilder zur Verfügung gestellt vom Deutschen Hygiene-Museum, Dresden

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Sebastian Völz, Koch

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Quelle: SZ

Das Projekt der Fotokünstlerin Herlinde Koelbl, das im Dresdner Hygienemuseum zu sehen ist, nimmt der seit August Sander verstrichenen Zeit das Maß. "Kleider machen Leute" hat sie es genannt, ungefähr sechzig Porträts, teilweise in Lebensgröße. Der Titel zitiert alte ständische Erfahrung. Aber dass man an dieser Erfahrung heute irre werden muss, weiß Koelbl nur zu gut.

Aufschlussreich sind die Veränderungen, die sie gegenüber dem Konzept von Sander für nötig hielt. Sie hat sich, erstens, für die Form des Doppelporträts entschieden: Jede Person ist zweimal festgehalten, einmal in ihrer beruflichen Kleidung, ihrer "Uniform" im weiteren Sinn; und gleich daneben so, wie sie sich in ihrer Freizeit anzieht. Damit ist vorausgesetzt, dass jeder Mensch zwei Gesichter habe, ein professionelles und ein privates.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Batnesan Bal, First Lieutenant

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Quelle: SZ

Einem Teil der Porträtierten scheint es diebisches Vergnügen zu bereiten, dass niemand von ihrer Freizeitkluft auf ihre Arbeit schließen könnte. Das wäre einem Sander'schen Handlanger nicht passiert, den hätte man auch im Schwimmbad erkannt. Bedeutet das (wie der Katalog will) die Freiheit, sich seine Identität selbst wählen zu dürfen? Oder sollte man lieber von einer Spaltung der Persönlichkeit sprechen, einer zur Norm gewordenen Schizophrenie?

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Blick in die Ausstellung "Kleider machen Leute" von Herlinde Koelbl

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Quelle: David Brandt

Zweitens hat die Fotografin ihre Modelle systematisch von der zugehörigen Arbeitswelt getrennt; völlig unverankert stehen sie vor einem Hintergrund aus dunklem Grau und führen an Gerätschaften nur das bei sich, was unmittelbar zur Ausrüstung gehört. So erscheinen sie frei und rein als Menschen; aber in diesem Nur-Menschlichen doch auch verletzlich und etwas verloren, mit keinem Halt als ihrem Outfit.

Und zum dritten führt Koelbl nicht den breiten Durchschnitt der gesellschaftlichen Arbeit vor, sondern vorwiegend randständige und altertümliche Professionen bis hin zum Skurrilen, solche eben, die über eine typische Berufskleidung verfügen.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Pia Behnisch, Kaminkehrerin

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Quelle: SZ

Kein Zweifel, Herlinde Koelbl ist eine ausgezeichnete Fotografin. Jedes Bild bezeugt die hohe Achtung, die sie für ihr Gegenüber hegt, und das Vertrauen, das sie dafür gefunden hat. Koelbl besitzt Takt im Sinn von Walter Benjamin: als die Bereitschaft, auch dem Lakaien als einem Adam in Livree entgegenzutreten. Kein Einziger der Porträtierten verfällt der Lächerlichkeit, gewiss eine hohe Kunst. Und jeder von ihnen ist mit einer kurzen Erklärung vertreten, die er über sein Verhältnis zur Uniform abgibt.

Da erweist sich denn, dass alle sie lieben, dass sie sich in ihr kompetent, konzentriert und verantwortlich fühlen, sich straffen und zu wachsen glauben, an Körpergröße und auch an Attraktivität für das andere Geschlecht. Deutlicher fühlen sie sich in ihrem Wesen ausgedrückt, als wenn sie als bloße Individuen aufträten. Zu den bemerkenswerten Wirkungen der Uniform gehört es, dass sie Figurprobleme in Luft auflöst, nicht etwa indem sie die überschüssigen Pfunde kaschiert, sondern weil sie der Fülle Erfüllung leiht.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Kanae Asakusa, Geisha

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Quelle: SZ

Es finden sich da ein Schweizergardist, ein orthodoxer Priester und ein Sargträger; Doorman, Pagin und Butler aus dem Adlon in Berlin; ein Corpsstudent in voller Montur und ein Clown; aus Japan Geisha, Mönch und Sumo-Ringer; Jockey, Matrose, ein Förster und ein Bergmann, doch diese beiden nicht so, wie sie tatsächlich zur Arbeit gehen, sondern in folkloristisch ausgestalteter Tracht.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Gerhard Ludwig Müller, Bischof

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Quelle: SZ

Viel Militär und Polizei ist darunter, ein Arzt und eine Krankenschwester, auch eine Fleischerei-Fachverkäuferin und selbst ein Astronaut - doch schon beim Banker aus der Londoner City flacht das Gefälle zwischen linkem und rechtem Bild ab. Informatiker, Lehrerinnen, Lkw-Fahrer, ABM-Kräfte kommen nicht vor; hier hätte sich gar keine fruchtbare Differenz mehr ergeben, keine parallaktische Verschiebung, durch die unsere zwei Augen miteinander das Bild der Tiefe hervorbringen.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Doppelporträt Klaus-Peter Stieglitz, Generalinspekteur der Luftwaffe

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Quelle: SZ

Der unglückliche Bierbauch des Metzgers in Zivil verwandelt sich in die Statur des gestandenen Mannes, sobald die fußlange Schürze darüber liegt; das Moppelchen strahlt mütterliche Wärme aus, wenn es in den Kittel der Schwester schlüpft.

Und umgekehrt, der katholische Bischof im Adidas-Dress weiß nicht wohin mit seinen massigen Händen, die ihm wie schwere Fleischklumpen herabhängen, vage brutal; der Schweizer Drei-Sterne-General, der seine Uniform mit so viel ziviler Nonchalance zu tragen versteht, wird, mit unpassender Brille und einer Weste, die seine Frau ausgesucht hat, zur freundlichen Vogelscheuche. Überall verbürgt die Uniform die Form, geht das Private mit der Unform einher.

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Herlinde-Koelbl-Ausstellung in Dresden:Blick in die Ausstellung "Kleider machen Leute" von Herlinde Koelbl

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Quelle: David Brandt

Es sind sehr humane Dokumente, die Herlinde Koelbl in dieser sehenswerten Ausstellung zeigt. Doch insofern der tätige und der ruhende Mensch hier überhaupt noch einmal Bild geworden ist, ist es ein Bild des Heimwehs.

Herlinde Koelbl: "Kleider machen Leute". Deutsches Hygiene-Museum, Dresden. Bis 29. Juli.

© SZ vom 8.5.2012/mahu
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