Herbert Achternbusch wird 70:Ein Grantler namens Herbert

Eine Biographie? "Das hieße Schnee auf Raureif häufen" - Herbert Achternbusch ist ein Gesamtkunstwerk. Zum 70. Geburtstag eines schöpferischen Krauters.

Christine Dössel

Wer den Münchner Filmemacher, Maler, Dichter und Überlebenskünstler Herbert Achternbusch kennt, weiß, dass er ein ZEN-Meister im Granteln ist, jener Äußerungsform, mit der der Bayer seine skeptische Haltung dem Leben gegenüber so direkt und umstandslos wie kein anderer zum Ausdruck bringt.

Herbert Achternbusch wird 70: Herbert Achternbusch als Unternehmer "Mix Wix" im gleichnamigen Film (1989).

Herbert Achternbusch als Unternehmer "Mix Wix" im gleichnamigen Film (1989).

(Foto: Foto: Tele Bunk)

Sich als Journalistin mit Achternbusch zu verabreden, bedeutet, sich erst einmal anraunzen und über die Unsinnigkeit des Vorhabens belehren zu lassen, um schließlich, wenn man das Treffen ausgehandelt hat wie einen niedrigeren Preis auf dem Bazar, hinter dem Schutzschild des Missmuts doch auf einen liebenswürdig-sanften, kauzig-charmanten Menschen zu stoßen, der, wenn es gut läuft, den ganzen Nachmittag mit einem verbringt.

Es läuft gut an diesem Tag. Achternbusch ist nicht einmal sauer, dass sich seine Besucherin um eine volle Stunde in der Zeit geirrt hat; im Gegenteil, er wartet geduldig in der Münchner Rathausgalerie inmitten seiner Bilder, grinst lausbübisch unter seinem schwarzen Hut hervor, um den Hals ein neckisches Tüchlein, ganz Münchner Picasso und spilleriger Karl-Valentin-Verschnitt, und freut sich, dass der Fehler nicht bei ihm lag.

Eine Sauerei

In seinem Alter, sagt er, zweifle man schon mal am Tag und an der Stunde ... Aber ver-zweifeln, nein, das tut er trotz der von ihm hinreichend bewiesenen Hirnrissigkeit des Daseins immer noch nicht - nicht einmal an Bayern, seiner geliebten, verhassten Heimat, an der er sich sein Leben lang abgearbeitet hat: in Filmen, Stücken, Büchern, Bildern.

"Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt", lautet eine seiner berühmtesten Sentenzen. "Sie stammt aus dem Film "Servus Bayern" (1977), dessen zelebrierter Heimatekel für den damaligen bayerischen Innenminister Gerold Tandler "schlicht und ergreifend eine Sauerei" war.

Achternbusch, der Dichter Herbert, dampft darin nach Grönland ab - denn: "In Bayern mag ich nicht einmal mehr gestorben sein" -, aber nur, um vom Ende der Welt aus umso klarsichtiger und frostiger gen Süden zu blicken.

Der Weg war bei Achternbusch schon immer das Ziel. Doch weiter als bis Ambach, allenfalls bis ins niederösterreichische Waldviertel, wo er als Ausweichdomizil eine märchenhafte Villa Kunterbunt besitzt -, weiter ist er letztlich über München, seine Geburts- und Lebensstadt, nicht hinaus gekommen.

Das "Andechser Gefühl"

Egal, ob er in seinen dadaistisch versponnenen, sich jeglicher kausalen Logik und Kommerzialität entziehenden Filmen den Atlantik durchschwamm oder als Indianer die Steppen Amerikas durchwanderte, ob er ins "Niemandsland" der Wüste Gobi vordrang oder abhaute nach Tibet - immer stieß Achternbusch dabei auf Bayern, seine Heimat, seine Kindheit: auf sich.

Noch im fernsten Winkel der Welt entdeckte er dieses "Andechser Gefühl", das seinem Künstlertum den Impetus und seinem ersten Spielfilm, 1975, den Titel gab: ein Heim- und Heimatweh, das nur mit größeren Mengen von Bier zu ertragen ist und im Rauschzustand die irrwitzigsten Sehnsüchte gebiert.

Insofern ist es natürlich eine Liebeserklärung, wenn Achternbusch über seine Stadt sagt: "So fremd wie München kann mir etwas anderes gar nicht sein." Der Satz prangt als Motto über der kleinen Ausstellung ("Lichtwechsel"), mit der die bayerische Landeshauptstadt ihr liebstes Enfant terrible zu seinem 70. Geburtstag an diesem Sonntag ehrt.

Vor zehn Jahren, zu seinem Sechzigsten, haben sie da noch ganz andere Geschütze aufgefahren. Da wurde tout München mit Achternbuschs Anarcho-Sprüchen beflaggt, es gab eine Uraufführung an den Kammerspielen ("Dulce est") und auch sonst jede Menge Herbert-Hype.

Lesen Sie auf Seite 2, wer Protagonist im Gesamtwerk von Herbert Achternbusch ist.

Ein Grantler namens Herbert

Aber inzwischen ist es halt generell viel ruhiger geworden um den bayerischen poète maudit, der sich sowieso immer als "Außenseiter" fühlt und sich um Marktgängigkeit nicht schert. Man fragt sich, wovon er lebt, aber das fragt er sich selber auch.

Sein letzter Film, "Das Klatschen der einen Hand", ist von 2002 und hat selbst in Fan-Kreisen kaum begeisterte Lobbyisten gefunden; seine raren, radikal selbstbezüglichen Theatertexte gehen allenfalls als Liebhaberstücke durch (und gelangen als solche nur noch selten auf die Bühne); und malen, droht der Allroundkünstler beim Rundgang durch die Rathausgalerie, malen wolle er nun auch nicht mehr: "Was gleichbedeutend damit ist, dass ich nichts mehr zu sagen hab!"

Man muss das nicht für bare Münze nehmen. Sich trotzig zu verweigern und dies lautstark kundzutun, gehört genauso zu Achternbuschs Form des Grantlertums wie die Antwort, die er in "Servus Bayern" auf die Frage gibt, was er eigentlich in Bayern mache: "Ich leiste Widerstand." Vor allem der CSU und der katholischen Kirche - was 1983 in dem Skandal um seinen Film "Das Gespenst" kulminierte. Darin steigt Achternbusch als leibhaftiger Jesus vom Kreuz herab, um mit einer Nonne ein höchst irdisches Leben als Wirtshauskellner zu führen.

Wo alles herkommt

Der Sturm der Entrüstung ("Blasphemie!"), angeführt vom damaligem Innenminister Friedrich Zimmermann, führte dazu, dass dem Regisseur bereits bewilligte Fördergelder wieder aberkannt wurden. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, den Achternbusch erst 1992 gewann.

Achternbusch, als Filmemacher damals weitgehend kalt gestellt, wandte sich wieder der Malerei zu, jenem Fach, das er an der Kunstakademie Nürnberg und der Akademie der Bildenden Künste in München einst studiert hat. So entstand 1984 die Serie "Die Föhnforscher", Aquarelle auf Seiten der Süddeutschen, in der Münchner Ausstellung zu sehen neben den "Weihnachtsbildern", die er immer an Heiligabend malt, zuhause in seiner wie eine Höhle bemalten Wohnung in der Burgstraße, auf dem Fußboden, der ihm seit jeher das Atelier ersetzt: großformatige Arbeiten in Wasserfarbentechnik auf Papierbahnen, Bambus, Raufasertapeten, hingeworfen wie von Kinderhand, farbig, expressiv, naiv exzessiv.

Die meisten Gemälde greifen Motive aus der griechischen Mythologie auf, für die sich Achternbusch begeistert, seit er 1962 zum ersten Mal in Athen und auf der Akropolis war. "Weil von dort", sagt er, "kommt alles her, und es geht darum, dass man zu einem Ursprung zurückfindet."

Auf einem der Bilder hat er sich selbst an der Seite seiner Kinder - er hat insgesamt sechs - als Sisyphos verewigt, "weil ich gern schufte"; und zu dem abstrakten Löwen, der störrisch an der Leine von Aphrodite zerrt, erklärt er: "Der möcht' zum Saufen nach Andechs!" Womit der Kreislauf der Achternbuschbahn wieder geschlossen wäre: von Andechs nach Athen und zurück - ein Lebenslauf.

Die Hirn- und Hitler-Wut

Ohnehin bildet Achternbuschs Oeuvre im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebenswerk: all seine Freundschaften, Liebschaften, Feindschaften, all seine Lebens- und Leidensstationen, seine ewige Hirn- und Hitler-Wut sind darin wie in einem großen, autobiographischen Roman verarbeitet: Herbert und wie er die Welt sah. Gedreht hat er fast ausschließlich mit Freunden, allen voran Sepp und Annamirl Bierbichler, mit denen er in den achtziger Jahren zusammen in Ambach lebte, am Starnberger See, dort, wo er Annamirl acht Jahre lang liebte, bevor er sie für eine 30 Jahre Jüngere verließ.

Und im Mittelpunkt seiner insgesamt 29 Filme, von denen fünf nun endlich auf DVD erschienen sind, steht immer er, Achternbusch, der Künstler, der - in welcher Verkleidung auch immer - seine eigene Existenz in einer (kunst)feindlichen Welt befragt. Seine Biographie braucht dieser Achternbusch nicht mehr zu schreiben. "Das hieße Schnee auf Raureif häufen", so formuliert er es selber in der Sprache der ZEN-Buddhisten.

Auch seine jüngsten vier Theaterstücke, versammelt in dem Band "Der gelbe Hahn der Nacht" (erschienen im Fischer Taschenbuchverlag) sind autobiographische Aufarbeitungstexte, in denen man alle wiedertrifft, die Achternbusch lieb und teuer oder eben - wie der verhasste Titelheld Hitler in dem Stück "Der Weltmeister" - ungeheuer sind: seine Oma, bei der er aufgewachsen ist, seine Mutter Luise, die erst ihre Sportkarriere vorangetrieben und sich dann erschossen hat ("wie der Hitler"), der Bierbichler, mit dem er zerstritten ist - und Annamirl natürlich, die 2005 gestorben ist. In dem Stück "Einklang" tritt er als "Mann" in Dialog mit ihr, der "Frau", die ihm eine "verletzte Kinderseele" attestiert - es ist ein Dokument ihrer Beziehung, authentisch bis zur Schmerzgrenze.

Am Ende unseres Ausstellungsrundgangs machen wir noch einen Einkaufsbummel im Kaufhaus Beck, denn Achternbusch friert und will sich einen Schal zulegen. In der Accessoire-Abteilung bleibt er plötzlich vor seinem Spiegelbild stehen, entsetzt darüber, was für ein "oider Krauterer" er doch geworden sei. Den Trost, er sei doch gesund und gut beieinander, schmettert er mit dem Selbsthass des notorischen Grantlers ab: Er sei in erster Linie "ein Depp". Das mag vielleicht sein - aber der genialste, den Bayern hat.

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